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Operette im old fashion Stil: Millöckers „Bettstudent“ in Mörbisch. Foto: Jerzy Bin
Operette im old fashion Stil: Millöckers „Bettstudent“ in Mörbisch. Foto: Jerzy Bin
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Seefestspiel-Wettkämpfe um die Gunst des Publikums: Gemeinsamkeiten und Trennendes zwischen dem Mörbischer „Bettelstudent“ und der Bregenzer „Zauberflöte“

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Während auf der Bregenzer Seebühne der britische Regisseur David Pountney seine spannende Ära als Intendant mit einer Inszenierung der „Zauberflöte“ beendet, in deren Handlung erstmals auch der tote Vater Paminas hineinspukt, hat in diesem Sommer die deutsche Sopranistin Dagmar Schellenberger als Intendantin der Seefestspiele Mörbisch die langjährige Nachfolge von Harald Serafin eigenwillig und innovativ mit Carl Millöckers „Bettelstudent“ angetreten.

Für das Festival dieses Sommers erfolgten rund um die Seebühne Mörbisch umfangreiche Baumaßnahmen: überdachte Wandelgängen in zwei Stockwerken fangen langjährige An- und Abfahrtsprobleme vom Parkplatz auf, denn nun können die bis zu 6000 Zuschauer vorher und nachher diverse regionale Spezialitäten und Weine an Würstelbuden und spezielle Menüs in gehobener Restaurant-Atmosphäre genießen. Und falls die Vorstellung wegen Unwetter abgesagt werden muss – wie einmal in diesem Sommer passiert –, so können nunmehr alle Besucher den Abend im trockenen Festspiel-Ambiente verleben. Zu den dort angebotenen Merchandising-Produkten, darunter CDs und DVDs der aktuellen Produktion, gehören auch Mittel gegen die lästigen Gelsen, deren Belästigung sich in der besuchten Vorstellung – wohl angesichts der rundum mit Spray eingehüllten Besucher – auf nur wenige Stiche beschränkte.

Als einen wichtigen Nebeneffekt hat die neue Intendantin durch den Foyerbau zugleich eine weitere Spielstätte geschaffen, an der im kommenden Sommer die von ihr in Auftrag gegebene Kinderoperette „Mobby und der Wassernix“ ihre Uraufführung erleben soll und wo zu vorgerückter Stunde auch Nachtprogramme für ca. 300 Zuschauer ins Auge gefasst sind.

Das Orchester, bis vergangenen Sommer im vorderen Bühnenbereich versenkt, wurde nun – wie auch in Bregenz seit dem Bau des Festspielhauses – ausgelagert: von einer Probebühne aus wird das Bild des Dirigenten auf eine Reihe von Bildschirmen in der Rampen-Passarelle für die Mitwirkenden übertragen, und der Ton erklingt für Bühne und Auditorium breitwandig, stereofon und unverfälscht aus Bühnentürmen. Die Solisten werden mit Mikroports verstärkt, während der Chor ebenfalls aus dem Haus übertragen wird; eine der breiten Bühne entsprechende Schar von rund 50 Statisten mimt im Spiel den Chorpart, und einige besonders eifrige singen dabei sogar selbst mit. Unverstärkt live zu hören ist eine zwölfköpfige Blaskapelle, die Bauernkapelle St. Georgen.

Mit Selbstbewusstsein und viel weiblichem Charme zeigt sich die neue Intendantin des nicht öffentlich subventionierten Festspiels, führt im Vorfeld der Aufführung Besuchergruppen durch die neuen Gebäude und über die Bühne, sucht im Foyer und in den Reihen des Auditoriums, vor Beginn und während der halbstündigen Pause, das Gespräch mit dem Publikum, das sie vor Spielbeginn von der Bühne aus offiziell begrüßt, umrahmt von ihren eigenen Ansagen über Lautsprecher.

Einige ihrer Gesangsschüler hat Dagmar Schellenberger in kleinen Partien eingesetzt; sowohl als singende Kollegin, wie als Dozentin, achtet sie speziell auf die gesangliche Qualität der von ihr geleiteten Festspiele. Unter den teilweise doppelt besetzten Rollen des umfangreichen Ensembles ragen zwei Tenöre hervor, Gert Henning Jensen in der Titelpartie und Mirko Roschkowski als vermeintlicher zweiter Bettelstudent, Graf Opalinksi. In der Riege der Damen gefallen Daniela Kälin als Bronislava und die junge Josephine Schöttke als Kornett von Richthofen.

Hat die neue Intendantin mit den Baumaßnahmen und der Auswahl der SängerInnen eine glückliche Hand bewiesen, so verwundert denn doch die Wahl der Operette „Der Bettelstudent“ als Antrittsinszenierung der im sächsischen Oschatz geborenen und in Dresden ausgebildeten Sopranistin. Denn in Millöckers Originalfassung, und auch in der „eingerichtete[n] Dialogfassung für die Seefestspiele Mörbisch 2013“ erscheinen die Sachsen schlichtweg als Deppen.

In der Version der Erstausgabe dieser Operette aus dem Jahre 1882 wird die Nähe zur komischen Oper deutlich. Für Mörbisch hinzugenommen wurde eine Tanz-Einlage für die 21-köpfige Ballettgruppe. Dirigent Uwe Theimer leitet das sauber intonierende Festspielorchester Mörbisch, die Koordination mit der Bühne gelingt ohne Abstriche.

Trotz zahlreicher viel gespielter Nummern, wie „Ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“, „Ich knüpfte manche zarte Bande“ und „Ich setz’ den Fall“, ist diese Operette selten auf der Bühne zu erleben. In der Zeit des kalten Krieges wurde sie, wenn überhaupt, dann in entpolitisierten Fassungen gespielt. Regisseur Ralf Nürnberger belässt die Handlung des Librettos von Friedrich Zell und Richard Genée in der gespielten Zeit, 1704 im von Sachsen belagerten Polen.

Finanzaufwändig rächt sich der Krakauer Gouverneur Oberst Ollendorf (Henryk Böhm) für die Abweisung durch die junge Grafentochter Laura (Nora Lentner), indem er zwei politische Häftlinge als vorgebliche Adelige auf die Töchter d der Gräfin Palmatica Nowalska (Ingrid Habermann) ansetzt. Wie erwartet, verlieben sich die Paare in einander und heiraten. Das als persönliche Rache Ollendorfs aufgedeckte Komplott wird jedoch überholt durch die Ereignisse rund um den erfolgreichen polnischen Aufstand. Mit bengalischem Licht wird die Zitadelle erobert, der Bettelstudent wird aufgrund seines politischen Einsatzes zum Grafen ernannt und dem Happy-End steht nichts im Wege.

Zum Eindruck einer Operette im old fashion Stil tragen Susanne Thomasbergers historisierende Kostüme bei; deren Vorliebe für gigantische Perücken bleibt bei den rundum zufriedenen Operettenbesuchern in Erinnerung. Architektursimulator und Panoramakünstler Yadegar Asisi hat ein mächtiges, malerisches Bühnenbild der Krakauer Zitadelle entworfen, das sich bilderbuchgleich aufblättert zum Stadtbild. Im zweiten und dritten Akt dann als Palais fünf praktikable Türme, deren Rückseite abstrahierte Baumgruppen darstellen.

Wenn zu Beginn der Handlung die Galgen auf dem Dach der Zitadelle als dramaturgisch nicht mehr erforderliche Zutat versenkt werden, so zeigt dieses Detail sehr deutlich die Abgrenzung des sich bewusst konservativ verstehenden Festivals gegenüber der Bregenzer Dramaturgie, die mit Technikaufwand und Bühneneffekten politische Haltungen transportiert. So wird in der aktuellen „Zauberflöte“ Sarastros selbstbesungene Rachelosigkeit und Hilfsbereitschaft deutlich in Frage gestellt; zur Priesterversammlung korrelieren die in voller Breite ausgeführten 77 Sohlenschläge als optisch wahrnehmbare, drastische Strafe für Monostatos, wobei die Schmerzensschreie der Bastonade des gepeinigten Schwarzen die Versammlung und einige Teile des Publikums gleichermaßen nachhaltig (ver)stören.

In Mörbisch beschränken sich politische Bezüge auf drei hinzu gedichtete Strophen für Ollendorfs Couplet „Schwamm drüber“, in denen Bank- und Geheimdienst-Skandale tangiert, Merkel, Obama und Putin erwähnt werden und sehr dezent auch der derzeitige österreichische Wahlkampf.

Weniger als beim großen Bruder in Vorarlberg spielt im Burgenland die Dimension des Sees selbst eine Rolle. Der Neusiedler See lässt sich zwar von einer neu geschaffenen Plattform komplett überblicken, aber im Spiel wird er nur genutzt, um Flaschen oder Papier zu entsorgen, und einmal angelt Palmatikas Diener (Rupert Bergmann) einen Schuh. Zur Krakauer Messe, im ersten Akt, legen im Kanal drei Händlerboote mit Exotika an: ägyptische Frauen in schwarzem Burnus apportieren Elefantenzähne, Chinesen Pulver und Bayern ein Bierfass. Im Schlussakt verweisen einige mit Fackeln illuminierte Boote, die vor der verkleinerten Kulisse der Krakauer Zitadelle hin- und herfahren, auf eine Wasserstraße.

Bis zum Zeitpunkt von David Pountneys Seebühnen-Inszenierung „Der fliegenden Holländer“, endeten die Bodensee-Aufführungen mit einem obligatorischen Feuerwerk. Seit Pountney sind die Feuerwerkseffekte dramaturgisch in die Handlung integriert. So stoßen etwa in der aktuellen Produktion der „Zauberflöte“ drei als Drachenhunde maskierte Bühnentürme, an und zwischen welchen Artisten (Arial Stunt Performers) an Seilen herumwirbeln, Feuersalven aus ihren Maulöffnungen.

In Mörbisch erfolgt das Feuerwerk weiterhin traditionell als Rausschmeißer. Als Novum hat Dagmar Schellenberger Wasserfontänen in die Passarelle einbauen lassen. Deren Ejakulationen liefern nach Ende der Applausordnung im Zusammenspiel mit Feuerwerksraketen einen farbig fulminant koordinierten Abschluss zur Musikeinspielung. Diese Coda, ein Walzer-Medley mit Millöcker-Höhepunkt, folgt allerdings nicht mehr der Bühnenpraxis der klassischen Wiener Operette, sondern den Ohrwurm-Gesetzen des Musicals. Und um eben diese Kunstform will Schellenberger das Programm in Mörbisch künftig erweitern. So steht im nächsten Jahr 24mal Jerry Bocks Musical „Anatevka“ auf dem Programm – mit der Hausherrin als Golde.

Weitere Aufführungen in Mörbisch: 15., 16., 17., 18., 23. und 24. August  2013.

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