Hauptbild
Radio-Gala in Chemnitz. Foto: Nasser Hashemi
Radio-Gala in Chemnitz. Foto: Nasser Hashemi
Hauptrubrik
Banner Full-Size

„Opernrevue mit Stammtisch“: Rundfunkgala zur aktuellen Situation der 19 mitteldeutschen Musiktheater

Publikationsdatum
Body

Nachhörbar in der Mediathek: Die am Samstag-Abend von angekündigten 175 Minuten auf 193 pausenlose Sendeminuten verlängerte Radiogala „Aus ferner Nähe“ wurde ein Kompendium von Ansätzen zur Bewältigung der Pandemie-Krise der Musiktheater. Über insgesamt 70 Sänger*innen, Musiker*innen, Intendant*innen und Spartenleiter*innen waren der Einladung von Generalintendant Christoph Dittrich in die Oper Chemnitz zu musikalischen Beiträgen und Gesprächen gefolgt. Über 20 Tage brauchten der Chemnitzer Betriebsdirektor Patrick Wurzel und das KBB-Team, um die Mitwirkenden für musikalische Live-Beiträge in Minibesetzung und zu Gesprächen mit Bettina Volksdorf (MDR Klassik) und Stefan Lang (Deutschlandfunk Kultur) auf der Bühne und in den Foyers zusammenzutrommeln. 19 mitteldeutsche Musiktheater waren der Einladung mit Freude gefolgt.

„Die Vorschriften ändern sich alle zwei Tage.“ sagt Ingolf Huhn, Intendant des Eduard-von-Winterstein-Theaters Annaberg-Buchholz an einer Stelle und kann trotzdem ein Ferienprogramm anbieten, weil sein Haus wegen der Openair-Saison auf der Naturbühne Greifensteine die Theaterpause generell im Frühsommer hat. Seit 15. Mai 2020 darf in Sachsen unter strengen Auflagen wieder Theater gespielt werden. In Thüringen gibt es bis 31. August keinen Spielbetrieb, aber im Theater Altenburg-Gera und andernorts wird intensiv geplant UND geprobt. Die Moderatoren hatten Statements der zuständigen Kultusministerien eingeholt. Barbara Klepsch (Sachsen) will die Krise nicht kleinreden und sieht klassische Großveranstaltungen wie knapp vor dem Shutdown „Gurrelieder“ mit 300 Chorsänger*innen in der Semperoper momentan in weiter Ferne. Benjamin-Immanuel Hoff (Thüringen) glaubt an neue Lösungen in Zusammenarbeit mit den Theatern im Falle weiterer Pandemie-Wellen und denkt an adäquate Umbaumaßnahmen.

Dagegen stehen Worte der Beteiligten: Stefan Klingele, Chefdirigent der Musikalischen Komödie Leipzig, artikuliert klar: „Das wichtigste Ziel sind so bald wie möglich Vorstellungen in voller Besetzung und Personalstärke.“ Genau: Mit Pauken, Trompeten, Chor, vollem Orchester und Ballett, das Kay Kuntze, Generalintendant des Theaters Altenburg-Gera, als Verantwortlicher für die inklusive Elev*innen 36 Stellen des Thüringer Staatsballetts in die Diskussion einbringt.

Viele Theater präsentieren solche Formate mit Talks und Musik als Spielzeitauftakt vor ‚echtem’ Publikum. Jedes Haus vom Nordharzer Städtebundtheater bis Annaberg, von Meiningen bis Görlitz entsendete musikalische Beiträge und Gesprächspartner*innen. Das offenbarte überwiegenden, stellenweise sogar strengen Optimismus. Die Künstler*innen hatten sich feingemacht wie zu einem ‚echten’ visuellen Auftritt. Das konnte man im Rundfunk natürlich nicht sehen, aber an der Inbrunst und Freude nach zehneinhalb Wochen Sperre hören. Statt Mozart gab es Paul Dessau, Joseph Haas und Stephen Sondheim, neben Verdi und Wagner auch Dvořák – also nicht nur das übliche Wunschkonzert und damit einen Beweis für die Lebendigkeit der mitteldeutschen Musiktheater-Spielpläne.

„Die Vorschriften ändern sich alle zwei Tage“

Bei der Radiogala „Aus ferner Nähe“ war trotzdem einiges anders als bei ‚normalen‘ Spielzeit-Präsentationen. Das aktuelle Theater- und Musiktheater-Unwort „Systemrelevanz“ fiel kein einziges Mal und trotzdem merkte man: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Peter Theiler, Intendant der Semperoper, freute sich in einer Audiobotschaft, dass nicht nur gejammert werde im deutschen Theater-Eldorado für 4000 Festangestellte. Dagegen bekannte Aron Stiehl mit affektiver Rhetorik, dass sogar er als designierter Intendant des Theaters Klagenfurt zum Beispiel aufgrund ausgefallener Wiederaufnahmeproben an der Oper Leipzig in prekäre Finanzengpässe gerate.

„Termine sind heilig“

Ankündigung der Spielzeit 2020/21

„Termine sind heilig.“ Dieses von Ansgar Haag, Intendant des Theaters Meiningen, vorgetragene Axiom ist für die meisten der anwesenden Theater gültig. Die um die Schließung Mitte März eigentlich fertig gestellten und in Broschüren vorliegenden Angebote für die kommende Spielzeit mussten mehrfach verworfen und modifiziert werden. Die meisten Theater haben für Eventualitäten durch Corona-Konsequenzen inzwischen Angebote mit vom Plan A in mehreren Varianten transformierbaren Stück- und Personalkapazitäten. Einstimmige Meinung: Echtes Musiktheater ist sinnlicher, emotionaler und beglückender als die digitalen Substitute: „Wir sollten das tun, was wir besser können.“ (Franziska Severin, Operndirektorin der Oper Leipzig). So schnell wie möglich.

Sommersaison 2020 (Details auf den Websites der Musiktheater)

An den beliebten Sommer-Spielstätten findet etwas statt, wenn auch meistens nicht das ursprünglich angekündigte Programm. Das Theater Plauen-Zwickau spielt auch im Hof des Malzhauses Plauen, als Ersatz für die vollgültigen Erfurter Domstufen-Festspiele mit „Nabucco“ gibt es Konzerte. Die Landesbühnen Sachsen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ im Innenhof der Moritzburg aufführen und Kathrin Kondaurow bezieht mit ihrem Ensemble die Außenräume um die Staatsoperette Dresden im Werk Mitte. Es wird viele Konzerte mit Highlights aus Oper und Operette geben.

Instabile Planungssituation

Entfallene und geplante Auftritte freischaffender Künstler*innen

Kay Kuntze ist sich einig mit Stefan Klingele: Die Zusage zukünftiger Engagements als Ersatz für die vertraglich fixierten und durch Corona ausgefallenen Vorstellungen sind als Zukunftsperspektive enorm wichtig. Kuntze sieht sich aufgrund der instabilen Planungssituation dazu veranlasst, möglichst flexible Angebote vor allem mit Festangestellten seines Theaters zu entwickeln, auch um möglichst komplikationsfrei auf kurzfristige Umstellungen reagieren zu können. Patrick Wurzel, Betriebsdirektor Chemnitz, erwähnt die existenzbedrohenden Einbrüche in den Kassen freier Agent*innen durch die geplatzten Auftritte ihrer Klienten.

Nutzung freier Zeitressourcen in der Pandemie

Digitale Handzeichen und künstlerische Programme für Seniorenwohnheime und private Darbietungen gab es von mehreren Ensembles. Etwas besonderes fand am Deutschen Nationaltheater Weimar statt: Dort konnten Sänger*innen des Ensembles mit dem musikalischen Team um Dominik Beykirch die klaffenden Zeitressourcen mit der Einstudierung neuer Partien als Investition für die eigene künstlerische Zukunft nutzen, selbst wenn die entsprechenden Werke nicht in absehbarer Zeit geplant sind.

Der Vorhang zu und viele Fragen offen? Gewiss. Einige Argumente und Fakten hatte man bereits in den letzten Wochen gehört. Insgesamt zeigte die Gala durch den facettenreichen Fragen-Cocktail und die fast immer lebendigen, aber auch nachdenklichen Gesprächsbeiträge einen dynamischen Puls und gute Distanz zum Melodram. Gejammert wird tatsächlich woanders. Gerade deshalb wuchs der Wunsch, den Beteiligen je eher desto lieber bei einer Live-Aktion alsbald wieder zu begegnen. Egal ob in einem Areal für maximal 490 Zuschauer oder für nur 20, ob mit Alltagsmaske oder im Idealfall ohne.


Sa 30.05.2020, 20.05-22.18 (Deutschlandfunk Kultur, MDR Kultur und MDR Klassik)

Musikalische Beiträge: Siyabonga Maqungo aus Les Misérabes (Oper Chemnitz) – Richard (Ric) Furman aus Die Meistersinger von Nürnberg (Oper Magdeburg) - Jordanka Derilova aus Katinka und der Teufel (Anhaltisches Theater Dessau) - Max An aus Der Zarewitsch (Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt) – Romelia Lichtenstein aus Ein Maskenball (Oper Halle) – Oleksandr Pushniak aus Lanzelot (Aufnahme: Deutsches Nationaltheater Weimar / Vorstellungen im Theater entfallen wegen Corona) – Margrethe Fredheim aus Lohengrin (Theater Erfurt) - Kyounghan Seo aus Der Liebestrank (Theater Nordhausen) - Carolina Krogius aus Märchen im Grand-Hotel (Meininger Staatstheater) - Anne Preuss und Alejandro Lárraga Schleske aus Eugen Onegin (Theater Altenburg-Gera) - Patricia Bänsch aus Fidelio (Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau) – Jason-Nandor Tomori und László Varga aus Die Hochzeit des Jobs (Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz) - Wonjong Lee aus Aida (Theater Plauen-Zwickau) – Leonora del Rio aus Der Konsul (Mittelsächsisches Theater Döbeln-Freiberg) - Annika Gerhards und Laila Salome Fischer aus Die Banditen (Staatsoperette Dresden) – Tobias Bieri und Antje Kahn aus Sunday In The Park With George (Sächsische Landesbühnen Radebeul) – Magdalena Hinterdobler aus Die Frau ohne Schatten (Oper Leipzig) – Einzugsszene und Chor aus Prinzessin Nofretete (Aufnahme: Musikalische Komödie Leipzig) – Stéphanie Müther aus Götterdämmerung (für Oper Chemnitz) - Musikalische Begleitung bzw. Leitung: Johannes Rieger, Ralph Neubert, Dominik Beykirch, Harish Shankar, Yury Ilinov, Stefan Klingele, Samuel Bächli u. a.

  • Verfügbar in den Mediatheken von Deutschlandfunk Kultur und MDR Kultur und MDR Klassik.
  • Aktuelles auf den Websites der mitteldeutschen Musiktheater

 

 

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!