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Blick auf die Gewinne von Apple, Google & Co. oder Heckler & Koch. Foto: Hufner
Blick auf die Gewinne von Apple, Google & Co. oder Heckler & Koch. Foto: Hufner
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Kurz-Schluss – Wie ich einmal versuchte, mit „Industrie 5.0“ die globale Ökonomie zu befördern

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Seit der Hannover-Messe ist es der Hoffnungs-Begriff unseres Welt-Wirtschafts-Systems: die digital-humane Zusammenarbeit zwischen Maschine und Mensch. Die kollegiale Kollaboration von Homo sapiens und Roboter. Gespeist vom Wissen aus einer intelligenten Cloud. Bislang mussten Industrie-Robots von Humanoiden in Distanz gehalten werden, um grobe Verletzungen zu verhindern. Ein automatischer Produktionsassistent schont dank seiner Sensorhaut, die an modische Skai-Handtaschen erinnert, die Epidermis. Der Roboter-Greifer spürt, wenn sich ein Werktätiger nähert, und hält sich stille. Ein wahrhaft sanfter Kollege, ohne fiese gewerkschaftliche Hintergedanken. [Vorabdruck aus der Politik&Kultur 3/2015]

Was uns als Umsatz- und Rendite-Gigant unter dem Titel „Industrie 4.0“ präsentiert wurde, greift hilfreich in alle Lebensbereiche. Vom Kühlschrank, der seine Füllung selbst bestellt über automatische Staubsauger, Rasenmäher und Fensterputzer bis hin zum allwissenden Bodycheck-Armband, das zur Not den Krankenwagen ruft: Die „Assistenz-Systeme“ übernehmen lästige Arbeiten: Autofahren, Wäsche-Waschen, Klo-Spülen. Sie schmieden Flugzeuge und Panzer zusammen, schneller und präziser als es Fließband-Menschen je könnten.

Sie dienen als effektive und kostensparende Pfleger und Ansprechpartner für Demenz-Kranke, und demnächst wahrscheinlich auch als disziplinbedachte Lehrkräfte in unseren Kinder­gärten, Schulen, Unis. Allwissend, geduldig und niemals von irgendwelchen Burn-Out-Syndromen befallen. Sie betreiben streik- und unfallfrei pünktlich unsere öffentlichen Verkehrsmittel, kontrollieren aufs Peinlichste genau unsere Zahlungs-Möglichkeiten und -Verpflichtungen, überwachen einbruchsverhindernd Wohnungen, Häuser und melden Drogenmissbrauch sofort der Entzugs-Klinik. Sie produzieren Fernseh-Serien und Trivial-Romane, auf Wunsch sogar Gemälde sowie preiswert Kunst am Bau. In etwas fernerer Zukunft kommen Nahrungsmittel oder Bekleidung flott aus dem Home-3D-Drucker – Schlaraffenland wird Realität.

Schlaraffenland? Da lief doch was schief. Meine anfängliche Begeisterung für diese nahezu paradiesische Befreiung von allen erdenklichen lästigen Pflichten und Erschwernissen unseres Daseins kehrte sich – vermutlich ausgelöst durch meine derzeit von Arbeitslosigkeit verursachte leichte Depression in ein letztlich konstruktives Nachdenken. Denn nicht alle Erden-Bürgerinnen und -Bürger sind mit der vielseitigen Überlebens-Strategie ausgestattet, die es mir ermöglichte, jahrelang sogar bekannt knausrige Berliner Ministerien abzuzocken.

Absehbares Problem Nummer Eins: Ohne dass sie es wirklich merken, werden zig-Millionen Europäer und Amerikaner nix mehr zu tun haben. Die wenigsten dürften den Schein-Auftrag „Überwachung des Roboter-Armes“ rasch durchschauen. Dafür spricht der hohe Bequemlichkeits-Faktor und das medial geschickt vermittelte Gefühl, endlich mal Chef oder Chefin über eine Maschine zu sein. Dennoch bedarf es zunehmend einer Beschäftigungs-, besser Ablenkungspolitik, um leistungsgerechte Bezahlung – jetzt natürlich aus Steuergeldern, die dank der prosperierenden Industrie üppigst fließen, zu rechtfertigen.

Auch hier liefern intelligente Computer-Programme die Lösung: Komplexe digitale Simulationen (früher hätte man sie „Spiele“ genannt) – ersetzen zunehmend den Bedarf nach Anwesenheit am Arbeitsplatz. Das „Home-Office“ ist kameratechnisch überschaubar, energieeffizient und schützt vor aggressiven Zusammenrottungen Unzufriedener, weil die negativen Emotionen im häuslichen Umfeld ihre Entladung finden können. Die Simulationen enthalten teils technisch sinnvolle Aufgaben, teils psychotherapeutisch gesteuerte Sedierungs-Komponenten. Bezahlt wird nach einem Leistungs-Katalog, der häufig wechselt, um pseudodemokratische Zustände vorzuspiegeln. Eine Begrenzung der Kinderzahl durch hormonversetztes Trinkwasser ist anzuempfehlen. Man bedenke die Einsparungen allein durch den Effekt, dass die Konzerne ihre Fabrikationsstätten kaum noch heizen müssen.

All dies bedarf – absehbares Problem Nummer Zwei – noch der gründlichen informationellen und politischen Vorbereitung. Dabei bin ich mit meiner weitreichenden Manipulationskompetenz der EU und den USA – unserem gemeinsamen Kultur- und Werte-Umfeld – gegen angemessenes Honorar gern behilflich. Das Projekt habe ich unter dem Titel „Industrie 5.0“ bereits als Gebrauchsmuster schützen lassen.

Zunächst sind dank vorübergehender Investitionen in die Künste, in den Bio-Food-Bereich oder den Umweltschutz die völlig irrationalen Bedenken gegen jedwede Freihandelsabkommen aus der Welt zu kaufen. Mit Blick auf die Gewinne von Apple, Google & Co. oder Heckler & Koch dürfte es sich dabei um ein paar Peanuts-Billiönchen handeln, die nach Vollzug rasch an die Konzerne zurückfließen. Die transatlantische Vereinigung und Verteilung der Profit-Ströme ist dann mit einigen Vier-Augen-Gesprächen leicht zu regeln. Allein das nahe Ziel, die Zueignung des erwirtschafteten Gesamtkapitals von bislang ein Prozent der Weltbevölkerung auf ein handverlesenes halbes Prozent zu senken, dürfte die Herzen der wahren Entscheider stark erwärmen und richtig hoch schlagen lassen. In nächster Zeit bin ich schwer zu erreichen, weil ich permanent zwischen Brüssel und Washington pendele…

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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