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Monteverdis Ulisse (Mirko Roschkowski) als Blutiger Rambo in Köln, zusammen mit Eurimaco (Peter Gijsbertsen), Telemaco (Gustavo Quaresma), Melanto (Regina Richter) und Penelope (Katrin Wundsam). Foto: Paul Leclaire
Monteverdis Ulisse (Mirko Roschkowski) als Blutiger Rambo in Köln, zusammen mit Eurimaco (Peter Gijsbertsen), Telemaco (Gustavo Quaresma), Melanto (Regina Richter) und Penelope (Katrin Wundsam). Foto: Paul Leclaire
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Karneval in Itaka: Fortsetzung des Kölner Monteverdi-Zyklus’ mit „Il Ritorno d’Ulisse in Patria“

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Die alternativen Spielstätten deutscher Opernhäuser erfreuen sich großer Beliebtheit, auch wenn der Zugang zunächst erschwert wird. Im Palladium, einer historischen Werkhalle im Mülheimer Schanzenviertel, gegenüber einer Mega-Disco, hat Bernd Mottl die Handlung von Claudio Monteverdis 1640 in Venedig uraufgeführtem Dramma per Musica in die Spießigkeit der Fünfzigerjahre verlegt und im Kölner Karneval angesiedelt. Konrad Junghänel hat die Partitur historisierend eingerichtet und führt sie mit dem „Gürzenich-Orchester Köln und Gästen“ zu einem runden Publikumserfolg.

Zunächst müssen die 16 Instrumentalisten mit ihren primär historischen Instrumenten auf die der Bühne entgegengesetzte Seite wandern, und das Publikum muss sich, bis auf „Stehbehinderte“, für die „Dauer von 8 Minuten Lebenszeit“ den Prolog zu „Il Ritorno d'Ulisse in Patria“ erstehen, der den Weg eines Menschen in seiner ganzen Fragilität zeigt: von der Windel bis zum Leichentuch ist er in der Abhängigkeit höherer Mächte, allegorisiert durch Zeit, Schicksal und Liebe.

Inszeniert ist das als eine jahrmarktsähnliche Shownummer. Das dem Menschen im Prolog vom Schicksal in silberner Gauche versprochene Einfamilienhäuschen prangt dann auf der schräg gelagerten, an der Rundung mit flackernden Showlämpchen bestückten Drehscheibe, die ein leuchtendes Tivolischild als „Itaka“ lokalisiert, wobei das „k“ (für Köln?) allerdings schnell verloren geht.

In Friedrich Eggerts Ausstattung führen schräge Rundaufgänge in den Götterhimmel, wo kostümierte Techniker sichtbar den Wunderadler des Zeus schweben lassen. Athena, wie Monteverdis Minerva in den Sprechblasen links und rechts der Bühne genannt wird, landet in einem zur Kirmes-Eule umgestalteten Flugwerk auf der Szene, um Ulisses Sohn Telemaco (Gustavo Quaresma) als Joker für den lange vermissten Gatten der Penelope ins Spiel zu bringen.

In der Pause, nach eineinhalb sich bisweilen ziehenden Stunden, verließen einige Besucher die Premiere – und sie verpassten so die wirkungsvolle Zuspitzung und raschere szenische Abfolge des zweiten und des noch kürzeren dritten Aktes. Die aufdringlichen Freier umwerben die bereits als Witwe gewandete Penelope mit Karnevalshütchen und Luftschlangen auf einer Pyjama-Party. Allerdings zeigen sie ihre Brautgeschenke nur mittels eines Diaprojektors.

Ulisse-Odysseus kommt wie ein blutiger Rambo aus dem (trojanischen) Krieg, und seine einzige Verkleidung als namenloser Bettler ist eine zu große Brille und ein Krückstock, mit dem er den gegen ihn antretenden Schmarotzer würgt. Nachdem er es dann als Einziger geschafft hat, den in einem verstaubten Kasten verwahrten Bogen des Ulisse zu spannen, greift er, statt nach Pfeilen, doch lieber nach seinem MG, um die Freier blutig niederzustrecken, deren Gliedmaßen dann die Hausangestellte (Hilke Andersen als Amme Ericlea) in einer Aluminium-Mülltonne entsorgt.

Konrad Junghänel leitet die Bühne, das links neben der Spielfläche, zu ebener Erde, platzierte Continuo und das rechts neben der Drehscheibe, auf einem Podest, sitzende Gros der Instrumentalisten sicher und insbesondere in den Intermezzi inspiriert.

John Heuzenroeder (Anfinomo), Dmitry Egeorov als (Mensch im Prolog und Pisandro), und Yound Doo Park (Antinoo) sind als Freier choregraphisch geführt und als Typen besetzt; sie ergänzen dann – nach dem Tod der Nebenbuhler um Penelopes Gunst – den Chor der Himmlischen. In den Reihen der Götter, in Schaumgummikostümen, bieten Peter Gijsbertsen (Zeus, im Prolog Tempo), Wolf Matthias Friedrich (Nettuno, im Prolog Tempo) und Ji-Hyun An (Giunone, im Prolog Amore) witzige Charakterisierungen. Die mit parodistischer Überhöhung auch unverkennbar als Athena gewandete Sopranistin Claudia Rohrbach als Minerva (und zuvor als Fortuna) macht auch in der Verkleidung als Milchmann eine gute Figur und spielt und singt umwerfend. Miljenko Turk als Hirt Eumete  gehören alle Sympathien, durch das warme Belcanto zu seiner intensiven Gestaltung. Bis zur Groteske in der vokalen Umsetzung steigert Robert Wörle das Charakterbild des Schmarotzers Iro, gipfelnd in einem vielfältig parodistischen, präsuizidalen Lamento.

Den Ulisse zeichnet Mirko Roschkowski mit stimmlicher Wärme als einen unzeitgemäßen Spätheimkehrer. Was Penelope, von Katrin Wundsam souverän und differenziert gesungen, aber sehr kalt in ihrer Ausstrahlung, so begehrenswert für die Freier macht, bleibt ein Rätsel. Bei aller Schönheit der Erfindung ist Monteverdis Schlussduett – gemessen an dem in lasziver Innigkeit überbordenden finalen Zwiegesang der „Krönung der Poppea“ – doch merklich domestiziert. Ulisse verlässt in der Kölner Neuinszenierung unverrichteter Dinge das eheliche Bett – zwanzig Jahre Abwesenheit lassen sich offenbar auch für einen Terminator nicht einfach wegwischen.

Kurz vor Anbruch der Mitternachtsstunde dann einhelliger, heftiger Applaus für alle Beteiligten.

Weitere Aufführungen: 29. Februar, 2., 4., 7., 9. 11. 14. 17, 22., 24. März 2012.

 

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