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Robert Schär (Riese), Benedikt Kristjánsson (Schneiderlein), Jakob Ahles (Riese). Foto: Eva Orthuber
Robert Schär (Riese), Benedikt Kristjánsson (Schneiderlein), Jakob Ahles (Riese). Foto: Eva Orthuber
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In der Marmeladenwelt: Wolfgang Mitterers „Das tapfere Schneiderlein“ in der Werkstatt der Berliner Staatsoper im Schillertheater

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Schneider auf der Opernbühne sind beliebt, von Wagners Zunftchor in den „Meistersingern“ über verschiedene musikdramatische Versionen von „Kleider machen Leute“, bis hin zu Jan Brandts-Buys’ „Die Schneider von Schönau“. Die Oper „Das tapfere Schneiderlein“ des 1958 in Lienz (Osttirol) geborenen Wolfgang Mitterer kann bereits zurückblicken auf Produktionen in Wien und Dresden, und hat es auch schon zu CD-Ehren gebracht. Als „Kleine Oper für Menschen ab 6 Jahren“ spielt sie nun auch die Berliner Staatsoper in der Werkstatt des Schillertheaters.

Dass das Märchen vom Prahlhans und Schlitzohr tapferes Schneiderlein durchaus weitergehende musiktheatrale Deutungen verträgt, zeigt Siegfried Wagner in seinem 18. Bühnenwerk, „Das Flüchlein, das Jeder mitbekam“ (1929), einer Politstory aus dem Deutschland der Zwanzigerjahre, welche der Komponist im Untertitel hintersinnig „Ein Spiel aus unserer Märchenwelt“ genannt hat, in dem Adolf Hitler als brutal-sadistischer Räuberhauptmann Wolf ebenso überführt wird, wie der gelernte Sattler Friedrich Ebert als „tapferes Schneiderlein“.

Wolfgang Mitterer hingegen vertonte das Libretto von Helga Utz vergleichsweise eng an dem durch die Brüder Grimm überlieferten Märchen: Das namenlose Schneiderlein erschlägt sieben Fliegen, zieht in die Welt, besiegt einen einfältigen Riesen und ehelicht, nachdem es – im Auftrag des Königs – auch eine Wildsau und ein Einhorn besiegt hat, die Königstochter. Allerdings lässt dieses Schneiderlein, um den Riesen im Hochwurf-Wettbewerb zu linken, keinen Zaunkönig flattern, sondern einen schwarzen Luftballon davonfliegen.

Zur musikalischen Zeichnung seiner Märchenwelt-Adaption setzt der Organist und Raumklangkünstler Mitterer Live-Kontrabass, Keyboard und diverse Elektronikzuspielungen durchaus tonal ein. Als Surround-Sound umschwirren sie die Szene und steigern das Fliegengeräusch bis zum bedrohlichen Fluglärm. Rings um die Zuschauer ertönt Glockengeläut bei der Hochzeit des ungleichen Paares. Mitterers letzte Episode, nachdem sich der Bräutigam im Schlaf als Mitglied eines unbotmäßigen Berufsstands geoutet hat und daher als weitere Probe seines Mutes zwei rote Riesen erledigen soll, ist allerdings dramaturgisch wie musikalisch redundant. Im Schlussgesang mit der dann doch noch umgestimmten Prinzessin legitimiert sich Mitterer mit jenem Thema der Entzauberung, das weiland Hänsel singt, um seine Gretel zu erlösen, das aber Engelbert Humperdinck selbst aus dem zweiten Aufzug der „Meistersinger von Nürnberg“ entlehnt hat.

Jenes junge Regieteam, das in Bayreuth Wagners „Ring des Nibelungen“ für Kinder inszeniert hat, Regisseur Maximilian von Mayenburg und Bühnenbildnerin Magda Willi, erzählt die Geschichte im Atriumkarree der Werkstatt mit einigem Witz. Ein übergroßer, roter Kühlschrank dient als Eingangspforte. Später findet das Schneiderlein darin seinen Gürtel mit der Digital-Leuchtschrift-Folge „7 auf einen Streich“. Dann wird der Kühlschrank zum dampfenden Riesen, und später fängt das Schneiderlein hierin auch das Wildschwein.

Eine Marmeladenverkäuferin, der er am Anfang der Handlung einen Fingerhut voll Marmelade stibitzt, erweist sich als Doppelfigur der Prinzessin (Jennifer Riedel). Auch im Reich des Königs bevorzugt man die Marmelade jener Verkäuferin, die sich wiederfindet als übergroßes Interieur neben dem roten Lotterkissenthron des Königs (Christoph Levermann) und seiner zwei sich ständig widersprechenden Ratgeber (Jakob Ahles und Robert Schär, sie verkörpern auch Wildschwein, Einhorn und rote Riesen). Am Ende darf dann das Schneiderlein, das zuvor sein Marmeladebrot mitsamt Fliegen zerstört hatte, endlich die begehrte Marmelade genießen.

Dirigent Ralf Böhme kann sich auf der rechten Empore in erster Linie den Solisten widmen, unter denen der junge, schlanke isländische Tenor Benedikt Kristjánsson herausragt: er summt und singt die Titelpartie durchaus bravourös, auch in der anfänglichen Counterlage.

Nach den, unter musikalischen Aspekten, in den Vorjahren unterbelichteten Programmheften zu den Kinderproduktionen der Staatsoper, berücksichtigt das Heft der jüngsten Produktion auch den Komponisten und wirft Schlaglichter auf Parallelen zwischen Schnittmusterbogen und Mitterers strukturalistischer Partitur, aus welcher auch zwei Seiten abgebildet sind. Unter dem Aspekt der Gemeinsamkeiten von Schneider- und Komponistenhandwerk kommt auch die Kostümbildnerin Sabrina Heubischl zu Wort, und bei den Texten zum Thema Schneider in Geschichte und Gegenwart sind im 32-seitigen Heft sogar einige Texte doppelt abgedruckt.

Die kindlichen Besucher, diesmal selbst nicht aktiv ins Geschehen integriert, gehen bei der einstündigen Aufführung gut mit und ergattern nach deren Ende jene silbernen Weihnachtssterne, die das Einhorn mit Knalleffekt aus einem Füllhorn versprüht hatte. Die meisten Aufführungen der vorweihnachtlichen Staatsopern-Produktion sind bereits im Vorfeld ausverkauft.

Weitere Vorstellungen: 2., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 12., 13., 15., 16., 18., 19., 21., 22., 23., 25., 28., 29. 30. Dezember 2012

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