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Las den Prometheus im Volksschauspieler-Duktus: Josef Bierbichler. Foto: Markus Tedeskino
Las den Prometheus im Volksschauspieler-Duktus: Josef Bierbichler. Foto: Markus Tedeskino
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Noch ein Prometheus: Heiner Müllers Aischylos-Version mit Zwischenmusiken von Heiner Goebbels bei der Ruhrtriennale

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Leider nicht vor der Produktion von Carl Orffs „Prometheus“, sondern erst nach dessen zweiter Aufführung, erfolgte im Programm der Ruhrtriennale auch eine Szenische Lesung des „Prometheus“ in der Textfassung von Heiner Müller. Da Orffs wohl radikalster Musiktheaterbeitrag, zu dem ihn im Jahre 1960 der Regisseur Wieland Wagner angeregt hatte, auf altgriechisch gesungen und auch in der jüngsten, erst fünften Inszenierung dieser Oper, nicht übertitelt wurde, schien eine zusätzliche Information für die Besucher unerlässlich. Heiner Müllers deutsche Übertragung war im Programmheft abgedruckt. Da Müller aber selbst sagt, sein Text sei „nicht Wort für Wort lesbar, außer man liest ihn laut“, war eine öffentliche Lesung naheliegend.

Was nun an dieser als „Szenische Lesung“ angekündigten, von Heiner Goebbels eingerichteten, Veranstaltung als „szenisch“ vermeint war, sei dahin gestellt: Auftritte und Abgänge und Hinsetzen an mikrofonbestückten Tischen, an denen Müllers Text verkürzt abgelesen wurde, schienen die einzigen getroffenen Absprachen zu sein. Denn das Lesen fast aller beteiligten, namhaften Künstler wirkte als ein Vorgang primavista. Stolpern im Redefuss, sich verlesen, verdutztes Nachlesen und Wiederholten ganzer Textzeilen, sowie falsche Betonungen waren die Regel.

Als Prometheus blieb Josef Bierbichler die Inkarnation des Volksschauspielers Sepp Bierbichler, dessen bayerischer Slang vielleicht zu Orffs „Astutuli“ oder „Bernauerin“ adäquat gewesen wäre. Dem trotz seiner metallenen Fesseln aufbegehrenden, nonkonformistischen Feuerbringer konnte der Duktus des gelangweilt den Kopf in die Hand gelehnten Mimen nicht gerecht werden.

David Bennent, dessen Stimme offenbar von seiner Mitwirkung in Orffs Oper, trotz Mikrofonverstärkung angegriffen war, bellte an unterschiedlichen Tischen gleich zwei Rollen, die des Schmiedes Hephaistos und – wie in der Opernaufführung – den Götterboten Hermes. Rollengleichheit zwischen Oper und Schauspiel auch bei Kratos (Tomas Möwes) und Okeanos, wobei hier Dale Duesings britischer Akzent für unbeabsichtige V-Effekte sorgte. Unverzeihlich aber, dass offenbar kein Verantwortlicher der Ruhrtriennale den Schauspielern gesagt hatte, wie die Namen der Götter und Helden der griechischen Mythologie korrekt betont werden (so war beispielsweise „Mo-Iren“ statt „Moiren“ zu hören).

Im Gegensatz zu allen genannten Schauspielern und zu den Passagen des Chores (Inga Busch) hatte Judith Rosmair sich auf ihre Rolle der Io merklich vorbereitet und vermittelte diese mit Einfühlung und Aufbau von Spannungsbögen, ja produzierte sogar die Schreie der Io eigenwillig, mit im Sitzen zurückgeworfenem Oberkörper.

Warum dann also dieser Abend? Offenbar um die Kompositionen von Heiner Goebbels Orff gegenüberzustellen. Denn Goebbels hat im Jahre 1985 „Die Befreiung des Prometheus“ als Hörstück nach Heiner Müller komponiert, und Ausschnitte daraus wurden zwischen die gelesenen Szenen eingeblendet – allerdings nur aus der Konserve, mit rückwärts laufenden Tonaufnahmen und verzerrten Wortfetzen. Synthesizer-Repetition beim Auftritt der Io und Barmusik-Allusionen beim Auftritt des Hermes zeigen, wie in dieser Komposition ausdeutende Schilderungen der archaischen Klanggewalt von Orff nicht das Wasser reichen können; am ehesten nachdrücklich klanglich symbolisiert erscheint bei Goebbels die Bremse, durch welche Io angetrieben wird, ziellos klagend durch die Welt zu irren.

Wie bei den anderen Premieren dieser Ruhrtriennale wurde das Publikum kurz vor Beginn aufgefordert, eine zuletzt die Plätze einnehmende, aus Bochumer Schulkindern gebildete „no education“-Jury im Auditorium mit Applaus willkommen zu heißen. Diese Kinder haben sich in den ersten Reihen allerdings merklich gelangweilt. Dem von Aischylos faszinierend gezeichneten Weltbild und der darin erfolgenden Entwicklung der Menschheit vermochten sie in der Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord eben so wenig abzugewinnen, wie dem Leiden des Prometheus, das Orff als Motto dieser Handlung herauskristallisiert hat, das aber auch in der Opernproduktion der Ruhrtriennale eliminiert wurde.

Stärker noch als bei John Cages „Europeras 1&2“ und bei „Prometheus“ von Carl Orff, wurde an diesem Heiner Müller-Abend das Fehlen eines Regisseurs eklatant deutlich. Heiner Goebbels, der als künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale für deren Gesamtleitung verantwortlich ist, kann beileibe nicht auch noch die Funktionen der Regisseure ersetzen. Der Applaus war mau.

Weitere Aufführung: 20. September 2012

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