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v.l.n.r.: Ill-Hoon Choung (Osmin), Timo Schabel (Pedrillo) und Philipp Kapeller (Belmonte) Foto: Stephan Walzl
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Konstanze zwischen zwei Männern – Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ am Staatstheater Oldenburg

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Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel „Entführung aus dem Serail“ hat bei den interessantesten Regisseuren Konjunktur, die noch immer zu wachsen scheint. Kein Wunder, die Frage nach der Liebe ist ort- und zeitlos und sie es wird immer bleiben. Und da Mozart nie Antworten, sondern immer nur Fragen komponiert hat, kann ein Stück wie die „Entführung“, in die wir als maulende Kinder eher mitgeschleppt wurden, nie erschöpft sein.

Oldenburg hat vor vielen Jahren eine faszinierende Sicht von Antony Pilavachi vorgelegt: es gab eine Rahmenhandlung, in der die alte Konstanze wehmütig bedauert, den Bassa verlassen zu haben. Und zeitgleich zeigte Philipp Himmelmnn in Bremen, wie Konstanze aus der organisierten Flucht aussteigt. Dass Konstanze den Bassa liebt oder geliebt hat, ist inszenatorisch Allgemeingut geworden. Trotzdem scheinen noch unendlich viele menschliche Perspektiven offen, was jetzt die neue Oldenburger Inszenierung zeigte. Bei der 1988 geborenen Kateryna Sokolova haben Konstanze und der Bassa von Anfang an eine durch Schmusen und Schäkern gezeigte Beziehung, die erst ins Wanken gerät, als der Bassa Konstanze einen Heiratsantrag machen will. Dann erinnert sie sich auf einmal an ihren verflossenen Belmonte, symbolisiert durch dessen roten Mantel, den sie immer sucht und den sich am Ende verzweifelt der Bassa anzieht.

Das ist eine überzeugende Idee, die aber leider ihre Spannung dadurch verliert, dass soziale Kontexte wie Macht und Ergebenheit, wie oben und unten, nicht vermittelt werden können. Der Bassa hat ein schönes Landhaus, aber wer ist er eigentlich? Und wer ist Osmin, der in seinen Texten ja offensichtlich foltern und morden darf, was in dieser Inszenierung aber gar nicht sein kann. Folgerichtig gibt es auch keine Flucht aus dem Kidnapping, bei der die vier im Original ja erwischt werden. Wir wünschen uns ja keinen Orient zurück, aber wenn Konstanze singt „Martern aller Arten“, dann geht das ins Leere, denn diese hat sie hier nicht zu erwarten. „Nichts ist so hässlich wie die Rache“: auch Rache kann es in diesem Kontext gar nicht geben. Und so haben die vielen hochemotionalen Arien, Duette und das einzigartige Quartett keinen Ort, in dem sie so passieren könnte.

„Emotionale Inseln“

Dem steuert die Regisseurin zum Teil erfolgreich entgegen, indem sie manche Stücke sozusagen aus der Szene herausnimmt und das nackte Gefühl kontext- und zeitlos zeigt, „emotionale Inseln“ hat sie das im Interview genannt. Den Bassa als einen Mann zu zeigen, der Konstanze besitzen will und Belmonte als einen, der ihr Glück will – wie auch immer –, dazu braucht es neue Dialoge. Die sind nur bedingt logisch für eine vollkommene Veränderung der dramaturgischen Voraussetzungen. Trotzdem: ein mutiger, nicht ganz gelungener Versuch mit Mozarts Fragen an die Liebe fertig zu werden. Musikalisch hat Vito Cristofaro schon in der Ouvertüre mit hohem Tempo und vielen Generalpausen das Chaotische und Fragmentarische betont und eine betroffen machende Nähe zur sieben Jahre älteren „Cosi fan tutte“ erreicht. Die ungeheuerliche, bis heute so verstörende Musik von Mozart zerstört schon so früh (1782) bürgerliche und moralische Sicherheiten. Zuweilen vermisste man Lyrik und Poesie. Sooyeon Lee als Konstanze steigerte sich von Arie zu Arie außerordentlich, Philipp Kapeller als Belmonte konnte seine emotionale Verunsicherung auch stimmlich schön ausspielen und Johannes Sima als Bassa zeigte ein modernes, am Ende unglückliches Männerbild. Alexandra Scherrmann als Blonde, die wie Konstanze zwischen Bassa und Belmonte zwischen Pedrillo und Osmin steht, organisiert engagiert das Fest vom Bassa, Timo Schabel als Pedrillo, dessen Rolle im Haushalt des Bassa ebenso wenig erkennbar ist wie die von Osmin (Ill-Hoon Choung). Kurzer sehr herzlicher Beifall.

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