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Richard Croft (Idomeneo) & Julien Behr (Arbace) Foto: Copyright: Werner Kmetitsch
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Schlecht geschwor’n und lang gewunden, dann gesuhlt, zuletzt entbunden –Varescos und Mozarts „Idomeneo“ im Theater an der Wien mit drastischen Bildern

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Im frühen 19. Jahrhundert erschien die opera seria als nicht mehr zeitgemäß. Es gab in den verschiedenen Ländern Europas eine gewisse Staffelung für den Zeitpunkt des Verschwindens der höfischen Fest- und Huldigungsopern. Sie wurden in der Hoch-Zeit der bürgerlich-demokratischen Bestrebungen und des Siegeszugs der romantischen Denk- und Gefühlsformen auf den Bühnen als obsolet empfunden, als grotesk und lächerlich. Mozarts „Idomeneo“ war dann wohl das erste Werk des gewaltigen Fundus der repräsentativen älteren Oper, das wieder ein Publikum gewinnen konnte.

Das auf einen Text von Giambattista Varesco komponierte dramma per musica entstand 1781, zwei Jahre nach der Uraufführung von Christoph Willibald Glucks „Iphigénie en Tauride“ in Paris (mit ihr endete das ton- und theaterschöpferische Lebenswerk Glucks). Tatsächlich reicht die Arbeit des 25jährigen vormaligen Wunderkindes Mozarts in vielem an Glucks „Reformoper“ heran. Sie überbietet diesen im Variantenreichtum bei der Ausgestaltung der Rezitative. Insbesondere auch in jener Episode des dritten Akts, in der sich Idamante nach seinem Sieg über das vom rachsüchtigen Gott Poseidon auf Kreta losgelassene Meeresungeheuer freiwillig fürs Vaterland opfern möchte. Hier erweist sich der Satz für acht Holzbläser und zwei (der vier im Graben anwesenden) Hörner als besonders ‚reich‘, das heißt dicht und sorgfältig instrumentiert.

In seinem Einverständnis mit einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung und in seinem Pflichteifer ist der Kronprinz des Inselkönigreichs bereit, sich zur Beschwichtigung des Meeresgottes auf den Opferaltar zu legen. Der atavistische Glaube an unbedingten Götterwillen wird aber durch eine Botschaft der als religionsgeschichtlich fortschrittlicher geltenden „Offenbarungsreligion“ ersetzt, der Thronfolger errettet und sogar umgehend König. Mithin entfällt, anders als in der Überlieferung des auf Golgatha vollzogenen christlichen Generalsühneakts für alle menschliche Schuld und Sünde, der Opfertod des Sohns (der zur Inthronisation als „Himmelskönig“ führt). Eigentlich hätte auch Idamante geschlachtet werden müssen wegen eines unbedachten Schwurs des Vaters, der in höchster Seenot gelobte, bei glücklicher Rettung den ersten Menschen, der ihm an Land begegnet, Neptun zu opfern – und dieser Erste war der Prinz. Im „Idomeneo“-Plot verschränken sich, für die meisten OperngängerInnen erkennbar, naturreligiöse Rituale mit christlichen Motiven (der Librettist war als studierter Theologe und Priester für den Salzburger Fürsterzbischof Coloredo tätig). Aber so richtig etwas anfangen konnte die Opern-Repertoirepflege in Zeiten der Moderne nur etwas mit den Natur- und Kunstschönheiten der Musik.

Damiano Michieletto kam jetzt im Theater an der Wien die nur bedingt dankbare Aufgabe zu, die sinistre Handlung des „Idomeneo“, die von einem recht gewaltsam aufgesetzt wirkenden Happy End aufgelichtet wird, zu interpretieren. Wie sehr es dem Vater-Sohn-Konflikt gelten soll, signalisiert die Video-Einblendung auf dem Vorhang zur Ouverture, die mit kräftigen Strichen die musikalische Aufmerksamkeit auf sich zieht: Der auf konventionelle Weise um gutes Aussehen des heranwachsenden Kindes besorgte Vater kleidet diesen an, bevor er Abschied nimmt, um Griechenland am Hellespont zu verteidigen und das für den freien Handel lästige Troja auszuräuchern. Zum Ouverturen- und Kriegsende öffnet sich der Vorhang. Prinzessin Ilia, eine als Gefangene nach Kreta überstellte Tochter des Trojaner-Königs Priamos, stapft im Flüchtlings-Look durch ein Stiefelfeld. Sophie Karthäuser hebt im Theater an der Wien mit wunderbar weichem, anschmiegsam femininem Sopran zur Klage um die zerstörte Vaterstadt und den Tod der Großfamilie an. Ein starker Theatermoment: wie die Stimme über dem dunklen Granulat schwebt, in dem die an Hinterlassenschaften einer Schlacht erinnernden Schuhe eine letzte Ruhestätte gefunden haben. Das Bild postuliert eine Übertragung: Denn auf Kreta haben die von Homer besungenen Schlachten des ersten detailliert besungenen Krieges der Weltgeschichte nicht stattgefunden, sondern weiter nördlich auf dem kleinasiatischen Festland.

Um die Ruhe ist es bald geschehen. Idamante tritt zu Ilia, signalisiert ihr seine Zuwendung und beginnt sich auszuziehen. Das ist die Form, mit der ein auf exaltierte Expression sich verpflichtendes Theater seit Jahrzehnten das Aufwallen von Liebesgefühlen signalisiert (wenn es männliche Begehren nicht ohnedies gleich als Vergewaltigungen zeigt). Vorm Ablegen der Unterwäsche macht die so überzeugend energisch singende französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez dann allerdings Schluss mit der Enthüllung (wahrscheinlich wollte Regisseur Damiano Michieletto der Szene des Prinzen einen Rest realistischer Plausibilität wahren). Ein kompaniestarkes Rudel Sanitäter in orangenfarbigen Warnwesten fährt den schiffbrüchigen Idomeneo im Krankenbett herein. Elektra aus der mörderischen Familie der Atriden, Tochter von Agamemnon und Klytämnestra, stapft hinterdrein ins unwegsame Gelände – Marlis Petersen wurde aufgebrezelt wie eine Party-Bratze der 1990er Jahre. Sie singt so animierend wie sie aussieht. Für die ihr vom König verordnete Rückkehr nach Mykene geht sie erst einmal in der Kärntener Straße einkaufen. Sie kommt mit vielen bunten Tüten zurück, um nicht nur Idamante, auf den sie es primär abgesehen hat, sexuell zu belästigen, sondern auch dessen Vater Idomeneo. Den Einbruch des von Neptun in die Hofwüste von Herakleion entsandte Meeresungeheuer zeigen Michieletto und sein Bühnenbauer Paolo Fantin als Wüten des Chors, der von der Seite hereinbricht, die Begrenzungsvorhänge der Bühnenfläche herunterreißt und ein Chaos mit Stühlen und Koffern veranstaltet. Gemessen an den Fernsehbildern von den Folgen eines Taifuns bleibt diese Art der Vergegenwärtigung freilich eher matt (eine Visualisierung der über Kreta hereingebrochenen Schuldenkrise wäre womöglich angemessen ‚ungeheuerlich‘ gewesen).

Deftiger fällt die optische Kontrapunktierung des lieto fine und der abschließenden Ballettmusik aus: Elettra, die Schlampe, gönnt sich ein Schlammbad vorn an der Rampe. Wie sich Marlis Petersen da in der Pfütze wälzt, erscheint als drastischste Zeichensetzung für die theatrale Selbsterniedrigung der Superarroganten. Der auf Befehl von oben seiner Königswürde und -bürde enthobene Idomeneo legt sich zum Sterben ins Granulat und wird von den trauernden Hinterbliebenen damit bestreut. Die von Szene zu Szene immer noch schwangerer ausstaffierte Ilia bringt auf der ohnedies schon blutigen Matratze unter lauten Schreien ein Kind zur Welt – der glückliche Vater fungiert als Geburtshelfer für seinen Thronfolger.

Mozarts Musik, die mit all dem wenig zu tun hat, ficht dies nicht an. Petra Müllejans, die Primgeigerin des Freiburger Barockorchesters, dirigiert energisch und mit recht ordentlichem Resultat, René Jacobs präsidiert vom Dirigentenpult aus. Und das Publikum scheint überwiegend erbaut von dem, was ihr Michieletto zum langatmigen Stück kurzweilig anbot. So ungemütlich die Diagnose sein mag: Auf seine Weise hat Michieletto Mozarts bedeutendste opera seria mehr und entschiedener vergegenwärtigt, als es zum Beispiel die leergefegten Treppenhäuser könnten, in denen Claus Guth dann etwas anberaumt, was er und ein Teil der Kritiker „psychologisches“ Theater nennen (gemeint ist ein Theater, das in besonders augenfälliger Weise psychische Vorgänge hervorkehrt). Guth lief am Premierenabend magensauer dreinblickend durchs Foyer des Theaters an der Wien. Es war evident, dass die wohlkalkulierten Exzesse Michielettos, der im Sommer in Salzburg Verdis „Falstaff“ recht brav (aber letztlich nur bedingt plausibel) ins Altersheim verlegt hatte, nicht minder geeignet sind, psychische Vorgänge freizuspielen und zu vergrößern als die planvoll organisierte Langeweile in leeren Räumen, die vom historischen Materialismus der Werke aus heutiger politischer Ranküne abstrahieren.

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