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Saal nach historischem Vorbild: Berliner Staatsoper rüstet sich für Sanierung

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Berlin - Die Staatsoper Unter den Linden hatte am Freitag zur letzten Pressekonferenz in ihr traditionsreiches Haus geladen, bevor das gesamte Ensemble zeitweilig ins Berliner Schillertheater umzieht. Die Oper wird saniert, der Saal nach einem denkmalgeschützen Vorbild gestaltet. Zumindest ein bisschen. «Ich möchte lieber in einem historischen Saal sitzen, hören möchte ich lieber in einem neuen Innenbau», hatte der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Klaus Zehelein, das Dilemma im Vorfeld formuliert.

Denn dem Start für das 239-Millionen-Projekt ging ein Kulturkampf voraus, in dessen Folge im Juli 2008 der moderne Saal-Entwurf des Architekten Klaus Roth kassiert wurde. Roth war erst im Mai 2008 zum Sieger des entsprechenden Wettbewerbes gekürt worden. Der Stopp kostet laut Bund der Steuerzahler 47 000 Euro, im März 2009 erfolgte die zweite Vergabe an das Büro HG Merz.

Gegen den modernen Saal hatte sich vor allem Ex-Unternehmer Peter Dussmann als Vorsitzender der Freunde der Staatsoper gewandt – und mit dem Rückzug von Spenden gedroht. Zugleich lief die Gesellschaft Historisches Berlin gegen Roth Sturm. Der Protest ist Programm: Der Verein setzt sich auch für die Aberkennung des Welterbestatus der Museumsinsel ein, weil dort Architekt David Chipperfield dem Neuen Museum beim Wiederaufbau Kriegsnarben ließ.

In der «Lindenoper» soll der künstlich-klassische Saal des Architekten Richard Paulick (1903-1979) von 1955 «gerettet» werden.

Schummelei hat in der Oper Tradition. Preußen-König Friedrich II. setzte seinen Architekten Wenzeslaus von Knobelsdorff seit Grundsteinlegung am 5. September 1741 derart unter Zeitdruck, dass die Eröffnung am 7. Dezember 1742 zwischen Baugerüsten stattfand. Haupt- und Nebeneingänge waren unpassierbar. Erst im September 1743 bekam der Alte Fritz sein fertiges «Zauberschloss», das im August 1843 einem Brand zum Opfer fiel.

Der Nachfolgebau entstand zwar auf Weisung Friedrich Wilhelm IV. auf altem Grundriss, aber mit neuen seitlichen Treppenhäusern. Auch ohne Brand galt das Knobelsdorff-Haus bereits 1842 als veraltet und sollte darum modernisiert werden. Der nun mit den Entwürfen betraute Carl Ferdinand Langhans (1782-1869) sorgte daher auch für neueste Bühnentechnik. Zudem gestaltete er den Saal statt in Rokoko nun als Rokoko-Renaissance-Mix aus.

1926 wurde das Bühnenhaus technisch und architektonisch nochmals auf den Stand der Zeit gebracht. Nach der Zerstörung der Oper im April 1941 ließen die Nazis sie aufbauen und im Dezember 1942 wieder eröffnen, bevor der Bau am 3. Februar 1945 endgültig in Schutt und Asche versank.

1952 verpflichtete sich Paulick zwar dem Ur-Saal: «Alle stilwidrigen sogenannten Verbesserungen, die im Laufe der Jahre das Haus verunstaltet haben, werden beseitigt.» Tatsächlich entwarf er aber nur eine Interpretation Knobelsdorffs - auch aus technisch-praktischen Gründen.

Gern übersehen Paulick-Fans zudem, dass schon Langhans einen vierten Rang einziehen ließ. Paulicks Saal mit drei Rängen ist für Akustiker ein Graus und muss derzeit über das übliche Maß hinaus künstlich beschallt werden. Allein darum werden Umbauten erfolgen, die Paulick übergehen, aber irgendwie alt aussehen sollen. Selbst die Rückkehr von Rang vier oder die Anhebung der Saaldecke zieht HG Merz in Erwägung. Noch schweigen die Traditionalisten.

Denn eigentlich sind die Berliner vor Kulissen gewarnt. In Dresden wuchs um die Frauenkirche ein Potemkinsches Dorf: ein Hotel, dessen Vorbild bereits 1888 einem Postamt wich, steht nachgebaut neben ebenfalls neuen Bürgerhäusern, die nur vorn «alt» aussehen. Durchgesetzt wurde das von Bewahrern, die als Sandsteinfraktion verspottet werden. Neue Altbauten sind auch für die Altstadt von Frankfurt am Main in Planung, eine geplante Replik des Potsdamer Stadtschlosses wird für den Landtag entworfen.

Auch in Sichtweite der Berliner Oper wird Historie nachgespielt. Bis 2014 entsteht das Humboldtforum zu zwei Dritteln im Gewand des 1950 gesprengten Stadtschlosses.

Dass Bauhäusler Paulick im Opernsaal «auf Alt» machte, geschah auf Weisung des ersten Staatspräsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Kommunist Pieck folgte dem Wunsch das damaligen Stardirigenten Erich Kleiber. Der bereits vor den Nazis geflohene Künstler verließ 1955 das Haus wegen totalitärer Anwandlungen der DDR jedoch enttäuscht: Von der neu errichteten Oper war die alte Giebelinschrift entfernt worden.

 

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