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Wookyung Kim und der Chor der Sächsischen Staatsoper. Foto: M. Creutziger
Wookyung Kim und der Chor der Sächsischen Staatsoper. Foto: M. Creutziger
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Masken, aber kein Ball oder: Der Tod ist nackt

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Das Leben ist eine Lüge. Jetzt werden wir auch im Theater betrogen. Gewiss nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal. Zur Spielzeiteröffnung hat die Semperoper Verdis „Maskenball“ angesetzt. Aufgetischt wurden zwar Masken, aber kein Ball. Und nur sehr wenig Verdi.

„Un ballo in maschera“, das klingt nach Musik, nach rauschendem Fest, nach Verve. Ein Musikdrama der Inbrunst! Nicht so bei dieser ersten Neuproduktion der Sächsischen Staatsoper in der zweiten Saison von Intendantin Ulrike Hessler. Gastdirigent Carlo Montanaro, wiewohl Italiener, blätterte reichlich inspirationsfrei durch die doch so fulminante Partitur, er ließ die Staatskapelle zwar glänzen, gab ihr aber übermäßig viel Zeit dafür. Will sagen: Forschere Tempi, bezwingendere Dynamik hätten über die Schwachstellen der Inszenierung problemlos hinwegsehen lassen. Denn im Kern dieser Oper ist Energie in puren Emotionen gebündelt, der Plot um Polit-Intrige und Liebesmord hat es doch messerscharf in den Noten. Jede musikalisch auch nur halbwegs adäquate Interpretation müsste inszenatorische Schwachstellen umgehend ausbügeln, ja wettmachen. Noch bei geschlossenen Augen sollte diese Oper jede Blutbahn zum Kochen bringen. Das emotionale Potential dieses Dreiakters dürfte selbst Anfängern mehr als genug Handreichungen bieten, um nicht in öder Langweil zu versickern.

Zu hohe Erwartungen?

In einen „Maskenball“ geht man nicht ohne Erwartungen. Können die angesichts so genialen Musiktheaters zu hoch sein? Giuseppe Verdi hat in diesem von der Zensur heftig beargwöhnten Drama um Verrat und Königsmord alle Register gezogen und sich auch mannigfach selbst zitiert. Da klingen tenorale Themen von Machtgier an, Themen enttäuschter Liebe sind dem Cello eingestrichen, Feierlaune bringt der Chor lustvoll herüber. Hier ein Verweis auf „La traviata“, dort einer auf „Don Carlo“ und da auf „Rigoletto“; dennoch trägt jede Verdi-Oper genialisch individuelle Züge, erweist sich als prachtvolle Blüte eines abgründigen Reigens der menschlichen Komödie. Stets steckt ein höchst morbider Hauch – ach was, ein kräftiger Windstoß Doppelbödigkeit in jeder Partitur. Denn der Tyrann ist nicht nur ein Tyrann, er ist auch ein Liebender, der aus Respekt Verzicht üben kann. Wenn auch ein klein wenig zu spät. Der Betrogene ist nicht nur betrogen,  sondern auch Abbild falsch verstandener Begrifflichkeit von Ehre und Treue. Nur die Frau im Zwiespalt ist und bleibt Frau im Zwiespalt.

Regisseurin Elisabeth Stöppler hat in ihrer zweiten Arbeit für die Semperoper (nach Hans Werner Henzes „Gisela!“ 2010, s.nmz online vom 25.11.2010) so ziemlich alle Möglichkeiten der Bühnentechnik ausgeschöpft und damit eindrucksvolle Bilder geschaffen. So man sich davon nicht ablenken lässt, stellt sich aber durchweg die Frage, was das soll? Wo und wann spielt diese Oper, was haben die Typen da auf der Bühne miteinander zu tun? Allzu viele Beziehungen bleiben unkonkret, ohne jedoch das Zeug zum Archetypischen zu haben. Bewegtheit allein – zwölf Hubböden sind nahezu ständig im Einsatz, über ihnen werfen zwölf Leuchtelemente Licht in viel Nebel – kann nicht genügen, wenn emotionale Psychologie gefragt ist. Gefühl steckt noch am ehesten in den Kostümen und wird an ihnen deutbar: Renato zieht sich seinen schicken Pullover vom Leib und glänzt mit einem muskulösen, von Tatoos überzeichneten Oberkörper, während von seiner Verzweiflung und Wut die Rede ist. Als er damit fertig ist, zieht er den Fummel wieder an. Der stumme Tod hingegen wartet in Riccardos Mantel darauf, endlich mal wieder deutlich zu machen, dass der Tod nackt ist. Flugs fallen auch die Hüllen weiterer Komparsen und Chormitglieder, auf dass wir erfahren, der Tod macht alle gleich. Als wäre das Schlussbild von einem Dessous-Hersteller gesponsert worden …

Eine Regie, so austauschbar wie die Herrscher

Was Regie, Bühne (Rebecca Hingst und Annett Hunger) nebst Kostümen (Frank Lichtenberg) da vorgaukeln, erscheint auch im stimmungsvollen Licht (Fabio Antoci) in hohem Maße austauschbar und beliebig. Gewiss kann das viele Auf und Ab von einer aus den Fugen geratenen Welt künden, damit wären wir heute nicht viel weiter als zu Lebzeiten von Verdi. Doch die Personenführung erschöpft sich zu oft im Deklamatorischen, im Behaupten von Rage etwa (wie allein der in heutiger Straßenkleidung auftretende Sohn von Renato und Amelia hin- und hergestoßen wird, wirkt planlos konfus), hintergründiges Wehwuseln von Schemen lenkt davon nicht ab. So steht einmal mehr die Behauptung, dass Rachegedanken und Blut für Blut den wohl grandiosesten Irrtum der Menschheit darstellen. Aber das haben Herrscher noch niemals und nirgends begriffen.

Das sehr sängerfreundliche Dirigat Carlo Montanaras, der im Graben einen prachtvollen Klangteppich wob, tröstete freilich nicht über rhythmische Missverständnisse hinweg, die er mit dem betulich gewählten Zeitmaß meist rasch ausbügeln konnte. Der wie gewohnt glänzend präparierte Chor (Pablo Assante) fand sich darin bestens zurecht. Mit Marjorie Owens, Tichina Vaughn und Carolina Ullrich als Mutter Amelia, Hexe Ulrica und Page Oscar sind drei Ensemblemitglieder im Spiel, die – wenn auch mit unterschiedlich perfektem Italienisch – wunderbare Strahlkraft und Präsenz in sich vereinen. Auch Wookyung Kim, der einen zunehmend volltönenden Riccardo gab, zählte einige Jahre zum festen Ensemble in Dresden, inzwischen ist der Koreaner auf dem Weg zu einer Weltkarriere. Dort scheint Marco Vratogna schon angekommen, der mit seinem Renato ein mustergültiges Beispiel an leidenschaftlicher Italianità in perfekt gehandhabten Schattierungen abgab.


Termine: 3., 6., 9., 12. Oktober 2011
www.semperoper.de

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