Hauptbild
Im Sumpf der Musikindustrie. Foto: Hufner
Im Sumpf der Musikindustrie. Foto: Hufner
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Kein Ende in der ECHO-Debatte – Konsequenzen von Preisträgern und BVMI-Mitgliedern

Publikationsdatum
Body

Weil es der ECHO-Beirat versäumt hatte, die Rapper Kollegah und Farid Bang von der Nominierung zum Deutschen Musikindustriepreis (ECHO) auszuschließen, konnte es den beiden sogar gelingen, den Industriepreis zu erhalten. Denn auch die ECHO-Jury tat nicht nur nichts gegen eine Belobigung, im Gegenteil, sie zeichnete die Rapper sogar aus. Seitens der ECHO-Veranstalter will man nun die Ausgestaltung des ECHO ändern. In der Zwischenzeit weitet sich die Kritik allerdings noch aus. ECHO-Rückgaben, Verbandsaustritt(e), Beiratsrücktritt(e).

Doch zunächst zurück zum Beirat und seiner Entscheidung. Die Zeitschrift FOCUS hat nachgefragt und konnte ermitteln, dass zumindest die Vertreterin der katholischen Kirche (übrigens die einzige Frau im siebenköpfigen ECHO-Beirat, der übrigens kein Ethik-Beirat ist!) gegen die Nominierung der beiden Rapper sich eingesetzt hatte. Allerdings ohne Erfolge für die Gesamtentscheidung.

Verbandsaustritt

Unterdessen kommt die Kritik auch von Preisträgerinnen und Verbandsmitgliedern. Ein Brief von Jan Rolf Müller (Ring Musik GmbH) an den Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes Musikindustrie, Florian Drücke, erreicht die nmz in Kopie. Darin heißt es:

(…) der BVMI hat diesen erschreckenden Inhalten eine Plattform verschafft und sie tatsächlich auch noch ausgezeichnet.

Das wirft ein schlimmes Licht auf die „Musikindustrie“, auf den Verband mit seinem höchst fragwürdigen Ethikrat und auch auf Sie selbst.

Dass es hier um Kunstfreiheit gehen soll, ist der hilflose Versuch zu vertuschen, worum es den Machern wirklich geht: Hass schüren und provozieren um jeden Preis; Geld verdienen, schnell, viel, ohne Grenzen. Und das mit großem Echo durch Sie.

Unsere Austrittserklärung erhalten Sie in den nächsten Tagen per Post.

Mit Grüßen
Jan Rolf Müller

Ring Musik GmbH
Musikverlag und Musikproduktion
Ein Unternehmen der Verlagsgruppe Josef Weinberger

Das ist nur konsequent, wenn man sich beispielsweise auch anschaut, wie Teile der Majors (zum Beispiel „Universal Music“) in ihren Presseverlautbarungen allein ihre eigene Preisträgerinnen abfeiern und das Rapper-Debakel nicht einmal am Rande thematisieren. Frank Briegmann (President & CEO Central Europe UNIVERSAL MUSIC und Deutsche Grammophon): „Ich danke außerdem dem Team des ECHOs, unserem Medienpartner VOX und allen Mitwirkenden für diesen tollen Abend.“ Dass man sich aus diesem Kreis eine ernsthafte Debatte erhoffen könnte, scheint mehr als nur blauäugig. Business, stupid!

ECHO-Rückgabe

Aus dem Preisträgerkreis des ECHO-Klassik gibt es mittlerweile auch eine Reaktion. Das Notos Quartett (Preisträger 2017) gibt seinen Echo zurück, bezeichnet die Auszeichnung wörtlich als „Symbol der Schande“.

Die Auszeichnung mit dem ECHO KLASSIK 2017 als Nachwuchskünstler des Jahres hatte uns sehr gefreut. Bis vor kurzem war der ECHO in unseren Augen der renommierteste und größte Musikpreis Deutschlands. Ein Preis, der schon viele großartige Musiker ausgezeichnet hat und unter dessen Gewinner wir uns gerne eingereiht hatten.

Die Tatsache, dass nun eben dieser Preis offenen Rassismus toleriert, ihm gar eine Plattform bietet und ihn auszeichnet, ist für uns nicht tragbar. Über die Entscheidung der Verantwortlichen, antisemitisches und menschenverachtendes Gedankengut sowie die Verhöhnung von Opfern des Holocaust mit einem Preis zu würdigen, sind wir zutiefst erschüttert.

Daher möchten wir uns von unserer Auszeichnung mit dem ECHO entschieden distanzieren und geben hiermit den Preis zurück.

Wir bedauern diese Entscheidung sehr, doch die ECHO-Trophäe, die bis zuletzt noch in unserem Probenstudio in Berlin stand, ist für uns nun nichts mehr als ein Symbol der Schande.

Notos Quartett

Aus dem Pop/Rock-Bereich sind uns derlei Reaktionen noch nicht bekannt geworden.

[Update 16:55: Aus Empörung über die Würdigung der Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Echo-Musikpreis gibt der Musiker und Grafiker Klaus Voormann seine eigene Trophäe zurück. „Was sich für mich als Geschenk anlässlich meines 80. Geburtstags anfühlte, entpuppt sich nun als große Enttäuschung“, teilte Voormann am Montag in München mit. – Meldung der dpa]

[Update 20:17: Der Pianist Igor Levit hat seinen ECHO ebenfalls zurückgegeben – via Twitter.]

Rücktrittsforderungen

Der Sänger Peter Maffay fordert unterdessen den Rücktritt der Echo-Verantwortlichen: „Die Konsequenz aus den Vorfällen sollte sein: Die Verantwortlichen nehmen ihren Hut und an ihre Stelle treten glaubhafte Personen, die für die Zukunft die nötige Transparenz garantieren,“ meldet dpa.

Allerdings gibt es auch völlig irrsinnige Kommentare zu dem Vorgang. So hat die Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutsches Bundestag, Alice Weidel, in einem Text für die rechtspopulistische Hauspostille „Junge Freiheit“ einen Integrationskurs für Farid Bang gefordert – und für den Fall, dass er diesen nicht bestünde, dessen Ausweisung nach Marokko: „Er ist nichts weiter als ein ‚asozialer Marokkaner‘, der unsere Kultur und Werte verachtet, und der in Marokko deutlich besser aufgehoben wäre als in unserem Land.“ Solche zynische Doppelzüngigkeit tut freilich mehr als weh. Sie offenbart die gründliche und absichtliche Unkenntnis unserer Rechtsgemeinschaft und richtet sich natürlich nicht gegen die Mitglieder ihrer eigenen Fraktion. Das Beispiel von Alice Weidel macht aber eben auch deutlich, dass man sich darüber klar sein sollte, welche Kraft in unserem Grundgesetz steckt und dass man die Freiheitsrechte, die wir genießen in jede Richtung zu verteidigen habe (über die sachlichen Fehler in ihrem Text brauchen wir gar nicht erst zu reden).

Konsequenzen für den ECHO-Beirat?

Die Initiative unseres Lesers Eberhard Klotz an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf Prüfung des Albums „JBG3“ fruchtete nichts (man ist als Privatperson nicht antragsberechtigt). Aus der Antwort geht aber hervor, dass „seit kurzem“ bei Bundesprüfstelle ein Verfahren anhängig sei. Darauf spekulierte ja auch der Beirat des ECHO. Das allerdings verdeutlich dies das Dilemma umso mehr. Sollte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu dem Ergebnis gelangen, dass die ausgezeichnete Platte „JBG3“ auf den Index gehörte, wäre ein Ausschluss nach dem Reglement des ECHO geboten (wenngleich nicht zwingend). Nur, wozu braucht man dann das Feigenblatt des Beirats.

Beiratsrücktritte

Ob nun aber auch die Beiratsmitglieder von ihren Organisationen ihres Amtes entbunden werden, ist unbekannt. Ob der BVMI den Beirat auflöst, ist ebenso ungewiss. Nach wie vor fehlen leider Stellungnahmen des Präsidenten des Deutschen Kulturrates (Christian Höppner) und des Präsidenten des Deutschen Musikrats (Martin Maria Krüger) in dieser Angelegenheit. [Anfragen der Redaktion der nmz sind gestellt.]

[Update 20:04: Soeben twittert Olaf Zimmermann, dass der Präsident des Deutschen Kulturrates seine Rückzug aus dem ECHO-Beirat bekanntgab mit den Worten: „Diese Entscheidung war ein Fehler.“]

Der ECHO steht nicht vor seiner Neugestaltung, hat man den Eindruck, sondern vor seiner Demontage. Und zeigt – auch gegenüber den Veranstaltern – dass man eben nicht Verkaufszahlen vor inhaltliche Bewertungen setzen sollte. Sonst gräbt man sich eine Grube, in die man dann eben gleich auch fällt. Das Wehklagen jetzt aus dem BVMI klingt kaum glaubwürdig, hat man doch Kollegah und Farid Bang sogar die Bühne zur Verfügung gestellt. Die Häme aus Richtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (bis 2016 Partner) aber ebenso wenig. Die Taubheit von „Vox“ als Medienpartner muss man auch nicht thematisieren: Die brauchen die Quote, denen kam der Eklat im Vorfeld genau zur richtigen Zeit.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!