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Tim Renner: Musikindustrie muss mehr zum Dienstleister werden

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Die Musikindustrie muss sich nach Ansicht des Berliner Musikunternehmers Tim Renner künftig stärker als Dienstleister aufstellen. Die großen Plattenfirmen hielten zu sehr am sogenannten 360-Grad-Modell fest, bei dem der Künstler in allen Bereichen vom Management über Merchandise bis zur Tourveranstaltung an das Unternehmen gebunden ist, sagte Renner im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd. Das Model sei zwar eine «berechtigte Übergangslösung», die aber nur bei Newcomern greife. Erfolgreiche Künstler ließen sich diesen Eingriff in die Rechte nicht gefallen.

Ein möglicher Umbau ihrer Geschäftsmodelle sei für die Plattenfirmen «vom Selbstverständnis ein schwerer Schritt», räumte der Chef von Motor Entertainment ein. «Es ist auch mental eine Umstellung, ob ich Eigentümer oder Dienstleister bin, Wohnungsvermieter oder Hausmeister.» Auch die Hausmeister-Rolle könne aber sehr profitabel sein.

Der Künstler habe zwar mehr Möglichkeiten durch das Internet, aber durch das 360-Grad-Modell weniger Rechte als je zuvor. Daher sei es wichtig, «dass sich das Verhältnis zwischen Künstler und Label immer mehr umdreht». Der Künstler müsse seine Rechte behalten und Leute engagieren, die für ihn als Dienstleister tätig seien.

Kriminalisierung führt zu «Robin-Hood-Moral»

Die Debatte um das Urheberrecht bringt die Branche nach Einschätzung des früheren Deutschland-Chefs von Universal Music nicht weiter. Es werde immer auch den illegalen Austausch von Musikdateien geben. Wenn man diesen nicht nachvollziehbar für den Bürger kriminalisiere, werde eher «eine Robin-Hood-Moral» erzeugt, sagte Renner. Als in Schweden die Macher der BitTorrent-Trackerseite The Pirate Bay zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, habe die Piratenpartei plötzlich bei mehr als sieben Prozent gelegen. Renner betonte: «Man muss sich sicher in vielen Punkten fragen, wie man das Urheberrecht moderner machen kann, aber man muss es im Sinne der Digitalisierung liberalisieren anstatt es weiter zu verschärfen.»

Renner sagte, viele Politiker hätten das Internet «intellektuell», aber nicht «emotional» verstanden. Politik und Volk drohten bei dem Thema den Draht zueinander zu verlieren, weil sie in verschiedenen Wirklichkeiten lebten. «Wenn wir eine digitale Öffentlichkeit haben, aber eine analoge Regierung, dann klappt viel mehr als die Musikwirtschaft nicht mehr.»

Social Networks stärker zur Fanbindung nutzen

Die Zukunft des Musikverkaufs sieht Renner nach wie vor in der Flatrate. Als wegweisendes Beispiel nannte er den schwedischen Streamingdienst Spotify: «Der hat Sachen so schnell, wie sie im Radio sind und ist damit so gut wie der illegale Wettbewerb.» Der schwedische Markt, der vorher wie alle anderen rückläufig war, sei dadurch plötzlich gewachsen. In Deutschland ist Spotify bisher nicht verfügbar, weil es noch keine Einigung mit der Verwertungsgesellschaft GEMA auf ein Vergütungsmodell gibt. Die von Spotify angebotenen Songs werden von Labels zur Verfügung gestellt
und lizensiert. In Deutschland gibt es ähnliche Anbieter, die bislang aber nur ein begrenztes Repertoire haben.

Auch soziale Netzwerke wie Facebook können von der Musikbranche laut Renner noch effizienter genutzt werden - «und zwar indem es ihr gelingt, eine authentische Kommunikation zur Fangruppe aufzubauen». Die Tweets müssten allerdings von den Künstlern oder nahen Mitarbeitern selbst formuliert werden und dürften keine reine Werbung für ein neues Album oder eine Tour sein. «Da sind aber auch viele Künstler noch gar nicht so weit.»

Der Motor-Chef schlägt zum Beispiel vor, dass Bands neue Songs sofort online verkaufen sollten. «Ist doch super reizvoll, wenn ich weiß, meine Band ist im Studio, und ich habe heute den Song, den sie gerade abgeschlossen hat.» Wenn die Band den Titel später noch mal ändere, sei dies «umso cooler». «Skizzen von Malern werden doch auch verkauft», betonte Renner. Bisher seien aber weder Künstler noch Industrie so weit, aus der Plattenproduktionen einen kollektivenProzess zu machen, der sich auch in Social Networks abspiele.

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