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Das Volk wird zum Publikum: Der Chor der Oper Leipzig in Verdis „Nabucco“. Foto: Kirsten Nijhof
Das Volk wird zum Publikum: Der Chor der Oper Leipzig in Verdis „Nabucco“. Foto: Kirsten Nijhof
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Theater im Theater: Dietrich Hilsdorf inszeniert Verdis „Nabucco“ in der Wagner-Stadt Leipzig

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Leipzig ist Wagner-Stadt. Folgerichtig beginnt das Jahr 2013 an der dortigen Oper womit? Mit „Nabucco“! Denn Verdi ist ja auch 1813 geboren. Doch runde Musiker-Geburtstage gibt es in diesem Jahr wie Spielkarten in einem Quartett. Die Oper Leipzig hätte also auch ebenso gut mit Britten oder Lutoslawski eröffnen können.

Deutschlands Verdi-Jahr ist eröffnet. In Leipzig, der Wagner-Stadt, wo dem Gewandhausorchester mit Riccardo Chailly ein ausgemachter Italiener vorsteht, leitet der gebürtige Brite Anthony Bramall die erste Premiere in Sachen Italianità 2013. Und der macht seine Sache exzellent. Auch das Orchester hat man gerade im Opernhaus schon wesentlich unmotivierter gehört. Diesmal aber stimmt von den ersten Motiven der Ouvertüre an alles. Schwelgende Streicher, die bei Bedarf auch richtig flirren können,  satte Basslinien, die nie schwerfällig wirken, kraftvolles Blech, blitzblank geputzt, leichtfüßiges Holz, das präzise agiert und sich nie über die Maßen hervortut, aber bis ins letzte Solo besticht. Wäre die technische Perfektion noch ein wenig mutiger koloriert worden, gäbe es keine offenen Wünsche mehr.

Verdis dritte Oper, sie stand unter Erfolgsdruck. Der Meister hatte sie 1841 auf ein Libretto von Temistocle Solera geschrieben, er wollte den Misserfolg von „Un giorno di regno“ kompensieren. Oder das Verfassen neuer Musik ganz und gar anderen Leuten überlassen. Wer wäre wohl dann der bis heute unangefochten bekannteste italienische Opernkomponist geworden? Wie gut, dass es anders gekommen ist und sich Giuseppe Verdi kräftig in die Musikgeschichte eingeschrieben hat.

Just sein „Nabucco“ hat es darin immer etwas schwieriger als die später entstandenen „Renner“, wie „Rigoletto“, „La traviata“, „Il trovatore“ oder „Aida“. Schwieriger auch wegen des – politisch intendierten – Erfolges. Denn der gern so genannte Freiheitschor „Va, pensiero“ entsprach wenige Jahre später auch dem Streben nach Italiens Einheit, originär freilich ist es Ausdruck für die in babylonischer Gefangenschaft geknechteten Hebräer. Und schwierig nicht zuletzt wegen der familiären Verhältnisse, die Privatestes mit großer Machtpolitik mischen.

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf hat daraus einen Dreh entwickelt, der die Betrachtungsebenen gleich mehrfach wechseln lässt. Theater im Theater, das Volk auf der Bühne wird zum Publikum, zur Staffage, zu Statisten – und aus diesem Publikum in der eigenen Oper erwachsen wiederum die Akteure des Werkes. Und noch einen anderen Kniff wandte er an: Es gibt in seinem „Nabucco“ kein lieto fine, jedem bösen Herrscher folgt ein weiterer, warum auch sollte das in der Oper anders sein als im richtigen Leben. Ein Palastputsch als überzeugendes Mittel, das die Vorlage nicht stört. Auch die Hinrichtung von Fenena, der Tochter des wahnsinnig gewordenen Königs Nabucco (Nebukadnezar), die ihm auf dem Thron folgen soll, ist als Vision mit nicht eindeutigem Ausgang gestaltet worden, wenn auch arg plump mit einem nachgebildeten Kunstkopf.

Die Personenführung insbesondere in kleinen Ensembles ist Hilsdorf meist sehr überzeugend gelungen, psychologisch durchdacht und sinnbildlich gestaltet. Nur mit den Chormassen tut er sich auf der künstlich verkleinerten Bühne recht schwer. Und die wieder und wieder ihre Gewehre anlegenden Komparsen wirken spätestens beim zweiten Mal albern.

Die Ausstattung weckt Anklänge ans „Deutsche Miserere“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau, für das Hilsdorf ebenfalls mit Kostümbildnerin Renate Schmitzer und Bühnenbildner Dieter Richter zusammengearbeitet hatte (nmz Online 15.02.2011). Auch hier ein mehr bedrückendes als erhellendes Oberlicht, ringsum gemauerte Wände, als sollte das Ischtartor einem Schwimmbad zum Vorbild dienen, ein prunkiges Bühnenportal bricht eindrucksvoll in die Gegenwelt des gespiegelten Theaters, nur dessen funkelnde Revuelämpchen erschließen sich nicht.

Für die Titelpartie hatte man Markus Marquardt von der Dresdner Semperoper als Gast nach Leipzig verpflichtet. Der griff die Qualität des Orchesters kongenial auf, donnerte mit schier unermesslicher Stimme machtvoll den Herrscher, wand sich als Wahnsinniger spielerisch durch alle Register und mutierte zu Recht zum gefeierten Helden des Abends. Seine Möchte-Gern-Tochter Abigaille, die ihre Abkunft von einer Sklavin als Schmach empfindet, der nur mit höchsten Ehren als Thronfolgerin beizukommen ist, wird von der Italienierin Amarilli Nizza mit schönem Sopran gesungen. Sie kann Stimme, Körper und Gesten wunderbar vielfältig einsetzen, erwies sich allerdings zur Premiere in Sachen Stimmführung als eine Spur zu leger. Die rechtmäßige Thronerbin Fenena sang Jean Broekhusen aus den USA als erprobtes Ensemblemitglied, auch ihr Landsmann James Moellenhoff zählt zum Ensemble und stellte einmal mehr seinen kräftigen Bass unter Beweis.

Mit dem Armenier Arutjun Kotchinias im selben Stimmfach war jedoch eine elegante Neuentdeckung als hebräischer Hohepriester Zaccaria zu bestaunen. Auch in seinem Gefolge traten als Anna und Ismaele mit Olena Tokar aus der Ukraine und Gaston Rivero aus Uruguay zwei überzeugende Sängerpersönlichkeiten auf. Ebenfalls auf der Habenseite des Abends stand der von Alessandro Zuppardo wieder bestens einstudierte Chor der Oper Leipzig.

Termine: 11., 27.1., 17.2., 1., 27.4., 9.6.2013

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