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Humorbegabter Schlagzeuger: Peter Sadlo war der Solist in der UA von Moritz Eggerts „Industrial“. Foto: www.sadlo-percussion.de
Humorbegabter Schlagzeuger: Peter Sadlo war der Solist in der UA von Moritz Eggerts „Industrial“. Foto: www.sadlo-percussion.de
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Klingeling und Ritscheratsch – zur Uraufführung von Moritz Eggerts „Industrial“ in Stuttgart

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Ohne Rhythmus ist alles nichts, aber Rhythmus ist auch nicht alles. Insofern ist Moritz Eggerts neues Werk „Industrial“ für Solo-Schlagzeug und Orchester, das jetzt als Kompositionsauftrag des SWR-Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO) in der Stuttgarter Liederhalle unter der Leitung von Kristjan Järvi zur Uraufführung kam, strukturell äußerst dürftig, denn viel mehr als Rhythmus hat es nicht zu bieten.

Der auch humorbegabte Peter Sadlo hatte am Schlagzeug zwar jede Möglichkeit, seine stupende virtuos-brillante Schlagkraft unter Beweis zu stellen. Aber die Kommunikation zwischen Solo-Instrument und Orchester, die von jeher den eigentlichen Reiz des konzertierenden Prinzips ausmacht, erschöpfte sich bald: Im bloßen Wechsel zwischen impulsgebenden Schlagzeugsoli und statischen Orchesterklangflächen wurde keine wirkliche Entwicklung offenbar. Während sich Sadlo an Trommeln und Autofelgen abarbeitete, produzierte der Klangkörper heiße Luft: Da hörte man minimalistisches Ostinatogewusel in den allzu oft tremolierenden Streichern, trockene Staccato-Einwürfe der Bläser, Paukendonner.

Dass Eggert es dann nicht auslässt, auch noch Klangkonkretes wie Klingelings und Autohupen ins Spiel zu bringen, wurde dann spätestens peinlich, als der befrackte Orchesterperkussionist einen Staubsauger aufbrummen ließ. In all dem Dauergewummere wirkten diese Zitate aus einer Lichtjahre entfernten Avantgarde völlig ohne Bezug zum Rest. Und was will der Titel „Industrial“ sagen, außer dass Produktionsmaschinen fürchterlichen Krach machen? Eggerts Klangästhetik erinnerte an gewisse Jeans-Werbefilme, deren Blick auf die industrielle Arbeitswelt romantische Verklärung verrät. Bedrohliche Wolken zogen da nicht auf.

Ob dieser inneren Leere dachte man wehmütig an politische Komponisten wie Luigi Nono zurück, der in Werken wie „La Fabbrica Illuminata“ einst die unerträglichen Arbeitsbedingungen in Metallfabriken thematisiert hatte.  

Das Publikum im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle schien dennoch begeistert: Peter Sadlo wurde für seine fröhlich-wild hämmernden solistischen Einlagen stürmisch gefeiert, und am Nektar des Applauses durfte dann auch der vielbeauftragte Moritz Eggert nippen.  

Immerhin war Eggerts Rhythmusstück dramaturgisch klug eingebettet worden, reisen doch Leonard Bernsteins Ouvertüre und Suite zu „Candide“ und Sergej Rachmaninows Sinfonische Tänze op. 45 durch die unterschiedlichsten rhythmischen Welten. Aber auch wenn sich die Orchesterfarben wie gewohnt prächtig entfalteten: Das sonst so brillante und perfekt miteinander kommunizierende RSO spielte unter der Leitung des hüftschwingenden Gastdirigenten Kristjan Järvi spannungslos und wenig zielorientiert.

Järvis lässiges Dirigierballett forderte in Bernsteins deftigen Klangschwelgereien so manch eine unnötige Übertreibung, und Rachmaninows Spätwerk tat es wirklich weh, dass Järvi keinen Sinn für den großen, stringenten Bogen zeigte. Das Stück zerfiel unter seiner Leitung in Einzelteile und provozierte so manches Gähnen.

 

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