Hauptrubrik
Banner Full-Size

Künstlerschicksal und Rattenmärchen: „Lohengrin“ beendet den Premieren-Zyklus der Bayreuther Festspiele

Publikationsdatum
Body

Die Premierenabfolge bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen war insofern mit Bedacht aufgebaut, als „Lohengrin“ am Ende stand und in der Einheit von Musik und Szene nochmals einen Höhepunkt bildete. Auch im vierten Jahr wirkt die eigenwillige, sehr poetisch geformte und psychologisch ausgearbeitete Inszenierung von Hans Neuenfels frisch und unverbraucht: Nach sehr viel Redundanz an vorangegangenen Premierenabenden war es durchaus genussvoll, die Dichte dieser Inszenierung neu zu erleben.

Erst das wiederholte Betrachten ermöglicht die Überprüfung der Stimmigkeit jener inszenatorischen Details, die hier in Fülle gegeben sind. Als sich noch im ersten Teil des Vorspiels der Vorhang öffnet, erlebt der Zuschauer das intensive, vergebliche Bemühen eines jungen Mannes, eine Tür zu öffnen. Im Hemd und mit loser Krawatte, ist dieser Blondschopf die zunächst namenlose, inkognito auftretende Titelfigur. Jedes Bemühen zeitigt Erfolg; allerdings stellt sich dieser bisweilen anders ein, als erwartet. So erweitert sich der Innenraum des nach Draußen Strebenden in der Wahrnehmung. Als das gewünschte Ziel sich einstellt, die verschlossene Tür sich magisch öffnet und ihn durchlässt, muss er seinen Ausgangsraum einbüßen – und das Nachfolgende bleibt eine Terra incognita.

Diese moderne Umsetzung von Wagners eigener Deutung der im Vorspiel bereits musikalisch umrissenen Handlung des „Lohengrin“ als Künstlerdrama löst sich am Ende der Aufführung ein, wenn Lohengrin sich nach Verklingen der Musik in spannungsvoller Stille zwischen jenen Leichen, die er am Ende der tragischen Handlung zurücklässt, einen Weg nach vorne bahnt, hin zum Publikum, als einer weiteren, anderen Welt.

Die Vorgeschichte der Handlung rund um Elsa von Brabant, ihren verschwundenen Bruder Gottfried und den Kampf um die Thronfolge, erzählen animierte Filme von Björn Verloh als Rattenfabeln. Auch die Gesellschaft, bei der hier nicht zwischen Brabantern und Sachsen unterschieden wird, sind Ratten. Zugunsten anderer Uniformierungen können sie ihre animalischen Attribute, die langen Schwänze, die Köpfe, langen Füße und Hände, partiell und sukzessive auch ganz ablegen, aber sie bleiben doch Ratten im System einer klinischen Versuchsanordnung, die hier gesetzt ist. Selbst der fallsüchtige König wird von dem in blauer Schutzkleidung uniformierten Pflegepersonal abgeführt. Allerdings bewirken die Pfleger bisweilen auch das Gegenteil von der erwünschten Domestizierung: ein Attentäter wird zwar überwältigt, aber zwei verliebte Ratten setzen ihre Partnerschaft trotz Beruhigungsspitzen durch. Auch Lohengrin schafft es einmal, sich gegen diese stumme Obrigkeit durchzusetzen, als er das von den Pflegern zerstörte Kreuz für seine Hochzeit selbst wieder zu einem X zusammenfügt.

Der Chor hat gegenüber Wagners Spielvorlage häufigere Abgänge und erneute Auftritte. So erfolgt bereits die erste Begegnung zwischen Lohengrin und Elsa als eine intime Situation; nur Ortrud kommt hinzu und wird Zeuge des Frageverbots. Die Gesellschaft, die ihre Rattenkostüme an den Nagel gehängt hatte, kehrt für den Schlussjubel des ersten Aufzugs in goldgelben Fräcken und Strohhüten wieder.

Beim Publikum besonders beliebt sind die Auftritte der Kinderratten, wie auch das Erscheinungsbild der Chordamen im zweiten Aufzug, mit farblich gestuften, weiten Röcken, über denen ihre Rattenschwänze hängen, die von den Männern liebevoll gekost werden und mit denen die Frauen später auch wütend zuschlagen können.

Elektroakustische Schläge, die sich im dritten Aufzug erschreckend wiederholen, ersetzen im ersten Aufzug die drei Schläge des Königs gegen seinen Schild zur Eröffnung des Gottesgerichts. Die Waffenlastigkeit der Spielvorlage ist in dieser Inszenierung reduziert auf jenen stark spiegelnden Rundschild, der an den Stamm der Eichen-Topfplanze gelehnt wird, und auf das in der Topferde steckende Schwert des Königs. Mit diesem gewinnt der waffenlos anreisende Lohengrin den Kampf gegen Telramund. Selbst bei der Verteidigung gegen den ins Schlafzimmer eindringenden Rivalen entwendet Lohengrin Telramund dessen Waffe und erschlägt damit den im dritten Aufzug als Ratte kostümierten Widersacher. Jene drei Erinnerungsgegenstände, die er beim Abschied Elsa überreicht, Schwert, Horn und Ring, werden – da besungen – ihm von Dienern gereicht. Denn diese Inszenierung ist trotz aller Freiheiten immens text- und musikkonform.

Unmotiviert bleibt einzig jener komponierte Glockenton, mit dem im Original Lohengrin die Dienerinnen herbeiruft um Elsa für seine öffentliche Erklärung neu ankleiden zu lassen. Die emanzipierte Elsa braucht keine Dienerinnen, sie erscheint im letzten Bild im kurzen, schwarzen Kleid. Das zieht sie aus, um Lohengrin, dessen erotischen Annäherungen sie sich im Schlafzimmer verweigert hatte, nunmehr in der Öffentlichkeit durch Verführung und beinahe Vergewaltigung doch noch für sich zu gewinnen.

Bei dieser Szene, die in anderen Aufführungen häufig gestrichen ist, zeigt sich Klaus Florian Vogt rhythmisch unsicherer als im Rest der von ihm souverän beherrschten Partie. Das leicht säuselnde Timbre mit hohen Nasalanteilen bleibt sein Charakteristikum, aber in der Mittellage hat er mächtig zugelegt, wodurch seine Stimme nun heldischer wirkt. Auch im Ensemble des zweiten Finales tönt er mühelos und schön über dem Herrenchor. Annette Dasch, als die zunächst von äußeren Schmerzen, mit Pfeilen ihrer Bewacher, gepeinigte Frau ist – offenbar den enorm hohen Temperaturen geschuldet – stimmlich nicht immer in Hochform, meistert die Partie der Elsa aber mit Technik und Stimmkultur, wenn auch mit mangelnder Textverständlichkeit. Deutlicher als in den Vorjahren wird ihr Schwan-Faible, ihre Faszination für den in Lohengrins Kahn triumphal herumgetragenen Schwan, sodass sie selbst mit dem Siegschwert einen Freudentanz zwischen ihren Damen aufführt. Im zweiten Akt wird sie von Ortrud ertappt, als sie sich neben dem phallischen Kunstobjekt eines Gebrauchsschwans mit weißer Kappe offenbar gerade selbst zu einem Schwan machen will. Und am Ende des zweiten Aufzugs ergänzt sie durch Schwanenflügelbewegungen das Outfit ihres weißen Schwanenrocks.

Dem weißen Paar Elsa-Lohengrin steht mit Ortrud und Telramund ein schwarz gewandetes Paar gegenüber, dessen darstellerische Faszination im Kampf um die Vorherrschaft bis Ende des zweiten Aufzugs durchaus dominiert. Die erotische Hörigkeit dieses Paares ist facettenreich glaubhaft ausgespielt, gepaart mit fesselndem Parlando und im Piano leuchtenden Tönen von Petra Lang und zusätzlich eingebauten, grell kommentierenden Lachern. Bisweilen zu Ungunsten des Stimmklangs auf ein Zuviel an Sprechgesang setzt Thomas J. Mayer als politisch aufrechte Sympathiefigur. Auch nach der Niederlage ist er eine ungebrochene Persönlichkeit und bietet in den Ensembles stets einen charakteristischen Farbwert.
Im Schlussakt sind Positionen und Farben vertauscht. Weiß eingehüllt liegt der tote Telramund auf einem OP-Wagen, und die vordem als virile Frau mit langem, rotem Haarschopf in Frack und Gehrock schwarz gewandete Ortrud wird zu einer skurrilen Königin in weißem Rock und mit ebensolcher Krone, während das vordem weiße Paar Lohengrin und Elsa nun schwarz gekleidet ist und damit auch jener schwarzen Uniformierung der Gesellschaft entspricht, die alle Rattenattribute, aber auch jede Farbigkeit abgelegt hat.

Entgegen der in Medien und Randveranstaltungen der Festspiele leider überaus dominanten Hitler-Rezeption, besingt Lohengrin Gottfried nach dessen Rückverwandlung vom Schwan zu einem blähbäuchig gewaltigen Embryo-Terminator, nicht als „Führer“, sondern als „Schützer“.

Gegenüber dem Vorjahr unverändert sind auch die anderen Besetzungen: Samuel Youn als sympathischer Heerrufer, Wilhelm Schwinghammer als König Heinrich, der an Kernigkeit gewonnen hat, sowie das homogene Quartett der brabantischen Edelratten von Stefan Heibach, Willem Van der Heyden, Rainer Zaun und Christian Tschelebiew. Der von Eberhard Friedrich einstudierte, groß besetzte Festspielchor verkörpert die Ratten mit enormer Spielfreude und klingt selbst in der Tiefe der Bühne noch voluminös und nuanciert.

Trotz unsichtbarer Bühnenmusik erzeugt Andris Nelsons breite Räumlichkeit für die in dieser Partitur erstmals zum Tragen kommenden Bestrebungen Wagners zugunsten eines Mischklangs. Unter Hochspannung musiziert das Festspielorchester, wobei Belastungen durch die drückende Hitze dieses Tages im dritten Aufzug den Streichern in hoher Lage ebenso anzumerken waren, wie auch bei den Bläsern nicht alles im Reinen war. Besonders eindrucksvoll gelang der Reitermarsch, hier nicht als Verwandlungsmusik, sondern quasi als eine sinfonische Dichtung gesellschaftlicher Veränderungen, als ein Zwischenspiel zu leerer, offener Szene.

Hans Neuenfels unterbindet bei seinen Inszenierungen prinzipiell Pausenapplaus. Auch in diesem Jahr bemühte sich das Premierenpublikum vergeblich, das Verneigen der Sänger am Ende des ersten und zweiten Aufzugs zu erzwingen. Um so stärker war dann der Schlussapplaus, mit beinahe einhelligen Ovationen und Trampeln. Nur Thomas J. Mayer musste auch einige Buhrufe einstecken. Bei der Applausordnung fehlte in diesem Jahr allerdings erstmals der Regisseur.

Im nächsten Sommer wird es eine Neuinszenierung des „Lohengrin“ geben – im Rahmen der Reihe „Wagner für Kinder“. Hans Neuenfels’ imposante Inszenierung im mobilen, hellen Bühnenraum und den humor- und farbenreichen Kostümen von Reinhard von der Thannen bleibt aber weiterhin auf dem Programm der Bayreuther Festspiele, als eine inzwischen vom Publikum voll akzeptierte Produktion.

Weitere Aufführungen: 5., 8., 11. und 26. August 2013.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!