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don Giovanni in Brüssel. Foto: Bernd Uhlig
don Giovanni in Brüssel. Foto: Bernd Uhlig
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Nymphomaniac III oder der verschwundene Charme der Bourgeoisie – In Brüssel inszeniert Krzysztof Warlikowski Mozarts Don Giovanni wie ein Nachwort auf eine übersexualisierten Welt

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Dieser „Don Giovanni“ beginnt zunächst im Theater. Der Komtur hat mit einer jungen Begleitung in der einen Seitenloge platzgenommen. In der Loge vis a vis serviert die aufgedrehte und aufgetakelte Donna Anna erst Don Ottavio ab und schaut sich dann gemeinsam mit Don Giovanni und Leporello und uns allen, einen Softporno an, in dem ein Don Giovanni in der Metro einen Kontakt knüpft, der mit Gruppensex im Hotel endet. In der Loge gibt es dazu einige, von Donna Anna ausgehenden erotischen Handgreiflichkeiten. Inklusive einer wie für zusätzlichen Nervenkitzel gezückten Pistole. Der Schuss, der sich löst, trifft den Komtur, der inzwischen empört die Loge gewechselt hatte.

Danach geht es unten auf dem glatt polierten Parkett der eiskalt gestylten Eleganz der Bühne von Malgorzata Szczesniak weiter. Hinauf in die Loge kommen sie nur noch einmal, wenn der dort platzierte tote Komtur zum Dinner geladen wird, während sein lebendiges Double von der gegenüberliegenden Loge aus singt.

Was wir hier miterleben erweist sich als eine bitter düstere Bestandsaufnahme einer Welt, in der die Übersexualisierung zurückschlägt, ja längst in eine allgemeine Beziehungs- und Liebesunfähigkeit umgeschlagen ist, und allenfalls der dumpfe Trieb triumphiert.

Für den hat der einst vor allem von Gerard Mortier protegierte polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski in dieser bourgeoisen Welt ohne Charme seltsam fremd wirkende archaische Personifizierungen gefunden. Mit autonomer Präsenz ist es beim ersten großen Fest eine dunkel gefärbte, nackte Table-Tänzerin, deren Stöhnen noch in der Stille nach Finale zu hören ist. Beim Dinner mit dem Komtur, für das sich Don Giovanni selbst wie in einer Kochshow ans Fleischzubereiten macht, gerät dann eine schwarze Schamanin so in Ekstase, dass ihr der Schaum vor den Mund tritt.

Don Giovanni selbst ist als großer Frauenverführer von Anfang an längst müde, ja erledigt. Wie ein gealterter Star hat er zwei Angestellte als Hilfe für fast alles. Und Visionen, etwa die eines seilspringenden jungen Mädchens. Den Frauen in seiner Umgebung geht es nicht viel besser. Vor allem Donna Anna. Weil die in Brüssel von Barbara Hannigan gespielt wird, könnte sie hier auch Donna Lulu heißen. Es ist einfach atemberaubend, wie sie die dunkle, verzweifelte Seite der Donna Anna ans Licht bringt. Wenn der Komtur am Ende mit seiner großen Predigt losdonnert, dann kriecht sie am Boden von der Rampe aus auf ihn zu als wäre sie gemeint. Und Don Giovanni, der auf dem großen Tisch liegt, als wäre er in der Pathologie gelandet, schneidet sich selbst die Kehle durch. Bei seinem ersten Selbstmordversuch am Ende des ersten Aktes, war ihm gerade noch eine Frau in den Arm gefallen und hatte ihm den Lauf der Pistole wieder aus seinem Mund gezogen, noch bevor er abdrücken konnte. Barbara Hannigan zu hören, ist von den auch in schwierigster Lage sicher geführten Spitzen abgesehen, keine Donna Anna Erleuchtung. Sie dabei spielen zu sehen aber eine Sensation. Eine Verführungsattacke schlechthin, die die Männer verunsichern muss. Und mit recht. In der erst vorenthaltenen, aber nach dem ersten Beifall nachgereichten Schlussnummer, muss auch Don Ottavio noch dran glauben. Anna hatte die Pistole noch… Warlikowskis Deutung ist ambitioniert. Im ersten Teil gelingt ihm auch ein atemberaubendes Kammerspiel mit Obsessionen. Im zweiten Teil dann wirkt das fade und durchweg zu gedehnte Dirigat von Ludovic Morlot auf die Bühne zurück, lähmt über das wohl beabsichtig erhellende Maß hinaus. Der exzellente Leporello Andreas Wolf und der intensiv gestaltende Don Giovanni Jean-Sébastien Bou führen vokal das darstellerisch durchweg höchst überzeugende Ensemble an. Zu dem steuern Rinat Shaham eine fulminante Donna Elvira, Jean-Luc Ballestra einen überzeugenden Masetto bei. Der ist in dieser Deutung wahrscheinlich der einzige, den man ohne gründliche Untersuchung ins normale Leben entlassen könnte. An seiner Seite ist Julie Mathevet eine handfest kokette und gerne auch mal betont lockere Zerlina. Die ist so gescheit, dass sie bei Don Giovannis improvisiertem Heiratsantrag einen Lachanfall bekommt. Willard White ist ein leicht fahler aber im Ganzen würdiger Komtur, während der überzeugend spielende Topi Lehtipuu einige Mühe hat, die Geschmeidigkeit der Ottavio Arien zu bewältigen.

Das Brüssler Publikum hatte an diesem Don Giovanni Brocken ganz schön zu knabbern. Dass es erst für Donna Elvira zweite große Arie mal einen Szenenapplaus gab, kann auch an der Dichte der Szene gelegen haben. Aber in der Pause machten sich etliche Zuschauer davon und am Ende blieb der Beifall eher bescheiden. Mit einer Reihe Buhs für die Regie.

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