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 Foto: Oliver Killig
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Musikalische Zwiesprache in Dresdens Frauenkirche

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Zum zehnjährigen Bestehen der wieder aufgebauten Frauenkirche von Dresden gab es Feiern und Festkonzerte mit alter und neuer Musik. Michael Ernst hörte das neue Werk von Wolfgang Rihm und erlebte ein paar rabaukenhafte Personenschützer des Innenministers.

Ausgerechnet das Haus mit der musikalisch wohl fragwürdigsten, zumindest kompliziertesten Akustik in Dresden verdankt seine Besucherfülle wesentlich den darin abgehaltenen Konzerten. Das klingt wie ein Widerspruch, und der lässt sich auch nach den Festkonzerten zum zehnjährigen Bestehen dieses Hauses nicht lösen. Die Dresdner Frauenkirche steht wieder im Zentrum der Stadt, ist als Konzertstätte etabliert und wartet mit zumeist sehr klug konzipierten Programmen auf. Knapp zwanzig Millionen Menschen sollen das postbarocke Bauwerk in diesem Jahrzehnt schon besucht haben.

Zehn Jahre Dresdner Frauenkirche? Das ist, wenn nicht ein weiterer Widerspruch, so doch nur die halbe Wahrheit. Bevor ihr Wiederaufbau 2005 vollendet worden ist, lag sie ein halbes Jahrhundert lang als mahnender Trümmerhaufen im Zentrum der Stadt. Ihre eigentliche Geschichte reicht jedoch ins Jahr 1726 zurück, als Baumeister George Bähr sein Opus Magnum begann. Genau genommen, wenn nämlich auch die ersten Vorgängerbauten mitberücksichtigt werden, währt ihre Historie sogar schon ein gutes Jahrtausend.

Zum zehnten Geburtstag dieses alten und neuen Wahrzeichens aus opulent barock geschichtetem Sandstein gab es nun eine Festwoche mit zahlreichen Konzerten, die das Symbol gewordene Bauwerk auch mit Inhalt schmückten. Ein veritabler Höhepunkt ist Ende Oktober das Gastkonzert des Orpheus Chamber Orchestra aus New York gewesen. Dort hat Jan Vogler, Intendant der Dresdner Musikfestspiele und des benachbarten Moritzburg Festivals, einen Wohnsitz und zahlreiche Kontakte. Es überrascht also kaum, dass er die vielfache Verbindung von neuer Musik, exzellentem Ensemble und applaudierfreudigem Publikum zustande brachte.

Dass zu allerkleinsten Teilen dieses Publikums auch Personenschützer mit rabaukenhaftem Benehmen gehörten, mussten die wirklich an der Musik interessierten Besucher notgedrungen hinnehmen. In rüder Manier unterhielt sich Innenministers Begleitschaft, während die New Yorker Gäste am artgerechten Umgang mit der Raumakustik feilten.

Das stets ohne Dirigent musizierende Ensemble erwies sich bei unterschiedlichster Literatur kompetent, wechselte von Stück zu Stück Konzertmeister und Konzertmeisterin, die sich jeweils mit höchstem Engagement um Stimmführung und Gesamtleitung bemühten. Schon im jugendlichen Meisterwurf von Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ diesen Feier-Abend eröffnete, bestach das Orchester mit lichtvoller Klarheit. Im dialogisierenden „La Muse et la Poète“ für Violine, Violoncello und Orchester von Camille Saint-Saëns legten die 1972 formierten Orpheus-Musikanten einen wunderbaren, geradezu „fliegenden“ Teppich für die beiden Solisten aus. Mira Wang und Jan Vogler umrankten einander, umspielten sich beinahe rollenhaft als Muse und Dichter, wobei ihre Soli zu einem Doppelsolo verschmolzen, das an der Violine frei wie ein Vöglein ausgeführt wurde, während das Cello sanglich, aber nicht pedantisch exakt kommentierte.

Dem seit 18 Jahren verheirateten Künstlerpaar schrieb Wolfgang Rihm, der seinem Beinamen als „Brahms der Moderne“ zwar ziemlich gerecht wird, ihn aber wohl kaum noch gern hören mag, ein neues Doppelkonzert in die Finger. Als Auftragswerk zum zehnjährigen „Weihefest“ der Frauenkirche erklang Rihms „Duo Concerto“ für Violine, Violoncello und Orchester hier zur Europäischen Erstaufführung und wurde heftig bejubelt, nachdem es wenige Tage zuvor von der US-amerikanischen Presse zur Uraufführung in der Carnegie-Hall ziemlich abgewatscht wurde.

Dieses Doppelkonzert, ein Resultat der Künstler-Residenz von Wolfgang Rihm zum Moritzburg Festival 2013, ist ein Zwiegespräch der beiden Soloinstrumente, die sich ihrerseits am Orchesterklang reiben. Geheimnisvolle Passagen von Bläsern und Streichern wechseln sich ab mit sparsamen Dissonanzen und wechselseitig aufblitzender Virtuosität. Es ist eine Musik, die in keine Schublade gehört, Traditionen zwar aufgreift, ihnen aber absolut freien Lauf gewährt. Die so erzeugte Verhaltenheit erzwingt größere Wirkung als jede ausgestellte Exklusivität. Hier und da leidensvoll klingend, gar an Schostakowitsch gemahnend, wirkt es geradezu bildhaft, wie aus-deut-bar diese Musik geschrieben worden ist. Regelrecht vokal geführte Streicher-Soli, bis sie schlussendlich erschöpft ausklingen dürfen.

Wenn dieses „Duo Concerto“ ein Aushauchen des Einzelnen in der Menge gewesen sein soll, so war das Schlussstück dieses Konzertes das Aufgehen des Individuums im größeren Ganzen. Mit Robert Schumanns Zweiter Sinfonie C-Dur gelang dem New Yorker Ensemble eine Kantabilität, als gälte es, eine Messe zu zelebrieren. Würdig und stolz, dennoch spielfreudig agil überzeugte einmal mehr das höchste Konzentration erfordernde Konzertmeister-Prinzip des Orpheus Chamber Orchestra – das dafür großen Beifall freilich auch in den Satzpausen erhielt.

Sollte also ausgerechnet dieses Haus, das doch Besinnlichkeit ausstrahlen müsste, es angeraten scheinen lassen, sein touristisches Publikum nur mit einsätziger Kost abzuspeisen?

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