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Bernd Alois Zimmermann. Foto: Schott Music
Bernd Alois Zimmermann. Foto: Schott Music
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Kolossales Ereignis: Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“ in Berlin

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Vierzig Jahre sind ist es her, seit Bernd Alois Zimmermanns eigenartige Mischform von Oratorium, Kantate, Messe und politischer Agitation als ein fünfviertelstündiges „Lingual“ in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde. Die Mammutkomposition verlangt neben einem Sinfonieorchester, einer Jazzband, Solisten und Sprechern sowie diversen Zuspielungen, vier leistungsstarke Chöre.

Die in Düsseldorf von Michael Gielen aus der Taufe gehobene WDR-Auftragskomposition, brachte derselbe Dirigent vier Jahre später zur Berliner Erstaufführung mit den Berliner Philharmonikern. Zum ersten Mal seither steht das Werk mit diesem Klangkörper für drei Aufführungen erneut auf dem Programm: ein kolossales Ereignis.

Mit dem Titel „Requiem für einen jungen Dichter“ ist kein konkreter Dichter gemeint; Zimmermanns Freundeskreis geht davon aus, dass der Komponist, der wenige Monate nach Vollendung dieser Komposition freiwillig aus dem Leben geschieden ist, dieses Requiem für sich selbst geschrieben hat. Die in seiner Oper „Die Soldaten“ angewandte multimediale Klangtechnik in einer Kugelgestalt der Zeit, als Aufhebung der Einheit von Ort, Zeit und Handlung, bestimmt auch sein letztes Werk, für das sich Zimmermann einen kugelgestaltigen Konzertsaal gewünscht hat. In dieser Hinsicht bietet sich der Raum der Berliner Philharmonie mit seiner zentralen Orchesterpositionierung trefflich an: mit dem Rundfunkchor Berlin als Hauptchor hinter dem Orchester, dem MDR Rundfunkchor Leipzig gegenüber, hoch im Rücken des Publikums, und den synchron singenden Herrenchören des WDR Rundfunkchors Köln sowie des SWR Vokalensembles Stuttgart rechts und links vom Auditorium.

Die dröhnende Klangcollage am Ende, mit der schließlich skandierend exklamierten Friedens-Forderung „Dona nobis pacem“ überzeugt in dieser Komposition Zimmermanns mehr als bei derselben klanglichen Idee am Ende seiner „Soldaten“, wo selbst die sonst großartige Bochumer Aufführung der Ruhr-Triennale (inzwischen auch auf DVD) Abstriche machen musste. Die bei der Uraufführungsproduktion zwei parallel laufenden Vierspurtonbänder mit den Stimmen von Papst Johannes XXIII., Imre Nagy, Kurt Schwitters, Adolf Hitler, Ribbentrop, Stalin, Goebbels, Churchill, Dubcek, sowie des Dichters Konrad Bayer, wurden zwischenzeitlich synchronisiert und auf ein Achtspurtonband übertragen, dessen Lautsprecher die Stimmen schwebend durch den Raum wandern lassen.

Bewegung entsteht im Kugelraum aber auch immer wieder durch Teile des Publikums, die entsetzt das Abonnementkonzert verlassen. Denn immer noch vermag die Partitur des insgesamt neunteiligen Requiems, durchsetzt mit Musikcollagen von Beethovens Neunter, über Wagners „Tristan“, bis zu „Hey Jude“ von den Beatles zu verstören und das Publikum zu spalten. Dessen größter Teil aber war begeistert und überschüttete die Beteiligten mit Ovationen. Dirigent Peter Eötvös, als Komponist auch Schüler Bernd Alois Zimmermanns, entfaltet die pluralistisch vielschichtige Partitur plastisch, durchsichtig und mit breiter Amplitude.

Eingebunden in die gewaltigen dynamischen Spannungsbögen sind die Sopranistin Caroline Stein und der Bariton Claudio Otelli. Und der Zusammenklang der Chöre war, gerade ob mancher Interferenzen, ein besonderes Live-Erlebnis. Da hätte es des ersten Teils des Symphoniekonzerts, zweier Bach-Choräle in der Orchestrierung von Arnold Schönberg (mit einem gleichwohl samtenen Para-Orgelklang) und des Siegfried-Idylls (in voller Streicherbesetzung, vergleichsweise kaum geglückt) nicht bedurft.

Das Konzert wird am 26. April 2009 ab 20.03 Uhr auf Deutschlandradio Kultur gesendet.
 

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