Hauptbild
Dagmar Schellenberger. Foto: Pressefoto
Dagmar Schellenberger. Foto: Pressefoto
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Pressefreiheit, Travestie, tolle Musik – Zum 200. Geburtstag von Franz von Suppé

Publikationsdatum
Body

Die Sopranistin Dagmar Schellenberger sang über zwanzig Jahre Rosalinde in „Die Fledermaus“ und „Die lustige Witwe“ sogar in französischer Sprache. Doch zu ihrer ersten Auseinandersetzung mit Franz von Suppé (18. April 1819 bis 21. Mai 1895) kommt es erst jetzt in „Der Teufel auf Erden“ als Koproduktion der Oper Chemnitz (Premiere: 27. April 2019) und der Volksoper Wien. Dabei ist Suppé noch vor Johann Strauß Sohn der Begründer der Wiener Operette. Warum erscheinen Suppés Meisterwerke wie „Banditenstreiche“, „Die schöne Galathee“, „Boccaccio“ und „Fatinitza“ heute so selten auf den Spielplänen? Mit Dagmar Schellenberger unterhielt sich Roland H. Dippel am 10. April in Chemnitz zum Jubiläum des 200. Geburtstags von Franz von Suppé am 18. April 2019.

Roland H. Dippel: Sie singen ab 27. April 2019 in seiner bis heute nur ganz selten gespielten Operette „Der Teufel auf Erden“ die Stiftsvorsteherin Aglaja am Opernhaus Chemnitz. Welche Berührungspunkte hatten Sie als Sängerin und Intendantin bisher mit Werken Franz von Suppés?

Dagmar Schellenberger: Ich muss gestehen, dass es meine erste direkte Auseinandersetzung mit Franz von Suppé ist. In den ersten Jahren an der Komischen Oper Berlin war immer wieder seine Travestie „Die schöne Galathee“ angedacht, eine Produktion von „Boccaccio“ zerschlug sich. Bei den Seefestspielen Bad Mörbisch kreisten die Gedanken meines wissenschaftlichen Beraters Hans-Dieter Roser, der 2007 eine Monographie über Franz von Suppé veröffentlicht hatte, immer wieder um bekannte Suppé-Titel wie „Banditenstreiche“ oder „Boccaccio“. Aber für die riesigen Raumdimensionen der Seebühne schien uns Suppé letztlich zu filigran. Denn sogar ein Spitzentitel wie Zellers „Vogelhändler“, der direkt in der Tradition Suppés steht, war für uns dort ein eher gewagtes Unterfangen.

Roland H. Dippel: Das klingt wie ein grundsätzlicher Einwand gegen die Bühnentauglichkeit Franz von Suppés in der Gegenwart ...

Dagmar Schellenberger: Nein, so meine ich das überhaupt nicht! Wenn früher viel gespielte Werke heute kaum noch auf die Bühne kommen, sagt das noch lange nichts über ihre Qualität aus. Diese ist bei Suppé immer sehr hoch. Vielmehr hat das mit der uns heute nur schwer verständlichen Sensibilität zu tun, mit der in vielen Operetten auf Tagesereignisse ihrer Entstehungszeit reagiert wurde. Dann heißt es, die Handlung sei dünn oder uninteressant... Oder Musik und Text seien mit heutigen Unterhaltungsbedürfnissen nur in Ausnahmefällen kompatibel. Wir müssen gerade deshalb genauer hingucken, bei Operette noch mehr Risikofreude und Neugier entwickeln. 

Roland H. Dippel: Warum, denken Sie, steht Suppé heute nicht mehr so stark im Fokus wie der Operettenkomponist Johann Strauß Sohn oder Carl Millöcker?

Dagmar Schellenberger: Auch Carl Millöcker gilt heute unter Theatermachern nicht mehr ohne weiteres als Selbstläufer. Da merkt man in der Operette eine Repertoire-Verschiebung wie in der Oper von Lortzing zu Donizetti. Im Fall von Suppé halte ich das für ganz und gar unverständlich. Denn an der Chronologie seiner Bühnenwerke sieht man deutlich, wie sich von etwa 1860 bis 1880 aus der Begeisterung für Offenbach durch die Einrichtungen von Johann Nestroy und Carl Binder aus den Opéras bouffes und der regionalen Posse die Wiener Operette entwickelte. Suppé komponierte Einakter wie Offenbach, Strauß begann gleich mit abendfüllenden Werken. Wahrscheinlich hängt es auch nur mit unseren eigenen Operetten-Klischees zusammen, dass Suppé weniger Bedeutung beigemessen wird. Suppé entwickelte seine musikalische Dramaturgie eher aus Märschen, ein das System und seinen Druck bestätigendes Musikgenre. Bei Strauß hingegen dominiert der Wiener Walzer. Mit diesem assoziieren wir immer das Sinnliche und tendenziell Zerfließende, was man auch der Operette als Gattung zuschreibt. Aber das ist eine persönliche Vermutung.

Roland H. Dippel: Bleiben wir beim dramaturgisch-musikalisch ‚Zerfließen‘. Wie Marie Geistinger, die allererste „Fledermaus“-Rosalinde und Direktorin des Theaters an der Wien, haben Sie Erfahrungen als Sängerin und Intendantin. In beiden Positionen gerät man doch heute in die Risikozonen zwischen der geforderten historisch informierten Aufführungspraxis und den aus heutiger Perspektive aberwitzigen Besetzungskonstellationen zur Zeit von Suppé. Heute unvorstellbar. Marie Geistinger sang Rosalinde, eine an Schwierigkeiten „La traviata“ ebenbürtigen Partie und auch Suppés „Boccaccio“ in 'Hosenmezzo'-Lage...      

Dagmar Schellenberger: Operette muss sehr gut gesungen werden, aber das ist noch lange nicht alles. Viele Partien Suppés sind genauso anspruchsvoll wie die von Strauß und Lehárs Tenor-Partien für Richard Tauber. Aber früher gab es offenbar mehr universelle Darsteller, die mehr häufiger noch als heute Musical-Darsteller auch virtuose Sänger, gleichzeitig tolle Schauspieler und Tänzer waren. Umgekehrt hatten Künstler Erfolg gerade durch ihre Persönlichkeit, mit der sie künstlerische Defizite ausglichen oder diese sogar zu ihrem Alleinstellungsmerkmal machten. Zum Beispiel der legendäre Alexander Girardi, der in Wien mit Erfolgen in Suppés „Afrikareisender“ bis zum „Zigeunerbaron“ über Jahrzehnte eine vergleichbar epochale Bedeutung hatte wie heute Dagmar Manzel als Operettendiva für die Ära Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin. Belcanto-Souveränität ist in der Operette nur ein Teilaspekt, wenn auch ein wichtiger. Das sieht man bei Fritzi Massary, die bei den Salzburger Festspielen die Adele gesungen hat. Heute ist durch die in den Medien vorgeführte Perfektion und Erwartungshaltungen der Theaterleitungen eine Sängerin ohne hohes D in dieser Partie allerdings undenkbar. Die Ansprüche haben sich enorm verschoben.

Roland H. Dippel: Was bedeutet das für die Neuproduktion einer Operette wie Suppés „Der Teufel auf Erden“?

Dagmar Schellenberger: Diese Produktion ist fast wie eine Uraufführung. Wir spielen hier am Theater Chemnitz wie die Theaterakademie August Everding 2016 in München, die eine Band „nach Franz von Suppé“ einsetzte, eine szenische und musikalische Neueinrichtung. Das war zu Suppés Zeiten nicht nur wegen der Zensur, sondern auch aus künstlerisch-pragmatischen Erwägungen an der Tagesordnung. Insofern lässt sich sagen: Mit einer verantwortungsbewussten Gestaltung agieren wir historisch informiert im Sinn der sich zu Lebzeiten Franz von Suppés erst herausbildenden Gattung, die wir heute generell Operette nennen.

Roland H. Dippel: Deshalb noch einmal die Frage: Warum kommt Suppé trotz einiger jüngerer Ersteinspielungen von Stücken wie „Pique Dame“, „Des Matrosen Heimkehr“ und vor allem von „Fatinitza“, einem seiner Hauptwerke, auf den Spielplänen sogar im Jubiläumsjahr derart kurz?

Dagmar Schellenberger: Das kann ich mir nur schwer erklären. Suppés Sujets sind in vielen Fällen weitaus interessanter als jene von Strauß. Etwa „Fatinitza“ mit einem doppelt verschraubten Dress-Cross: Ein Militär verkleidet sich als Frau, der ein Pascha an die Wäsche will, und schlüpft dann noch in die Rolle des Bruders seiner Kunstfigur Fatinitza. Abgedreht ohne Ende! Das hat einen subversiven Touch, der gerade in der aktuellen Gender-Diskussion ziehen müsste. Bei Suppé geht es auch immer wieder um Presse- und Gedankenfreiheit, das entscheidende Thema in „Boccaccio“: Diesem wollen die spießigen Bürger von Florenz an den Kragen, weil er sie und ihre Doppelmoral in seinen Novellen entlarvt. Um die Forderung nach mehr Liberalität kreist besonders unser Stück „Der Teufel auf Erden“. Das wollen Hinrich Horstkotte und Carla Neppl in ihrer Einrichtung der textlichen Neufassung von Alexander Kuchinka für Chemnitz und Wien im Jahr 2019 deutlich herausholen.

Roland H. Dippel: Was ist Ihre Rolle in diesem Spiel?

Dagmar Schellenberger: Wollen Sie das wirklich wissen? Jetzt kann ich endlich abrechnen mit meinem Image als ewige „Fledermaus“-Rosalinde, die ich über zwanzig Jahren gesungen habe: Ich verkörpere eine Äbtissin mit einem roten Teufelsschwanz, der – bildlich gesprochen – aus meinem Schleier hinten herausragt. Diese Stiftsvorsteherin Aglaja ist ein echter Satansbraten, der das Vermögen ihrer Schutzbefohlenen in den Besitz des bankrotten Klosters bringen will und ein Kind mit dem Pförtner hat. Böse, bigott und bizarr. Ich freue mich riesig.

Roland H. Dippel: Lassen Sie mich ‚advocatus diaboli‘ spielen und fragen: Wen interessiert das heute?

Dagmar Schellenberger: Es ist unsere Aufgabe als Ensemble und auch die von Dr. Christoph Dittrich , der als Generalintendant des Theaters Chemnitz einen Intendanten auf der Bühne spielt, das für heute interessant zu machen. Ich darf diese Rolle in Folgevorstellungen von ihm übernehmen. Zur Uraufführung 1887 am Carltheater Wien war „Der Teufel auf Erden“ auf Höhe der Zeit. Johann Strauß komponierte den Walzer „Mephistos Höllenrufe“, im Kärntnertortheater waren Meyerbeers „Robert der Teufel“ mit dem Bacchanal der verstorbenen Nonnen auf ihren Gräbern und Gounods „Faust“ mit dem zynischen Méphisto Serienerfolge. Die Inspiration des Textbuchs von „Der Teufel auf Erden“ durch Heinrich Heines „Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem“ und Wilhelm Hauffs „Mitteilungen aus den Memoiren des Satans“, eine Satire über die Harmlosigkeit des Teufels angesichts der biedermeierlichen Niedertracht, sind unverkennbar. Das ist genau das, was wir wir heute als „intelligente Unterhaltung“ verstehen. Deshalb freue ich mich so, bei dieser für Franz von Suppé so wichtigen Produktion dabei sein zu können.

Roland H. Dippel: Herzlichen Dank für das Gespräch und kräftiges Toi-Toi-Toi!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!