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Uraufführung in der Dresdner Frauenkirche. Lera Auerbachs Requiem. Foto: Matthias Creutziger
Uraufführung in der Dresdner Frauenkirche. Lera Auerbachs Requiem. Foto: Matthias Creutziger
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Vierzig Sprachen des Erbarmens: zur Uraufführung von Lera Auerbachs „Requiem“ für Dresden

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Für die Komponistin Lera Auerbach müssen die vergangenen Monate äußerst arbeitsam gewesen sein. Im Herbst 2011 brachte sie am Theater an der Wien ihre Oper „Gogol“ heraus, komponiert zu einem eigenen Libretto ( nmz online vom 17.11.2011). Die diesjährige Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle ist nicht nur Komponistin und Pianistin, sie hat sich auch als Autorin und bildende Künstlerin Meriten erworben.

In Dresden erhielt sie nun einen Kompositionsauftrag für das Gedenkkonzert an die Zerstörung der Stadt im Februar 1945. Kapelle und Stiftung Frauenkirche zeichnen gemeinsam als Initiatoren, und so war es kein Wunder, dass eben die wiedererrichtete Frauenkirche auch der Austragungsort der Requiem-Uraufführung gewesen ist. Anspruch und Anlass, Besetzung und Inhalt dieses Werkes waren durchaus auf diesen Ort konzipiert.

Die Kapelle hatte ihrer Kompositeurin volles Vertrauen geschenkt. Das zeigte sich schon im Programmheft. Doppelseitige Fotos darin, die durchaus verstören können. Erst der von Menschenmassen gefüllte Platz vor der Semperoper am 1. Mai 1933. Eine Kundgebung der Nationalsozialisten, die Semperoper grässlich beflaggt. Dann die Ruinen der Innenstadt im Jahr 1945, wie eine Ikone vom Rathausturm aus fotografiert. Klage und Anklage folgen da aufeinander. Aufgenommen allerdings von ein und demselben Fotografen. Dazwischen liegt das berühmte Dutzend der eintausend Reichsjahre, das so viel Leid über Europa gebracht hat. Ohne viel Worte wird mit diesen Fotografien verständlich, was das deutsche Volk in diesem Zwölf-Jahres-Zeitraum der Welt – und letztlich sich selbst – angetan hat.

„Historische“ Gedenkkonzerte

Das Programmheft beinhaltet aber auch eine Auflistung all der Gedenkkonzerte, die seit 1951 an  die Bombennächte und deren Opfer erinnern sollen. Wieder und wieder steht da das Requiem von Giuseppe Verdi, das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms und sowieso das Requiem von Mozart. Viermal erklang immerhin das „War Requiem“ von Benjamin Britten, dazwischen auch Beethovens „Missa Solemnis“, die „Große Totenmesse“ von Hector Berlioz, Mahlers „Auferstehungs-Sinfonie“ sowie Requiems von Dvorák, Duruflé, Fauré, Heinichen und Zelenka. Nicht zu vergessen die „Musicalischen Exequien“ von Heinrich Schütz, Bachs „Kreuzstab-Kantate“ und Verdis „Quattro pezzi sacri“, in sechs Jahrzehnten also ein durchaus wechselvolles Repertoire.

Im Jahr 1956 gab es endlich mal eine Uraufführung, das Requiem des damaligen Kapellmeisters Kurt Striegler. Jetzt, 2012, genau 56 Jahre danach, stand erneut ein musikalisches Novum auf dem Programm. Lera Auerbach lieferte die Partitur für ein abendfüllendes Werk. Es basiert auf dem liturgischen Text, variiert das darin enthaltene „Kyrie“ zu einem Ruf nach Erbarmen in genau vierzig Sprachen, fokussiert auf die Gebete der Weltreligionen, die darin vertont sind. Mit einem Brückenschlag in die Gegenwart sind zudem das Gebet eines New Yorker Feuerwehrmanns, der als erstes Opfer des 11. September 2001 protokolliert wurde, sowie das Gedicht eines in Dresden geborenen Pfarrers vertont worden. Die Zeilen des Letzteren sind in einer der Frauenkirch-Glocken eingraviert.

Musikalische Bezüge zu Dresden

Lera Auerbach hat nach vielfältigen Bezügen zum Ort und zur Geschichte gesucht. Sie hat sie gefunden und dazu ein sakral anmutendes, von formalen Zitaten lebendes und sehr deutlich auch Adaptionen nutzendes Klangmaterial geschaffen. Mal verstört es ein wenig, wirkt eher spröde denn wirklich versöhnlich, mal ist es lautstark voll Anklage, tönt schrill aus dem Entsetzen heraus, und mal setzt es ganz schroffe Kontraste. Mit vergleichsweise schmalem Orchesterapparat, dem immer wieder Momente des Kammerspiels und scharf gestochene Soli beigegeben sind, hat die Komponistin die Gegebenheiten des schwierigen Klangraums bedient. Manch unendlicher Nachhall, der in die Kuppel fortschwebt, geriet geradezu bezwingend.

Auch die das Requiem bestimmenden Chorpassagen – neben Herren des Staatsopernchores wurden zwei Knabenchöre aus London und New York nach Dresden verpflichtet – füllten den Tempel (wenn auch nicht immer engelhaft rein) mit absichtsvoller Weihe. Herausragend war da vor allem Richard Pittsinger als Knabensopran, der mit unglaublich klarer Strahlkraft und beachtlichem Durchhaltevermögen die Herzen besang. Der niederländische Countertenor Maarten Engeltjes eroberte kristallklare Höhen und sorgte gemeinsam mit dem britischen Bariton Mark Stone, der eindringliche Kontraste gesetzt hat, für unvergessliche Emotion.

Wie Vladimir Jurowski mit höchster Umsicht durch das in 18 Teilen gegliederte Requiem steuerte, Chor- und Orchesterparts gegeneinander abwog, miteinander verband, sie mal brachial mit all der Inbrunst solch glaubensvoller Musik und mal geradezu wie Tüll schwebend fast weltlich in den Raum strömen ließ, das verdient größten Respekt. Der Dirigent hat zwar wiederholt schon sehr erfolgreich mit der Staatskapelle gearbeitet, sie auch schon im diffizilen Klangraum dieser Kirche dirigiert, doch bei aller Kennerschaft gerade in Sachen Neuer Musik dürfte er hier ein Terrain betreten haben, das selbst ihm ungewohnt war. Denn Auerbachs Musik wirkt homogen eben dadurch, dass sie – wie einmal mehr im Fall dieses Requiems – nicht homogen ist. Neben der fast sinfonischen Machtfülle von keinerlei Widerspruch zulassenden Gebetsmühlen entfalteten sich Abschnitte voll schäflicher Sanftmut – das wieder und wieder ertönende „Amen“ etwa mochte gar den Glauben an den Sandmann wiedererwecken –, als stünde tatsächlich das Elysium schon vor der Tür.

Eine unbedingte Ergriffenheit war im Publikum angesichts des Wiedererkennens beim „Dresdner Amen“ auszumachen – einer berührenden Tonfolge, die schon Wagner, Mendelssohn, Bruckner und Mahler aufgegriffen hatten –, das die Kapell-Kompositeurin quasi in deren Nachfolge erneut aufgriff und mit aller Beseeltheit in ihrer „Ode an den Frieden“ verwob. Bekanntes in einer Uraufführung zu hören, das muss erst einmal bewerkstelligt werden.

„Ja, da ist Hoffnung.“

Der außerordentliche Symbolgehalt war übrigens nicht nur beim Datum sowie am ersten Aufführungsort dieses Requiems auszumachen, sondern auch in der Wahl der Besetzung. Da kamen künstlerische Vertreter der einstigen Gegnermächte zusammen. Ist das mehr als sechs Jahrzehnte nach Kriegsende keine Erwähnung mehr wert? Ein Blick in die gegenwärtigen Nachrichten dürfte als Antwort genügen. Lera Auerbach formuliert es folgendermaßen: „Ich sehe es so: So lange wir kleine Jungs haben, die Requien singen und sich mit solchen Dingen auseinandersetzen, sich um Violinschlüssel statt um Waffen kümmern, sage ich: Ja, da ist Hoffnung. Darum nutze ich Knabenchöre und Knabensoli, darum bin ich auch sehr froh, zwei Knabenchöre – einer aus New York und einer aus London – für die Uraufführung meines Requiems zusammenbringen zu können.“

Auerbachs Erinnerungskultur bezieht bei diesem Requiem auch ihre neue Heimat New York und den 11. September 2001 mit ein. Sie will nicht zulassen, dass schreckliche Taten vergessen werden.

Das Requiem „Dresden – Ode an den Frieden“ erklingt am 13. und 14. Februar im 6. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle jeweils um 20 Uhr in der Semperoper. MDR Figaro sendet das Konzert am 14. Februar in einer Live-Übertragung.

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