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Vasco da Gama an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöss
Vasco da Gama an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöss
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Indische Hochzeit, Piraten und Terroristen

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Derniere von Giacomo Meyerbeers „Vasco da Gama“ an der Deutschen Oper Berlin. Peter P. Pachl war dabei.

Die erst zweite Produktion der rekonstruierten Originalfassung von Meyerbeers letztem, posthum im Jahre 1865 an der Grand Opéra in Paris als „L’Africaine“ uraufgeführtem Bühnenwerk fand in der Deutschen Oper statt. Die Premiere in der Inszenierung von Vera Nemirova am 4. Oktober war heftig umkämpft, aber bei der Derniere, mit einer exzellenten Sängerriege, herrschte rundum eitel Wohlwollen.

Erst vor gut zwei Jahren, am 2. Februar 2013, hatte die von Jürgen Schläder revidierte Fassung auf der Basis von Giacomo Meyerbeers Originalpartitur und erstmals mit dem originalen Titel „Vasco da Gama“, ihre späte Uraufführung erlebt.

Der portugiesische Eroberer Vasco da Gama, scheitert mit einer Expedition, beleidigt seine Geldgeber und darf daher nicht sein Vorhaben, das Land hinter Afrika, an dessen Existenz ihn der Kauf zweiter fremdländischer Sklaven Glauben macht, aufsuchen. Sein Rivale Don Pedro, der ihm auch noch seine Geliebte Ines wegschnappt, führt die Expedition durch. Aber Vasco holt Don Pedros dezimierte Flotte ein, wird dann jedoch vom Rivalen gefangen genommen. Das Schiff wird von indischen Piraten geentert, und die Portugiesen werden getötet, während die wahre Identität der Sklavin Selica als indische Königin enthüllt wird. Die rettet Vasco vor dem Tod, indem sie ausgibt, seine Frau zu sein. Eine indische Hochzeitszeremonie vereint die Beiden, dann aber stellt sich heraus, dass auch Ines überlebt hat. Selica erwischt Ines und Vasco, lässt die Beiden auf Vascos Schiff fliehen und vergiftet sich.

Die historisch-kritische Edition ist für die Aufführung ein Gewinn. Die längere, dramaturgisch überzeugende Fassung stellt aber auch eine zusätzliche Herausforderung an die Solisten dar. Die sind in der Produktion der Deutschen Oper Berlin wirklich erstklassig: der stets strahlend jugendliche Tenor von Roberto Alagna in der Titelrolle, die zwei um seine Liebe ringenden Frauen, Vascos Jugendliebe Ines und die versklavte indische Königin Selica, besetzt mit den traumhaft schön singenden, individuell timbrierten Stimmen der Sopranistin Nino Machaidze und der Mezzosopranistin Sophie Koch. Stärkeren Schlussapplaus als der Startenor erntete jedoch der Bariton Markus Brück als Selicas getreuer Nelusco, der neben tragenden Piani erstmals auch mit hochdramatischen Passagen voll zu überzeugen versteht und ein treffliches Charakterbild des hin- und her gerissenen, gleichermaßen brutalen wie heimlich Liebenden bietet. Die Solisten Seth Carico (Don Pedro), Albert Pesendorfer (indischer Oberpriester), Clemens Bieber (Don Alvar), Andrew Harris (Don Diego), Dong-Whan Lee (Großinquisitor) und Irene Roberts (Anna) fügen sich, neben einer Reihe weiterer kleiner Solorollen und den von William Spaulding einstudierten Chören, nahtlos ein in die überdurchschnittliche Sängermannschaft. Und der Dirigent Enrique Mazzola fügt mit dem sauber intonierenden Orchester der Deutschen Oper Berlin die Elemente dieses späten Beitrags zur Grand Opéra zu einem imposanten Ganzen.

Das Bühnenbild von Jens Kilian mit hohen Segeln, die zunächst das Rund eines politischen Versammlungssaals bilden, davor ein schiffsbugförmiges Spielpodest, das sich auch hydraulisch als Wand aufrichten kann, sowie ein größeres, den zahlreichen Papierfaltschiffchen nachgeformtes Fahrzeug wirken zunächst arg altbacken opernhaft. Erst das mit orangefarbenen Blüten übersähte, ebenerdige Bettlager im gelungenen indischen Hochzeitsritus, im letzten Akt dann auch als Chiffre für den durch seinen Duft todbringenden Manzanillobaum, vermittelt Poesie. Über dem als Leinwand hochgestellten sandkastenartigen Blüten-Rechteck wird die von Selica im Todesrausch erlebte Liebesszene mit Vasco als Nackt-Video projiziert.

Die Inszenierung von Vera Nemirova beginnt zunächst vergleichsweise bieder und reduziert im Spiel. Die Regisseurin bebildert dann aber den zentralen Schiffsakt grell, als Hochzeit zwischen Don Pedro und Ines, die von Nonnen als Braut kostümiert wird; die Nonnen versuchen, Selica gewaltsam zu missionieren, schneiden ihr den langen Zopf ab und machen sie zur Nonne. Der Inder Nelusco, der sich bei den Portugiesen vom Sklaven bis zum Bootsmann hochgearbeitet hat, fällt über eine Nonne her, jagt die sich als Hure in Strapsen erweisende Frau quer über die Bühne. Die Piraten vollführen mit langen roten Bambusstäben ein imposantes Schlemmersches Ballett. Und auch den Anfang des vierten Aktes bildet eine a cappella-Einlage mit diesen Stäben, mit Stampfen und Ho-Rufen – als Ersatz für die in Meyerbeers Originalpartitur fehlenden Balletteinlagen.

Wiederholt schlägt die Regisseurin politisch den Bogen zur Flüchtlingsproblematik mit gekenterten Booten, und der Schluss des 3. Aktes endet mit MG-Salven der Terroristen. Aber warum Vasco da Gama ein Ayatollah-T-Shirt tragen muss, welches sich dann auch die sterbende Königin überzieht, bleibt das Geheimnis der Kostümbildnerin Marie-Thérèse Jossen.

Das Publikum applaudierte nach einigen der in dieser Oper oft mit der nachfolgenden Szene verbundenen Nummern, insbesondere nach der Arie „Oh doux climat!“, war aber irritiert, als die Regisseurin das Spiel nach Verklingen des ersten Aktes bis zum nachgezogenen Black Out stumm weiterführte.

Zwischen den Uraufführungen von „Tristan und Isolde“ und Meyerbeers letzter Oper liegt nur ein guter Monat, aber musikästhetisch trennen diese Partituren Welten. Die Seefahrerthematik mit der Umrundung des Kaps der guten Hoffnung schlägt eher einen Bogen zurück zu Wagners „Der fliegende Holländer“, auch der Chor der Mädchen im dritten Akt erinnert an die Spinnstube, aber die stilistische Vielfalt, mit welcher Meyerbeer hier operiert, gemahnt auch an Offenbach und an Berlioz’ „Damnation de Faust“. In der Steigerung und in der die klassischen Formen erweiternden und zugleich Hörgewohnheiten aufbrechenden Partitur erweist sich „Vasco da Gama“ als Meisterwerk.

Der Meyerbeer-Zyklus am Geburtsort des Komponisten wird in den kommenden Spielzeiten mit den Opern „Die Hugenotten“ und „Der Prophet“ fortgesetzt. Dabei bildet die vorläufig stagioneartig abgespielte Produktion der Deutschen Oper Berlin musikalisch eine eigenwillige Variante zur soeben mit dem Echo-Musikpreis für Klassik 2015 ausgezeichneten Ersteinspielung durch das Opernhaus Chemnitz, mit der Robert Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann (auf 4 CDs bei CPO: 777828-2).

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