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Juhan Tralla, Astrid Kessler. Foto: Copyright: Hans Jörg Michel
Juhan Tralla, Astrid Kessler. Foto: Copyright: Hans Jörg Michel
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Mit dem Sprenggürtel inszeniert – Jacques Fromental Halévys „La Juive“ in Mannheim

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Wurden nicht erst vor einigen Tagen in einem mit der Bundesrepublik gut befreundeten Land etliche Menschen einzig aus dem Grund hingerichtet, dass sie nicht der in ihrer Wohnregion mehrheitlich gepflegten Glaubensgemeinschaft angehörten? Das zentrale Problem der 1835 an der Opéra in Paris uraufgeführten „Jüdin“ ist unmittelbar aktuell.

Überwiegend handelt es sich um eine Ehebruchsgeschichte, wie sie zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten sich ereignet haben könnte. Die Story weist einige unterhaltsame Aspekte auf: Die betrogene Ehefrau ist des römisch-deutschen Königs und potentiellen Kaisers etwas beschränktes Töchterchen; der Betrüger, obwohl erfolgreicher Feldherr, im Privatleben ein Waschlappen und das süddeutsche Bürgertum zu Beginn des 15. Jahrhunderts mit der Mentalität der Pegida-Meute gesegnet. Die Affäre nimmt eine tragische Wendung, weil der außereheliche Verkehr nicht innerhalb der jeweils eigenen Religions- bzw. Volksgruppe stattfindet, daher als todeswürdig angesehen wird. Bekanntlich richtet sich die Sanktionierung von „Blutschande“ sowohl gegen die zu große Nähe der Partner wie gegen Verbindungen, die aus religiös oder rassisch begründeten Normen als zu ‚entlegen‘ angesehen werden.

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In freier Form knüpft das Libretto der Firma Eugène Scribe an Vorfällen an, die sich alten Chroniken zufolge am Rand des Konstanzer Konzils 1414/15 zutrugen. Mit Kardinal Brogni wird ein zentraler Strippenzieher der kirchlichen Großveranstaltung in Szene gesetzt, in deren Zuge nicht nur Jan Hus verhört, verurteilt und verbrannt wurde, sondern auch Judenverfolgung stattfand. Die Inszenierung, ursprünglich für die Flämische Oper Gent/Antwerpen entwickelt und nun für das Mannheimer Nationaltheater adaptiert, transponiert in eine zeitgleich und geographisch näher nicht bestimmte Gegenwart. Sie geißelt (und dies ist eine durchaus plausible Lesart des Librettos von Eugène Scribe!) Autoritätsstrukturen, Dogmatismus, Inhumanität und terroristische Auswüchse bei beiden Glaubensformen – der dominanten römisch-katholischen und der minoritären der Diaspora-Juden (damit keinerlei Missverständnisse aufkommen können, sind ihre Hände gelb, die der Katholiken blau). Trotz zeitweise einsetzender Einsichten bei Einzelnen und partiellen Ansätzen zum Interessenausgleich stehen sich die Konfliktparteien unversöhnlich gegenüber. Peter Konwitschny, der die Partitur erheblich kürzte, insbesondere um die zur Grand Opéra konstitutiv gehörenden Ballett-Nummern, hebt scharf auf die Pogrombereitschaft der Konstanzer Bevölkerung ab und die aus der Anonymität der Menge heraus sich entladende Bosheit. Die „Volkswut“ kulminiert in fröhlicher Lynchlaune. Auch das mag als bestürzend aktuell wahrgenommen werden.

Johannes Leiacker ließ so etwas wie eine Autobahnkirche auf die Bühne bauen. Aus deren kühlem Beton- und Leuchtröhren-Charme stechen die kräftigen Farben einer französischen Kathedralfensterrosette hervor. Eine Busladung SängerfreundInnen, die allesamt schon mindestens ein Piccolöchen gezwitschert haben, entlädt seine Sonn- und Feiertagsstimmung. Der Regisseur scheint den Mitgliedern des Opernchors freie Hand bei der Gestaltung deutscher Ausgelassenheit gelassen, auf das hurtige Treiben aber den einen oder anderen heiteren Regieeinfall draufgesattelt zu haben. Wenn der Mob z.B. den Goldschmied Eleazar und dessen Tochter dem Bodensee zutreibt, dann zieht er, um der Aktion eine karnevalistische Note zu verleihen, dem Vater eine Bischofssoutane über und Rachel ein Knecht-Rupprecht-Kostüm. Der See wird in Form einer alten Badewanne herbeigeschafft. Die Opfer überleben die Torturen, weil zuerst Kardinal Brogni interveniert, dann Rachels plötzlich auftauchender Liebhaber Samuel (der aber aussieht wie ein Leopold).

Die nächtliche Passah-Feier der kleinen jüdischen Gemeinde wird jäh durch den unerwarteten Besuch der angetrunkenen Kaisertochter Eudoxie beendet. Sie will vom Goldschmied das allerschönste Geschmeide für ihren siegreich aus einem der vielen Kreuzzüge gegen die Hussiten heimkehrenden Gatten, den Reichsfürsten Leopold, erwerben. Bei den Kaufverhandlungen ballert sie unqualifiziert herum. Eleazar nimmt ihr die Waffe ab und stellt, mit diesem Instrument seine Entschiedenheit unterstreichend, den offensichtlich mit dem jüdischen Ritual nicht vertrauten falschen ‚Samuel‘ zur Rede. Dessen doppelter Betrug wird offenbar. Indem Rachel ihren Partner zur Rede stellt, will er ihr etwas von seiner fortdauernden Liebe vorsülzen. Juhan Tralla treibt dies bis an die Grenze der Parodie mit seinem so gar nicht selbstfeldherrlich schmetternden Tenor, sondern fordert stimmlich mit jeder Phrase Mitleid ein. Der Schmelz der Cantilenen geht runter wie Butter, die genau die richtige Streichtemperatur aufweist, ist geschmeidig bis hin zum Weichlichen und gerade auch in dieser Extremsituation noch erotisierend oder gar verführerisch. Astrid Kessler, der energischen agil-blonden Rachel, geht dies Trallala rasch auf die Nerven. Sie steigt ins Auditorium und hinauf zur Reihe 8. Dort tigert sie hin und her, als hätte sie einen Hospitalismus-Schaden.

Rachel Kessler, die das Vertrauen des Vaters missbrauchte, ihre Ehre aufs Spiel setzte und nun einer Verurteilung zum Tod wegen „Blutschande“ ins Auge sehen muss, rechnet mit passgenauer Stimme ab. Die umsitzenden ZuschauerInnen bezieht sie unmittelbar in ihre Empörung ein mit rasch zwischen die (französisch) gesungenen Phrasen eingestreuten spitzen Bemerkungen (auf Deutsch: „Hat man sowas schon einmal gehört?“, „Das ist doch das Letzte“, „Jetzt singt er wieder eine Arie“ etc.). Der Luftkampf der koloraturengekrönten hohen Stimmen über 25 Meter hinweg ist eine Glanzparade im Dienste einer Inszenierung, die den verzweiflungswürdigen Handlungskern des Plots mit denkwürdiger Schärfe herausprozessiert. Auch Estelle Kruger, die hochadlige Gegenspielerin Eudoxie, stattet ihr robustes Ehemandat mit der imponierenden Strahlkraft eines Soprans aus, der um Macht und Herrlichkeit zu wissen scheint. Zugleich führt sie die Impertinenz einer herzlich unsensiblen Oberschichtzicke mit dicken Wadeln umwerfend vor. Weil er keinen Ausweg aus der von ihm eingerührten beschissenen Situation weiß, verkriecht sich der Herr Reichsfürst unter der Decke des Ehebetts, um das herum die beiden ungleichen Frauen eine allerliebste Komödie aufführen. Mehrfach lässt Konwitschny das komödiantisch angereicherte Groteske in blutigen Ernst umschlagen. Diese Aufbereitung von „La Juive“ gehört zu seinen besten Arbeiten.

Am Gelingen hat Alois Seidlmeier nicht geringen Anteil. Sicher führt er das gut disponierte Orchester durch die Wechselfälle der Musik, lässt das Anrührende der differenzierten Instrumentalfarben ebenso zur Geltung kommen wie den vormärzlichen Furor. Für ergreifende Momente sorgt nicht nur der singuläre Sound der Englischhörner, sondern insbesondere auch Zurab Zurabishvili in der grandiosen Partie des vom Schicksal überschwer geprüften Vaters. Der kann sich nicht überwinden, „seiner“ Rachel den grässlichen Tod zu ersparen, indem er das Geheimnis ihrer Herkunft rechtzeitig aufdeckt. Die in die interreligiösen und interkulturellen Mühlen Geratene bezichtigt sich zuerst öffentlich der „illegitimen“ Liebe und legt sich zu diesem Auftritt einen Sprengstoffgürtel um. Dann macht sie – von Eudoxie für lau in der Todeszelle umgestimmt – eine Falschaussage zugunsten des potentiellen Reichserben (sie habe, erklärt sie vorm Konzil, ihn zu Unrecht beschuldigt – da wäre nichts gewesen). Obwohl das Delikt jetzt eigentlich nurmehr eine gehobene Ordnungswidrigkeit ist, bleibt es bei der Höchststrafe für Tochter und Vater – die „Frechheit der Juden“ hat aus der Sicht der grundguten Deutschen keine andere „Antwort“ verdient.

Verzweifelt über die Aussichtslosigkeit ihrer fortdauernden Liebe und den Verrat der väterlichen Normen steigert sich Rachel in eine zunehmend heftige Todessehnsucht. Dass Eleazar und sie im weißen Smoking und Brautkleid aufs Blutgerüst steigen, mögen manche Zuschauer für eine skurrile Assoziation halten. Diese Einkleidung verweist auf die inzestöse Komponente jener Vater-Tochter-Beziehung, bei der kein leibliches Verwandtschaftsverhältnis gegeben ist: Es handelt sich bei Rachel um die Tochter des Rivalen Brogni, die Eleazar bei einer der zahlreichen Eroberungen und Brandschatzungen Roms aus einem brennenden Haus gerettet und – nachdem er durch Brognis Terror die ganze Familie verloren hatte – als sein Kind und Kleinod aufzog.

Ein Stich vom Schluss-Tableau der Uraufführung zeigt, dass Rachel in einem Arbeitsgang getauft und getötet wurde – in einem Taufbecken mit siedendem Wasser. Auf die in der Operngeschichte seit dem 19. Jahrhundert so fatale ‚Erlösung durch Vernichtung‘ antwortet Konwitschny mit einer Lösung vermittels des Abgangs durch die Mitte.

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