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Parkmusik 2012: das Ensemble Atonor mit Erwin Staches telefongesteuerter Klangcollage. Foto: Kenbo
Parkmusik 2012: das Ensemble Atonor mit Erwin Staches telefongesteuerter Klangcollage. Foto: Kenbo
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Rituale der Tonkunst: Sigune von Osten und ihr Festival für neue Musik „Parkmusik“

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Sie ist eine etablierte Größe in der Neuen Musik-Szene und hat mit fast allen namhaften Schöpfergeistern dieser Ästhetik zusammengearbeitet: Sigune von Osten, Sopranistin, Performance Künstlerin und Grande Dame der zeitgenössischen Tonkunst. Zum 16. Mal hat sie ein Festival des radikalen Klangexperiments veranstaltet. Der programmatische Untertitel des Festivals, „Neue Ho(e)rizonte“, postuliert ein der Moderne immanentes Ideal der Bewusstseinserweiterung durch Musik.

Von der Erziehung des Menschengeschlechts bis zur musikalischen Erleuchtung jenseits historisch-ästhetischer Grenzen verläuft also ein direkter kultureller Längengrad, an dem sich der Rationalismus der Tonkunst und das mystische Erlebnis von Klangphänomenen widerspruchslos berühren. An diesem Augustwochenende verdichtet sich die Kartografie dieser musikalischen Dialektik nicht an einer großen städtischen Konzertbühne sondern mitten in einem kleinen Zauberwald, auf der Residenz der Protagonistin, dem Trombacher Hof bei Bad Münster am Stein. Umso magischer mögen die Rituale anmuten, aber gleichzeitig geht es handwerklich gekonnt und musikalisch nüchtern zu.

Eine verwegene Schar von Hörlustigen versammelt sich zum Festivalbeginn auf einer Wiese, um gemeinsam die Pilgerreise zum Hof anzutreten. Klanginstallationen von Erwin Stache und Aufführungen traditionell-moderner Stücke von Isang Yun und Marek Kopelent mit ‚richtigen’ Instrumenten am Wegesrand bilden abwechselnd gleichsam die Kreuzwegstationen der Wallfahrt. Da ertönt zum Beispiel das Flaschenrondo –präparierte Plastikflaschen erinnern mal an schnatternde Gänse, mal an muhende Kühe – oder ein an Waldbäumen montiertes Kuckucksuhrenorchester, das mit verteilten Stimmen plötzlich Versatzstücke aus Mozarts kleiner Nachtmusik, der Marseillaise oder „Frère Jacques“ flötet.

Neben dieser Aktionskunst fügt sich der weit schwebende Klang der Oboe am besten in die Landschaft ein, und der tschechische Oboist Vilém Veverka wird dabei zum postmodern entrückten Hirten, der seine Herde aus vielsprachigen Zuhörern mit einer Vorliebe für globale Weltdorfmode durch den zauberhaften Ton seiner Schalmei besänftigt und zusammenhält. Dagegen scheint das Cello von Petr Nouzovsky als verlorenes Möbelstück in Wald und Flur, aber sein höchst sensibles und virtuoses Spiel wird später im nächtlichen Konzert auf der angestrahlten Felsenbühne der ehemaligen Kapelle des Anwesens noch gebührend zur Geltung kommen.

Ein Höhepunkt der Eventkunst ist aber ohne Zweifel das Stück für Telefone vor den stolzen Wänden des Hofgebäudes. Das vierköpfige Ensemble Atonor, das Erwin Staches Klangskulpturen realisiert, brilliert hier auch theatralisch, wenn die rhythmisch genau eingespielte Abnahme der unterschiedlichen Telefonhörer zu einer Klangcollage aus vokalen Musikkulturen der Welt führen. Obertongesang aus der Mongolei, zentralafrikanischer Pygmäengesang, gregorianischer Choral oder ostasiatische Gebetsformeln, verfremdet durch die ratternde Hiphop-Rhythmuskulisse alter Telefondrehscheiben. Ein Stück zur Völkerverständigung sei es, so erzählt der anwesende Komponist, und in der Tat wird es zu einer Metapher für das ganze fröhlich-nachdenkliche Happening.

Gleichwohl erhaben geht es aber in den Konzerten zu, die den tschechischen Komponisten Marek Kopelent zu seinem 80. Geburtstag würdigen. Der Meister einer lyrisch-sensiblen Melodik bedient sich oftmals eines einzigen Instrumentes, um eine musikalisch essentielle Aussage zu treffen. „Kunst ist Klage, etwas für manchen, nicht für alle,“ so zitiert Kopelent seinen tschechischen Lieblingsdichter Vladimír Holan. Und damit verschwindet ein meisterhaft ausgeführter Klarinettentriller in der Stille, die im Scheinwerferlicht der alten Scheune vom lautlosen Flug eines erstaunten Käuzchens umrahmt wird. Danach als Ausklang eine kerzenlichtumsäumte Laternen-Prozession der Eingeweihten hinaus aus dem Wald und zurück an den Parkplatz, dem Umschlaghafen zwischen Zauberwald und Alltagswelt.
 

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