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Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ im Palais Garnier in Paris. Foto: Oper Paris
Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ im Palais Garnier in Paris. Foto: Oper Paris
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Wo bleibt der Klempner? – Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ im Palais Garnier in Paris

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Die „Poppea“ ist eine durch die Musik getragene Handlung von Begierde und Macht (mehr als von Liebe und Güte) – ein doppelt historisches Werk und doch auch nicht nur geschichtlich fixiert. Gewiss: Geschichte ist auch im Nachhinein nicht nur schön und „positiv besetzt“, auch wenn sie in denkbar freundlichstem Licht gezeigt und die Grausamkeit beschönigt wird.

Aus mancherlei Gründen stand als Vorprogramm der in Paris angekündigten „L’incoronazione“ eine Stippvisite in der Normandie an. Die große D-Day-Jubiläumsparty konzentrierte sich auf den Raum Caen. Etwas weiter nördlich in Étretat war außer der Festbeflaggung vom Rummel wenig zu bemerken (dafür vom wirtschaftlichen Niedergang des Landes manche Auswirkung). Das von Claude Monet & Coll. geschätzte Städtchen am Ärmelkanal wurde im Juni 1944 von den Highlandern entsetzt. Mein Vater erzählte gelegentlich, dass und wie er vernünftigerweise mit seiner Luftaufklärungseinheit und dem bewahrungswürdigen Equipement nächtens und auf Fahrrädern das Hasenpanier ergriff.

Pfingsten in Paris. Nein, bitte kein Neid! Der Großteil der Einheimischen ist aufs Land geflüchtet. Etliche der Übriggebliebenen können die durchaus nachvollziehbare Xenophobie nur mit Mühe verbergen. Die Stadt, als Mekka der Liebe beliebt, fürchtet gelegentlich, dem amerikanisch-chinesisch-japanisch-deutschen Invasionsdruck der Paare auf Dauer nicht standzuhalten. Die polnische Mutti, die das verranzte kleine Hotel bei der Place des Vosges betreibt, klagt ihre Nöte beim Auffangen der alternden Begierden – zuvorderst, dass ihr Etablissement so unrentabel klein, die Steuer- und Abgabenlast so groß und die Konkurrenz ruinös sei. Ihr Angebot, als Teilhaber einzusteigen, muss ich mangels Masse momentan ausschlagen.

Robert Wilson gehört zu den Künstlern, die im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts das Theater und seine Wahrnehmung einschneidend bereicherten. Als „Einstein on the Beach“ 1976 in Avignon und dann in Hamburg die große ruhig-kühle Bildwelt mit der repetitiv-geschäftigen Musik von Philip Glass paarte, meinten nicht wenige, einen Theatertraum zu erleben (andere: einen Alptraum). Man las, dergleichen sei der „Triumph des Theaters über die Schwerkraft“. Im Lauf von vier Jahrzehnten sind, da sich Wilson zunehmend wiederholte (also auf den Meriten der „Bild-Magie“ ausruhte und nicht weiterentwickelte), die einstigen Heldentaten verblasst. 2012, drei Dutzend Jahre nach der Entstehung, rekonstruierte der texanische Bildinstallateur und Regisseur zusammen mit der Choreographin Lucinda Childs und dem auch bereits bei der Uraufführung tätigen Dirigenten Michael Riesman seinen „Einstein“ minutiös in Montpellier (die Produktion kam auch nach Amsterdam und Berlin). Das Trio sorgte so für die Musealisierung der Pionier-Produktion.

Alternde Helden haben es nicht leicht. Zumal, wenn sie hartnäckig von den Inhalten dessen, über das sie sich hermachen, keine Notiz nehmen und nur von optischen Oberflächen und marktträchtiger Aura zehren. Ob sich Wilson mit Armida oder Aida, Alcina oder Alceste befasst – allemal präsentiert er seine Heldinnen vor einem vollständig oder so gut wie leeren Horizont, der in den verschiedensten Farben erglühen und ermatten kann. So jetzt auch im Palais Garnier für Monteverdis Poppea. Da sieht es zunächst so aus, als schaue man vom Strand bei Étretat hinaus auf den Ärmelkanal bei heraufziehendem Regen am Tag des D-Day-Jubiläums. Vor dem unbestimmten Horizont mit den zarten Farbeffekten erhebt sich zunächst ein Baumstamm mit ausladenden Wurzeln – später setzen in Reih und Glied gepflanzte Linden und eine entwurzelte Zypresse als Begleiterin des befohlenen Selbstmords von Seneca optische Akzente. Im Übrigen deuten ein langsam sich herabsenkender Vorhang mit drei hohen Türöffnungen und ein Dutzend glatter Säulen die Palastwelt Neros an, ein halbes Dutzend römisch-klassizistischer Säulen die Sphäre von dessen legitimer Gattin Ottavia. Die wird auf Poppeas Füßchen- und Poposcharren hin in die Wüste geschickt.

Jacques Reynauds Kostüme lehnen sich an die Mode des 17. Jahrhunderts an und sind auf der Höhe dessen, was die feinsten Modisten von Mailand und Paris im Angebot haben: Diskrete Pastelltöne für die Kleider der Frauen, Accessoires der Uniformierung und Panzerung bei den ganz in Schwarz gehaltenen Männern. Was Karine Deshayes und Jeremy Ovenden, die beiden respektabel, aber nicht überragend singenden Protagonisten der schrägen Liebesgeschichte, mitsamt ihren zahlreichen KollegInnen beim Dahin- und Daherschreiten an typisch Wilsonschen Handbewegungen anboten (abgewinkelte Hände, gespreizte Finger etc.), schien den Ausstatter-Regisseur in keiner Weise zufrieden zu stellen. Obwohl ihm mit Giuseppe Frigeni ein Co-metteur en scène zur Seite gestellt worden war (oder gerade deshalb), diktierte er in Reihe 10 des Parketts („Orchestre“) seiner Assistentin lautstark die Korrekturwünsche auf den Notizblock. Aber auch kleine Nachbesserungen ändern nichts an dem Umstand, dass das, was ein Teil des Publikums vor Jahrzehnten als „magisch“ wahrnahm, nun verblasst ist und das radikale Wegputzen der historischen und sozialen Fermente eines Werks wie „L’incoronazione“ eher als problematisch erscheint.

Denn die einseitige Hervorhebung des Rituellen am „Barock“-Theater bedient und begünstigt ja einseitig das feudale Moment dieser Art von Theater, unterstreicht die große historische Distanz. Aber die Mehrzahl der OperngängerInnen, die sich ja nicht zuletzt wagen der Pracht des Gehäuses in der hochherrschaftlichen Halle einfinden, sind heilfroh, dass der Tenor Ovenden so gar nichts von Putin und eine gänzlich geschichtliche Kunstfigur zu sein hat. Und was da ein nur bedingt namhafter Vorturner nach den gängigen Standards der „historischen Aufführungspraxis“ mit einem „Concerto italiano“ im Orchestergraben mit dem mehrfach weiterveredelten Produkt Monteverdis veranstaltete, tangiert nur die Hardcore-Fans der Alten Musik, die sich im Publikum gewiss auch einfinden.

Es soll schon Theater gegeben haben, an denen vor der Premiere hinreichende Vorbereitungen getroffen wurden und das, was ein Regisseur aus guten Gründen für unabdingbar hält, auch einstudiert wird. Doch das Großunternehmen Nationaloper in Paris mit den zwei riesigen Häusern scheint seit Jahren führungslos, da Nicolas Noel kurz nach seiner Ernennung schwer erkrankte. Seitdem werden offensichtlich von wenig kompetenten Händen im Hintergrund die Strippen gezogen. Dabei kommt ein Gesamt-Programm heraus, in dem eine Oper aus dem 17. Jahrhundert stammt (eben „Poppea“) und eine aus dem 20. („Madama Butterfly“), die übrigen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dass jetzt – in Kooperation mit der Scala in Mailand – ein Produkt als neu angeboten wird, das ebenso 1974 hätte erscheinen können, als wir noch vierzig Jahre jünger waren, wirft ein charakteristisches Licht auf den Niedergang des einst über lange Jahre hinweg weltweit führenden Opernunternehmens.

Die ‚neue‘ Poppea riecht nach Verwesung. In der Hauptherrentoilette traten schon zur Pause sämtliche Pissoire über die Ränder und ergossen einen gelben Fluss in Richtung Orchestre. Es war niemand zur Stelle, der wenigstens ein rot-weißes Absperrband hätte anbringen wollen. Geschweige denn ein Installateur. Wobei das Palais Garnier wie die Opéra Bastille jetzt mehr als einen Klempner brauchen.

Die New York Times charakterisierte Robert Wilson bereits vor Jahrzehnten als „monumentale Figur in der Welt des experimentellen Theaters“. Der Charme der mit restaurativen Intentionen angestrengten Experimente hat sich verbraucht. Monumente laufen Gefahr, nicht nur zu bröckeln, wenn sie keine Fischzellenkur erhalten bzw. nicht in geeigneter Form der Denkmalspflege anvertraut werden, sondern weitgehend oder ganz zu Staub zu zerfallen.

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