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Salome Kammer in Oldenburg. Foto: Andreas J. Etter
Salome Kammer in Oldenburg. Foto: Andreas J. Etter
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Keuchen, Glucksen und Rülpsen – Salome Kammer glänzt in „Lohengrin“ von Salvatore Sciarrino

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Fast zehn „Vorhänge“ in der Exerzierhalle: Haben wir am Oldenburgischen Staatstheater Mozart oder Verdi gehört? Nein, zeitgenössisches Musiktheater, „Lohengrin“ des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino. „Unsichtbare Handlung für Solistin, Instrumente und Stimmen“ nennt er sein 1982 entstandenes, 1983 in Mailand uraufgeführtes Melodram.

Die knapp einstündige Aufführung konnte aus vielerlei Gründen zu einem solchen Erfolg werden: einmal ist die Musik von Sciarrino durchweg „schön“, ohne jedoch traditionelle expressionistische Ausdruckmuster zu verwenden. Sciarrino arbeitet mit glitzernden Flageolettklängen, leise oft bis zur Unhörbarkeit, mit dramaturgisch gut akzentuierten Bläserklängen und vor allem mit der Methode, dass er nie die Solistin in irgendeiner Weise begleitet, sondern die Ebenen ineinander fließen lässt: die Lautgeräusche, die Elsa da produziert, sind immer auch ein Teil des 19-köpfigen Orchesters und die Orchesterklänge sind nicht Untermalung, sondern Bestandteil ihrer dramatischen inneren Bewegung.

Zweitens ist dem Regisseur Thomas Fiedler eine Sicht gelungen, die die „Durchgeknalltheit“ der armen Protagonistin fernab jeglicher Sentimentalität zeigt. Das ist wegen des Sujets nicht ganz einfach, denn die kleine Erzählung aus der Sammlung "Moralités légendaires" des französischen Dichters Jules Laforgue (1860-1887), die hier zugrunde liegt, hat viel mit Zeitgeist unmittelbar vor der Erfindung der Psychoanalyse zu tun: Lohengrin verlässt Elsa nicht, weil sie – wie bei Wagner - die berühmte Frage nach seiner Herkunft nicht unterdrücken kann, sondern weil er in der Hochzeitsnacht mit der Siebzehnjährigen nicht in der Lage ist, ihr eine Zuneigung zu zeigen. Das ist ihr Trauma, sie durchlebt es in dieser  Handlung, wird es jedoch nicht los. Als sie am Ende die Holzfigur vom Stuhl stößt, sich in Ruhe ein Butterbrot schmiert und dazu ein Volkslied summt, ist der Abend vorbei, nicht aber ihr Leid.

Der dritte Punkt des Erfolges gilt freilich der Interpretin Salome Kammer. Der Singschauspielerin, die in so vielen Uraufführungen ihr einzigartiges Doppeltalent nachgewiesen hat, scheint dieses Werk auf den Leib geschrieben: unbeschreiblich, wie sie am Anfang Natur- und Vogelgeräusche mit verschiedenen Mikrophonen in die Orchesterlandschaft keuchend, glucksend, rülpsend einbringt, wunderbar, wie sie in dem schön ausgeleuchteten Spiegelraum (Christian Wiehle und Alex Fleischer) in ihrem weißen Kleid ihre Erinnerungen und Visionen entfaltet, intensiv, wenn sie unzählbar viele Rufe „Elsa!“ nachmacht und variiert, wenn sie den Spiegel fragt, wie schön sie ist, wenn sie in unsichtbaren Gängen ihre Vergangenheit aufzusuchen scheint, wenn sie alleine den Dialog mit Lohengrin führt, wenn sie endlich einmal schreit, weil sie es nicht schafft, sich aus dem Trauma zu befreien. Die Aufführung dieses Werkes kann nur mit einer derartig vielschichtig begabten Schauspielerin gelingen. Die vor der Bühne aufgestellten MusikerInnen des Oldenburgischen Staatsorchesters gestalteten bestens Sciarrinos doppeldeutigen und reichen Klangzauber unter der sensiblen Leitung von Yuval Zorn.

Die nächsten Aufführungen:  29. und 31. Januar, 5.7. und 15. Februar in der Exerzierhalle Oldenburg.

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