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François-Xavier Roth (re.) und Harald Paul, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg. Foto: Juan Martin Koch
François-Xavier Roth (re.) und Harald Paul, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg. Foto: Juan Martin Koch
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Schwarzer Tag für die Kultur und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – Fusion der SWR-Orchester ist beschlossene Sache

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Ein selbstsicherer Intendant, ein leidenschaftsloses Aufsichtsgremium, ein wütender Chefdirigent, weinende Orchestermitglieder: Das waren die Hauptakteure einer SWR Rundfunkratssitzung, die als schwarzer Tag in die Historie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Kulturlandschaft Deutschlands eingehen wird.

Mit gerade einmal elf Gegenstimmen folgte das Gremium der Auffassung des SWR-Intendanten Peter Boudgoust, wonach keine belastbaren Alternativkonzepte für die beiden Rundfunkklangkörper vorlägen. Somit wurde die Entscheidung von der letzten Sitzung am 29. Juni bestätigt, wonach die „Zukunftsoption“ Fusion der Orchester in diesem Fall als beschlossen gelte. Dass Boudgoust trotz dieses Votums noch eine Hintertür für Gespräche mit möglichen Unterstützern aus den Städten und Kommunen offenließ, konnte den deprimierenden Gesamteindruck kaum aufhellen.

Wie zu erwarten war, präsentierte der SWR-Intendant im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz die eingegangenen Alternativmodelle als „nicht belastbar“. Dabei beließ es Boudgoust aber nicht, sondern machte die vom Freiburger Freundesverein am Mittwoch übergebenen Absichtserklärungen aus der Region (siehe nmz Online vom 27.9.) durch süffisantes Verlesen lächerlich. Erschreckend, dass einige der Zuhörer dies mit verhohlener Erheiterung zur Kenntnis nahmen.

Von den sich anschließenden Wortmeldungen aus den Reihen der Ratsmitglieder stieß der Auftritt der Vorsitzenden des Hörfunkausschusses Ruth Weckenmann auf Empörung seitens der anwesenden Orchestermusiker. Das beratende Gremium hatte sich am Vortag nochmals mehrheitlich für die Fusion ausgesprochen. Weckenmann untermauerte diese Empfehlung unter anderem mit dem Argument, die Musiker hätten in der Juni-Sitzung des Ausschusses darum gebeten, die Entscheidung nicht zu lange aufzuschieben. Fionn Bockemühl, Orchestervorstand beim RSO Stuttgart, bestritt gegenüber der nmz diese Darstellung.

Wortmeldungen gegen die Fusion und für einen weiteren Aufschub kamen unter anderem vom Präsidenten des Landesmusikrates Baden-Württemberg, Hermann Wilske, und vom Stuttgarter OB Wolfgang Schuster. Am spärlichen Applaus für deren Ausführungen war die mehrheitliche Stimmung im Saal abzulesen.

Was folgte, war eine peinliche, dem Gegenstand kaum angemessene Verwirrung um das Prozedere bei der Abstimmung. Nachdem zunächst der Antrag auf Beendigung der Debatte angenommen worden war, brachte OB Schuster einen Antrag auf neuerliche Vertagung der Entscheidung ein, der abgelehnt wurde. Die Feststellung, dass kein belastbares Alternativkonzept vorliege und somit der Beschluss von der letzten Sitzung Bestand habe, fand bei elf Gegenstimmen eine Mehrheit, was von einer der Orchestermusikerinnen mit einem „Buh“ quittiert wurde.

Ähnlich emotional fielen anschließend die Reaktionen aus (siehe auch die vollständigen Zitate in unserer vorhergehenden Meldung). Hermann Wilske sprach von einem „schwarzen Tag für die Musik in Baden-Württemberg“, Uli Kostenbader, der Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer des Stuttgarter RSO, monierte, dass über die einhellige Meinung demokratisch gewählter Gremien aus den Städten und Gemeinden hinweg entschieden worden sei.

Die Statements aus den Vorständen beider Orchester waren unterschiedlich gewichtet. Während Fionn Bockemühl („Es ist frustrierend zu sehen, wie der Kopf schon ab ist, während man denkt, man lebt noch.“) davor warnte, die nun anstehende Standortfrage auf dem Rücken der Musiker auszutragen, nahm Harald Paul vom SO Baden-Baden/Freiburg („Ich ziehe den Schluss, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk alles tut, um sich selbst abzuschaffen.“) den Intendanten beim Wort und kündigte an, weiter um eine alternative Lösung kämpfen zu wollen.

Kampfbereitschaft signalisierte auch der sichtlich außer sich geratene SO-Chefdirigent François-Xavier Roth („Ich kann das nicht akzeptieren!“) und deutete neue Formen des Protests an: „Wir müssen überlegen, was wir jetzt als Bürger und als Künstler tun können. Ich weiß noch nicht, wie dieser Kampf aussehen wird, aber er beginnt heute.“

In sich ruhend, ohne triumphal wirken zu wollen, gab sich Peter Boudgoust. Er versicherte, die nun anstehende Frage nach dem „Hauptprobenstandort“ (so die verharmlosende Sprachregelung), solle nun nach musikfachlichen Kriterien und nicht nach landes- oder regionalpolitischen Argumenten erörtert werden. Die in der Sitzung nur angedeutete Möglichkeit, die Fusion ggf. doch noch einmal in Frage stellen zu wollen, wiederholte Boudgoust gegenüber der nmz: „Würden sich die Einnahmen des SWR entscheidend verbessern oder würden wir eine konkrete Förderung und Mitgestaltung durch Dritte erfahren, dann würden wir den Prozess natürlich neu überdenken.“

Der gönnerhafte Ton, mit dem der Fusionstaktiker dies äußerte, ließ erahnen, wie ernst er es damit meint.

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