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Agathe ist wenigstens in Punkto Sex vor der Ehe deutlich weiter als Max. Foto: © Anke Neugebauer
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Wenn sich die Ängste gleichen … – Andrea Moses inszeniert Webers „Freischütz“ in Weimar

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Webers Freischütz so zu inszenieren, dass er alle zufrieden stellt, ist noch schwieriger, als bei anderen Opern. Weil es immer auch um die Abgründe der deutschen Seele geht. Damals, heute und demnächst. Da kann man sich nur annähern und irgendwer ist immer unbefriedigt. In Dresden kann man davon durchaus ein Lied singen. In Thüringen gab es in den letzten Jahren einen stummfilmisch angehauchten Versuch von Philipp Stölzl in Meiningen, der Eindruck machte. In Erfurt verhob sich Dominique Horwitz gar als Opernregiedebütant an einer gründlichen Korrektur dieses dunklen Lieblingsstücks der Deutschen. Guy Montavon schließlich machte sinnigerweise die Domstufen zu einer ziemlich effektvollen Wolfsschlucht-Show.

Der Freischütz ist also ein Stück zum Abarbeiten, musikalisch eine Droge, die aber etliche Risiken und Nebenwirkungen enthält. Und wie gemacht für eine Regisseurin wie Andrea Moses.

Es beginnt mit einem Schattenspiel auf dem Eisernen Vorhang. Der Eremit schenkt einer jungen Frau einen Strauß weißer Rosen. Für die Agathe in Carl Maria von Webers „Freischütz“ sind die bekanntlich lebensrettend. Auf dieses romantische Requisit kann und will auch Andrea Moses nicht verzichten. Ein himmlischer Gruß aus der Tiefe eines deutschen Traumas. Weber (und sein Librettist Johann Friedrich Kind) riefen mit ihrem Gruselmärchen mit angepapptem Happyend 1821 nichts geringeres als die seelischen Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges ins Gedächtnis und machten damit diese deutsche Ur-Katastrophe zur Folie für die Auseinandersetzung mit ihrer Zeit nach der napoleonischen Fremdherrschaft. Die Herrschenden flüchteten sich in die Restauration, die Beherrschten ins Biedermeier. Und die genialen Tonsetzer (wie Weber) und die nicht ganz so genialen Textdichter (wie Kind) in einen dunkel romantischen Opernwurf. Mit Nummern in Gassenhauer-Qualität. Die immer noch einschlagen. Vom Jägerchor über den Jungfernkranz bis zur Wolfsschlucht. Vom Außenseiter-Mobbing bis zum Frauengeplapper über Hochzeit und schlechte Träume vom Kettenhund.

Weiße Rosen gegen teuflische Kugeln – das Rezept funktioniert offenbar auch noch in jener näheren Zukunft, deren düstere Variante Andrea Moses, Jan Pappelbaum (Bühne) und Christian Wiehle (Kostüme) an die Wand malen. Also auf der Bühne imaginieren. Den deutschen Wald hat es längst ausgeschert. Vom deutschen Wald sind nur noch ein paar Stämme übrig. In Agathes Stube, auf der Drehbühnenkehrseite, werden die Insignien unseres Wohlstandes verteidigt. Mit flackerndem Kaminfeuer auf dem Flachbildschirm, und einem Smartphone für jeden.

Auch mit der guten Waldluft ist es längst aus. Mundschutzmasken sind Usus, wenn nicht gesungen wird. Für die Heruntergekommenen. Und für die, die in Bürgerwehr-Manier mit Maschinenpistolen und schwarzrotgoldenen Versatzstücken ziemlich martialisch anrücken. Max, der nie zum strahlenden Helden taugt, ist diesmal am Ende wenigstens klüger, als alle anderen. Er sieht nämlich ganz klar, was hinter der Fassade des behaupteten öffentlichen Konsenses, wirklich abläuft: da treffen sich der Fürst (Alik Abdukayumov), der Eremit (Daeyoung Kim) und jener attraktive (und nicht für jedermann sichtbare) Samiel (Nahuel Häfliger), stoßen auf einen finsteren Kompromiss zum Machterhalt an und feixen sich eins über das Volk an der Rampe.

Auch die Wolfsschlucht war ein Blick in die Zukunft. Eine außer Kontrolle geratene, skrupellose Manipulation an Geist und Körper. Da drischt Kaspar beim Kugelgießen auf seine Laptops ein. Und Samiel gibt den an Menschen experimentierenden Frankenstein. Noch einmal in die geistige Wolfsschlucht, jener Alptraumlandschaft der Seele, geht es beim berühmten Jägerchor. Zwar meidet Moses bewusst den in Weimar auf der Hand liegenden Blick Richtung Ettersberg. Wenn Kunos dreist pöbelnde Bürgerwehr unterm angemaßten Schwarz-Rot-Gold die anderen auf die Knie zwingen und den Boden schrubben lassen, dann ist das ein Bild dessen Menetekel-Qualität den Atem stocken lässt.

In Weimar gelingt es nicht nur die großen Klippen, die jeder „Freischütz“ hat, mit düsterer Entschlossenheit in eine warnende Vision umzumünzen. Den gesprochenen Passagen haben Jungkomponisten der Weimarer Musikhochschule passend dräuende Elektrosounds hinzugefügt.

Im Graben erweist sich Martin Hoff als Könner, auch wenn er es diesmal nicht immer schafft, den solistischen Eifer des einen oder anderen Choristen im Zaum und die Warmlaufphase des Orchesters kurz zu halten. Die musikalische Emphase und düstere Klarheit überzeugt dann aber doch. Aus dem Ensemble um Agathe (Heike Porstein), Steffi Lehmann (Ännchen) und Heiko Börner (der den Max stemmt) ragt Uwe Schenker-Primus als fulminanter Kaspar heraus. Obwohl manchmal die Ironie triumphiert, hat Andrea Moses das deutsche Lieblings-Opernerbstück so ernst genommen, das einem Angst und Bange werden kann.

  • Nächste Vorstellungen 12. 02., 21. 2., 3.,3., 17.3., 2.4., 8.4. 2016

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