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Technizistische Postmodernität: „Parsifal“ mit La fura dels Baus in Köln. Foto: Karl Forster
Technizistische Postmodernität: „Parsifal“ mit La fura dels Baus in Köln. Foto: Karl Forster
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Und Kundry schwimmt im Müllsack … Wagners „Parsifal“ mit La fura dels Baus in der Kölner „Oper am Dom“

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Um eine dekadente Männergesellschaft geht es bei Richard Wagners in mittelalterlicher Folie verortetem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, um Mitleid und Erlösung von einem Übel, das sich vermittels Verführung durch dunkle Weiblichkeit und „Unkeuschheit“ einstellt. Prägend für die Handlung ist auch die Rivalität zwischen den „eigentlich“ Guten, den Rechtgläubigen, und einem Abtrünnigen, also böse Gewordenen, der ein Etablissement der Schönheiten und Lüste unterhält. Manche Exegeten halten deshalb den vieldeutig schillernden, womöglich von antisemitischer Grundierung nicht freien „Parsifal“ für ein „Ideendrama“.

Nach dem Willen des Komponisten hebt das „Parsifal“-Vorspiel aus dem Piano an. Markus Stenz veranlasst die Gürzenich-Musiker in Anbetracht der akustischen Verhältnisse in der Musical-Halle hinterm Hauptbahnhof, die von den Kölnern liebevoll „Müllsack“ genannt wird, zu einem gediegenen Mezzoforte. Staubtrocken klingt der Orchestersatz und entsprechend transparent – was ja nicht unbedingt als Manko gewertet werden muss, aber eben besondere Mühen macht. Die dynamischen Nivellierungen und das zügige Tempo, das mit der glockenbetönten Verwandlung im ersten Aufzug angeschlagen wird, scheinen wesentlich dem Aufführungsort geschuldet. Alles zusammen trägt die Züge des Ernüchterten und Prosaischen: Akustisch etabliert sich keine Aura des Mystischen oder des „Klangzaubers“, wiewohl es am Willen zum Espressivo keineswegs fehlt.

Die Bild- und Bewegungswelten, die La fura dels Baus auf der Bühne entfachen, sind von Körpereinsatz und elektronischer Animation bestimmt. Die Video-Zuspielungen von Román Torre, Pelayo Mendéz und Fritz Gnad zitieren erst einmal Formel-1-Rennen und einen schweren Rennunfall. Vier Körper werden im Transportmodus durch den Bühnenluftraum gehievt – das Anheben von Akteuren zu engelhaftem Schweben oder Quasi-Vogelflug durchzieht die Produktion wie ein Leitmotiv. Da desweiteren davon gesungen wird, dass hier die Zeit um Raum wird, zeigen sich auch die Sterne des Alls und es rieselt immer wieder feines Granulat vom Bühnenhimmel nieder.

Eine Kohorte Statisten in weißer Schutzkleidung wartet in hoch aufragenden Metallgerüsten, die gelegentlich herumgeschoben werden. Das teilnahmslose Ausharren dieser stummen Zeugen wird mit Buchstabenfolgen illuminiert und von Textbändern mit Nietzsche-Zitaten umrankt. Die Leute mit den Lämpchen vor den Bäuchen mögen als zwischengelagertes Personal eines Nuklearbetriebs gesehen werden. Der Regisseur konzipierte sie als Medizinstudenten, denen das Mitleid beigebracht werden soll (aber sie selbst unternehmen nicht die geringsten sichtbaren Anstrengungen des Lernens).

Carlus Padrissas Deutung ergibt freilich schon deshalb keinen Sinn, weil die Medizinerausbildung nirgendwo auf Erweckung von Empathie und Barmherzigkeit ausgerichtet ist, sondern es mit ihr um Funktionstüchtigkeit für die real existierende Krankheitsverwaltung und die Pharma-Industrie geht. In Köln ist aber wohl wieder einmal vorsätzlich so viel fromme Naivität wie dekorative Beliebigkeit im Spiel. In der selben Dekoration und Zubereitungsweise wie dieser „Parsifal“ ließe sich mit gleicher Plausibilität auch „Der Freischütz“ zeigen oder „Die Zauberflöte“ – nur wären die weißen Zombies dann eben als Veterinärmedizinstudierende zu sehen respektive als Theologieseminaristen, die sich auf die Aufnahme in Sarastros Geheimorden vorbereiten.

Der alte Gralsritters Gurnemanz knetet in Fantasy-Outfit Teig, während er mit vorzüglicher Prägnanz und Textverständlichkeit die umständlichen Ansprachen zur Vorgeschichte von Kundry und Amfortas hält. Zu Beginn des dritten Aufzugs schiebt Matti Salminen seine Brote in einen großen Backofen an der Rückseite der Bühne, vergisst sie dann aber herauszuholen. Der Gute ist ja auch inzwischen 67 – aber wie er den Parsifal deklamierend ausfragt und fernsteuert, das ist fortdauernd ein Ereignis.

Beachtliche Sängerleistungen präsentiert auch der Bariton Boaz Daniel mit Stentorstimme als ein an Kopfschussfolgen leidender Gralskönig Amfortas. Nicht minder die kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einspringende Dalia Schaechter als Kundry, die auf drei zum Schimmel gefügten Statisten aus Arabien angeschwebt kommt. Insbesondere der ohne allen tenoralen Überdruck als gleichsam „wirklich reiner Tor“ durchs Symbol- und Wortsalatland schreitende Marco Jentzsch in der Titelpartie.

Zum Erlösungschorfinale, bei dem Kundry ins Gralsbecken steigt und dort im Weißwein planscht, ziehen die Statisten auf die Treppen im Zuschauerraum und verteilen gesundes Brot aus ihren Körbchen. Dass sie das ‚Mitleiden’ gelernt haben, teilen sie mit manch anderem Zuschauer. Denn so ansprechend die szenische Aufbereitung mit dem Wechsel von der Gralsritter- zur Klingsor-Welt den schrill stilisierten Charme von Blumenmädchen-Erotik entwickelt und so gradlinig (aber letztlich vergeblich) Kundry ihre mütterlichen Verführungskünste in Anschlag bringt – die Bebilderung und Animation durch La fura dels Baus zielt weder auf ein denkbares Ideendrama als Schlüsselstück des „christlichen Abendlands“, noch auf eine Vergegenwärtigung der Wagnerschen Theaterversuchsanordnung. Sie bleibt ihr in technizistischer Postmodernität ungerührt entgegen- oder hinzugesetzt, also in naiver Weise dekorativ.

Aber dergleichen mögen die KölnerInnen ja bekanntlich und es setzt wenigstens höflichen Applaus. Anders als der von Romeo Castellucci Anfang 2011 nebenan in Brüssel inszenierte „Parsifal“ wird das übervoll gepackte neue Kölner Bühnenweihfestspiel womöglich nicht als bedenkenswert oder gar „zwingend“ in Erinnerung bleiben.

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