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Nedime Ince (Rosalia), Lara de Toscano (Consuelo), Iréna Flury (Maria, Premiere), Bo Mi Lee (Francisca) Foto: © Andreas Lander
Nedime Ince (Rosalia), Lara de Toscano (Consuelo), Iréna Flury (Maria, Premiere), Bo Mi Lee (Francisca) Foto: © Andreas Lander
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Instinktsicher – Die „West Side Story“ begeistert auf dem Domplatz in Magdeburg

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In Sachen Open-Air Musical geht die Oper Magdeburg auf Nummer sicher. Mit dem Dom im Hintergrund, genügend Platz für die Pausenversorgung. „Hair“ im Vorjahr, jetzt die „West Side Story“ und nach der Premiere gibt es schon den Flyer für „Jesus Christ Superstar“ 2018 auf den Heimweg mit. Wenn das Wetter jeden Abend knappe drei Stunden mitspielt, dann kommt das alljährliche Saisonabschluss-Musical auf seine 20.000 Zuschauer für die (in Magdeburg ohnehin recht passable) Auslastungsbilanz von über 80 Prozent.

Die Renner funktionieren, wenn sie gut gemacht sind, wie von selbst. Und das ist in Magdeburg in den letzten Jahren immer der Fall. Was auch mit der Intendantin Karen Stone zu tun haben mag, die in Sachen Musical als Engländerin vielleicht einen kleinen Instinktvorteil hat. 

Da kriegen die Fans, was sie wollen, da wird das Genre hochprofessionell – natürlich mit der Magdeburgischen Philharmonie unter ihrem GMD Kimbo Ishii – bedient. An Bernsteins Hits und den Drive seiner Musik kommt jedenfalls kaum ein Nachfolgeprodukt heran, und die aus der Webber-Fabrikation schon gar nicht. Das gepfefferte „America“-Ensemble der Puertoricanerinnen oder der beißende Witz des „Officer Krupke“-Couplets sind dem „Somewhere“ oder „Tonight“ dabei sogar noch voraus.

Bei der Inszenierung setzt man auf – sagen wir mal praktikable Wiedererkennbarkeit. Wobei diese von Bernstein und seinen Autoren nach Amerika verlegte Romeo-und-Julia-Version schon deshalb ein Selbstläufer ist, weil sie zum Besten gehört, was das Genre überhaupt zustande gebracht hat. Nicht nur wegen der zündenden Musik, sondern auch weil das Verona Shakespeares ein Überall sein könnte, bliebe da auch Raum für eine Großstadt von Heute. 

In Magdeburg bescheiden sich Gil Mehmert (Regie), Jens Kilian (Bühne) und Falk Bauer (Kostüme) mit dem Amerika der Fünfziger und vertrauen auf die Fähigkeit des Publikums, in der Jeans- und Petticoat-Nostalgie auch Neukölln oder irgendeine heutige Straßenkriegsvariante mitzudenken und hinter der etwas nostalgischen Brille der allemal mitreißenden Dauerbrennern nicht aus dem Blick zu verlieren. Wie immer im ja nicht sehr interpretationsaffinen Musicalgeschäft, wo die Rechteinhaber akribisch auf ihren „Originalversionen“ beharren, findet sich natürlich auch im Magdeburger Programmheft der eingerahmte Vermerk „Die Uraufführung wurde inszeniert und choreografiert von Jerome Robbins“. Gesungen werden Stephen Sondheims Gesangstexte englisch. Gesprochen wird die deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald. Beides funktioniert bei der Truppe bestens.

Also: Amerika. Mit großem Werbeplakat samt Horizont (vor dem mit Lust aufspielenden Orchester) und einem verheißungsvollen „Somewhere“ auf dem Reklamereifen. Mit Ziegelfassaden mit und ohne Feuerleiter. Und einem fahrbaren Mittelteil: auf der einen Seite Brautladen, in dem die Puertoricanerin Maria (Iréna Flury) ihren Traum von Amerika träumt. Auf der anderen: eine Tanke mit Werkstatt, in der Tony (Anton Zetterholm) schon einen Schritt weiter ist. Das lässt sich (zwar nicht leicht aber mit Muskelkraft) drehen und rein- und rausfahren, wie’s gebraucht wird. Hier ist Platz für die (herrlichen) Straßenkreuzer, mit denen die Gang-Anführer vorfahren, wenn sie mal so richtig angeben wollen. Die Jets führt Markus Schneider als Riff an, die Sharks Sascha Luder als Bernardo. Ebenso typgerecht wie die Jungs, sind Lieutenant Schrank und Officer Kruppe mit Frank Heinrich und Bartek Bukowski besetzt. Sie kommen natürlich „nur“ mit dem Zweirad und reden so rassistisch daher, wie sie heute in Teilen allenfalls noch denkt …

Wenn die Gangs und die Mädels loslegen, dann machen sie das scheinbar jenseits der Schwerkraft, mit Tempo, Esprit und Sexappeal. Von Jonathan Hour choreografiert fegen sie über die Bühne und liefern tatsächlich die Bilder, die man eh im Kopf hat. Dabei träumen sich Tony und Maria inklusive einer Balkon- (bzw. Feuertreppen) Szene aus der Welt des Hasses in eine Zukunft irgendwo hinterm Horizont. Doch es kommt, wie es kommen muss. Tonys bester Freund Riff wird von Marias Bruder Bernardo erstochen und Tony tötet daraufhin Bernardo, schließlich erschießt Marias Bruder dann den Tony, der eigentlich versucht hatte, die Gewalt zu beenden. Alles endet tragisch wie immer, doch hier auch noch mit einem pathetisch ausgestellten Trauerzug als belehrenden Ende. Weil sich die Lust der Musicalprofis und die Verve der Musik bei diesem Klassiker aufs Beste treffen, hat das Publikum für seinen Jubel gute Gründe.

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