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Georg Friedrich Händel nach dem Ölgemälde von Philippe Mercier. Das Original, ehemals im Besitze des Städtischen Museums Halle, wurde im Kriege zerstört. Als Vorlage diente ein originalgetreuer Farbenlichtdruck.
Georg Friedrich Händel nach dem Ölgemälde von Philippe Mercier. Das Original, ehemals im Besitze des Städtischen Museums Halle, wurde im Kriege zerstört. Als Vorlage diente ein originalgetreuer Farbenlichtdruck.
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Vernunft vor Gefühl – Die Bayerische Theaterakademie wagt sich an Händels „Imeneo“ in der Münchner Reaktorhalle

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Ein kleines Spalier von „Karte gesucht“ empfing die Besucher in der zum Kunstspielort umgewidmeten Reaktorhalle der TU München: das einst von der Staatsoper angefachte „Händel-Feuer“ glimmt also weiter. Zu Recht, denn im Kosmos dieses Genies sind längst noch nicht alle „Galaxien“ entdeckt. So ist die „Imeneo“-Produktion von Theaterakademie und Musikhochschule eine kleine Münchner Erstaufführung.

Spannend darüber hinaus: Händel nimmt mit diesem Werk 1740 gleichsam Abschied von den Regeln der „opera seria“ und wendet sich den halbszenischen Oratorien zu – etwa der „Semele“, die das Gärtnerplatztheater derzeit im Cuvilliéstheater bietet.

Imeneo ist ein mythischer Held, der die von Piraten entführten Rosmene und Clomiris rettet, sich dabei in Rosmene verliebt und sie als Lohn zur Frau haben will. Rosmene war und ist aber in den sehnsüchtig wartenden und hoffenden Tirinto verliebt, schwankt nun zwischen Mitleid und Dankbarkeit, zwischen Liebe und Vernunft. Die Konfusionen steigert Clomiris noch, die mit Imeneo erste Liebeserfahrungen sammeln will und mitten drin steht ihr Vater, Senator Argenio, der auseinanderhalten und beruhigen und ordnen will. Das alles in eine - parallel zu den ungeordneten Gefühlen und unklaren Partnerkonstellationen – noch nicht fertig gebaute heutige Villa zu verlegen und als „Wer mit Wem?“ in einer gestylt kostümierten Wochenend-Party-Gesellschaft zu zeigen, könnte angehen, wenn Dramaturgin Cordula Demattio und Regisseurin Mira Ebert nicht allzu „feministisch eigenwillig“ überzogen hätten: sie folgerten aus der Tatsache, dass zu Händels Zeiten die Kastraten-Partie des Tirinto auch einmal von einmal von einem weiblichen Alt gesungen wurde, dass die Liebe Rosmene-Tirinto eine lesbische Frauenbeziehung ist. Dadurch bekommt das Werk aber eine Schieflage, denn die Männer-Rivalität Imeneo-Tirinto gerät in der Aufführung nun zur Unterdrückung einer Frauenliebe durch einen Testosteron gesteuerten Macho, der allzu lange zeigen muss, dass er die Ladies in Frauenkleidern gerettet hat.

Nicht genug damit: Regisseurin Ebert wollte wohl in der pausenlosen Zwei-Stunden-Inszenierung die Emotionen „ausweglos“ verdichten und so mussten die fünf Solisten auf den zwei Etagen der Villa durchweg anwesend sein. Sind dabei die jeweils eigenen Rezitative und Da-capo-Arien mit ihren heftigen Gefühlsschwankungen schon Herausforderung genug, so bildete das „Weiter- und Mitspielen“ bei den Soli der jeweils anderen Figuren einfach eine darstellerische Überforderung: Banales Getue und Stereotypen zuhauf. Der schöne Theatercoup, dass Imeneo mit Händelmusik im Radio und zwei verhüllten Mädels im Cabrio auf die Bühne gebraust kommt, verpufft, wenn er dann zu einer der tragisch ernsten Frauen-Arien sein Auto putzt oder die emotional zerrissene Rosmene bemüht auf der Motorhaube herumstakst - in Pumps!

Dass der allzu stürmisch bejubelte Abend dennoch viel Applaus verdient, ist Dirigent Joachim Tschiedel und dem neuen kleinen Barockorchester der Musikhochschule zu danken: der Furor und das Feuer Händels waren zu hören, aber auch, dass Händel hier in den Trauerarien nicht ganz die Tiefe anderer Werke erreicht. Trotz der szenischen Dauerforderung meisterten die fünf Solisten - kleine Premierenforciertheiten „weggehört“ – die oft virtuosen Anforderungen beeindruckend, auch wenn Dirigent Tschiedel in der klaren Beton-Akustik des Raumes mit allen am „Piano“ arbeiten darf. Ein virtueller Blumenstrauß geht an die farbige Idunnu Münch, deren fülliger Alt als Tirinto vokal am stärksten beeindruckte. Über alle szenischen Vorbehalte hinweg blieb das Erstaunen, wie sehr Händel in seiner vorletzten „opera seria“ Lehren der schottischen Moralphilosophen und Früh-Aufklärung verschmolz: es gibt kein sonnig schlichtes Happy end; musikalisch endet alles in abgedunkeltem e-moll – Rosmene opfert ihre frühere Liebe zu Tirinto und gibt sich vernünftig ihrem Retter Imeneo hin… hat Händel dieses „The winner takes it all“ wirklich 1740 geschrieben – oder doch 2013?

  • Weitere Aufführungen 5., 6., 8. u. 10.November

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