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SWR-Chef Boudgoust für weitere füf Jahre im Amt bestätigt. Foto: J.M. Koch
SWR-Intendant Peter Boudgoust bei der nmz-Diskussionsrunde auf der Frankfurter Musikmesse. Foto: Juan Martin Koch
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„Zermürbungsversuch“: SWR-Intendant Peter Boudgoust antwortet auf den offenen Brief der nmz in Sachen Orchesterfusion

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In der April-Ausgabe der nmz hatte die Redaktion einen offenen Brief an die Intendanz und die Hörfunkdirektion des SWR zur drohenden Fusion der Orchester in Stuttgart und Baden-Baden/Freiburg veröffentlicht. Die Antwort des SWR-Intendanten Peter Boudgoust erreichte uns einen Tag nach Drucklegung der Mai-Ausgabe. Wir veröffentlichen sie nun hier im Wortlaut und in voller Länge. Überdies findet am Montag, den 30. April ab 18.00 Uhr im Fernsehstudio Baden-Baden eine Diskussionsrunde zur Zukunft der beiden SWR-Orchester statt, die dann auch im Livestream zu sehen sein wird. Interessierte können sich, so der SWR, per Mail, über Facebook und Twitter an der SWRdirekt-Sendung beteiligen.

Sehr geehrte Frau Haack,
sehr geehrte Herren,

den Dank für die offene Diskussion bei der Musikmesse in Frankfurt gebe ich gerne  auch im Namen von Herrn Hermann – zurück. Der SWR hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, den aktuellen Diskussionsprozess zu den Orchestern genauso transparent wie fair zu gestalten. Die neue musikzeitung hat mit ihrem Forum in Mannheim [sic] dazu beigetragen, dass neben der leidenschaftlichen und oft fragwürdig emotional geführten Diskussion die kultivierte sachliche Debatte wieder in den Vordergrund rückt. Das wissen wir gerade in diesen Tagen sehr zu schätzen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass sich die Musikerinnen und Musiker unserer Orchester in diesen Tagen und Wochen in keiner leichten Situation befinden. Die Diskussion dreht sich im Kreis, tragfähige und nachhaltige Alternativen liegen trotz zahlreicher Gespräche bislang nicht auf dem Tisch. Währenddessen verweilt der Prozess in einem Schwebezustand, dessen Ergebnis strukturelle Veränderungen sein werden und müssen. Die gilt es organisatorisch und künstlerisch sorgfältig zu planen und schrittweise umzusetzen. Genau deshalb wäre es auch untragbar für alle Beteiligten, die Entscheidung ,,auf unbestimmte Zeit zu verschieben, am besten aufzuheben." Dieser Vorschlag - auch wenn er gut gemeint sein mag - würde keiner Seite gerecht.

Sie sagen, in den Orchestern sei schon jetzt eine gefährliche Unruhe entstanden. lch sage, diese Unruhe wird nicht aufhören, wenn wir die Entscheidung in die Länge ziehen. lm Gegenteil: Es ist unsere Pflicht, den ungewissen Zustand über die Zukunft der beiden Orchester nicht unnötig in die Länge zu ziehen - gerade mit Rücksicht auf die Musikerinnen und Musiker. Ich weiß, dass es bei all der Sorge um ihre künstlerische Zukunft einige gibt, denen eine Entscheidung besser heute als morgen lieber wäre. Denn nur so können sie auch aktiv und nachhaltig die künstlerische Zukunft mitgestalten. Wir sprechen von einer Umsetzung im Jahr 2016, denn der SWR hat bestehende Verträge zu erfüllen und vor allem seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugesagt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird.

Und noch ein kurzer Hinweis: Der von Ihnen angesprochene Oboist hat bereits lange vor Beginn der Diskussion sich für eine Professur beworben und sie auch bekommen - eine tolle Auszeichnung für einen ohne Zweifel herausragenden Künstler. Die Diskussion um seinen Wechsel ist mir nur zu gut bekannt, denn wäre es zeitlich und rechtlich möglich gewesen, hätte er trotz Vollzeitprofessur gerne weiter im SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg als Oboist gespielt. Weder der Zeitpunkt noch der Anlass stehen also mit der aktuellen Diskussion in einem Zusammenhang.

Kommen wir zu Ihrem Vorschlag des intensiveren Gesprächs mit Fachleuten: Ist das Ihr Bild von diesem Prozess? Haben Sie tatsächlich den Eindruck, wir würden die Fachleute - noch dazu im eigenen Haus - außen vor lassen? Wie kommen Sie zu der Behauptung, eine inkompetente Unternehmensberatung hätte uns - noch dazu ohne künstlerische Fragen - beraten? Wo sind Ihre Fakten? Wir waren bisher der Meinung, alle Alternativen - auch die mit externen Partnern - vollen Ernstes und ergebnisoffen prüfen zu können. Warum sollte ich sonst mit Vertretern von Stadt, Land oder Freundeskreisen Gespräche führen? Wir haben über einige Monate alle Daten und Fakten zur Situation unserer Orchester zusammengetragen, ihre Profile analysiert, ebenso ihr Konzertengagement. Wir haben diese Daten mit den Fachleuten des eigenen Hauses sowie einzelnen Musikern vertrauensvoll besprochen. Wir haben sie gemeinsam anhand der Situation der Orchesterlandschaft in Deutschland insgesamt, der des Kulturbetriebs im Sendegebiet und darüber hinaus verglichen und bewertet. Es gab unzählige Gespräche mit externen wie internen Fachleuten. Wir haben Vertraulichkeit zugesichert und sind dankbar für ihr Vertrauen in diesem Stadium. Gerade weil wir heute sehen, wie die öffentliche Kampagne die sachliche Diskussion und die daran Beteiligten zu zermürben versucht.

Ich rechne Ihrer Redaktion hoch an, dass Sie die finanziellen Gegebenheiten nicht ignorieren, sondern nach Lösungen suchen. Das zeichnet Sie im Vergleich zu manch populistischer Wortmeldung aus. Sie können sich sicher sein: Ihre Idee einer neuen Gesellschaftsform, der Partnerschaft mit Dritten, ist auch für uns nicht neu. Nur: Die Rechtsform alleine bringt keine Einsparungen. Entscheidend ist die Bereitschaft von anderen Institutionen, sich langfristig und strukturell an der Finanzierung zu beteiligen. Sie kennen die aktuelle Finanzlage in öffentlichen Kassen, Sie kennen die allgemeine Wirtschaftslage. Ich habe eine Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und sie werden sich nicht in eine Konstruktion begeben, die ihre Existenz sowohl hinsichtlich künstlerischer als auch hinsichtlich finanzieller Belange nicht nachhaltig sichern kann.

Keine Fusion ist einfach und sie braucht Zeit. Wer, wenn nicht der SWR, könnte das beurteilen. Wir haben Redaktionen und Programme über mehrere Standorte fusioniert, Verwaltungsbereiche und technische Einheiten zusammengeführt - und wir haben bereits auch im musikalisch-künstlerischen Bereich Erfahrungen gemacht. Sie können das Ergebnis an der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern ablesen. Bei dieser Analyse freilich verlasse ich mich nicht nur auf meinen persönlichen Eindruck von Schostakowitschs Fünfter Sinfonie, sondern auf die Rückmeldung von Fachleuten und den bekanntermaßen wenig zimperlichen Kritiken in den einschlägigen Feuilletons.

Ich wiederhole es gerne: Vor die Wahl gestellt entscheide ich mich gegen zwei ins Mittelmaß kleingesparte Ensembles und spreche mich aus Überzeugung für ein gut ausgestattetes Orchester aus, das im Sendegebiet wie national und international in seinem Profil zukunftsfähig ist. Wir stehen zu unserem kulturellen Erbe und übernehmen Verantwortung gerade darin, dass wir dieses Erbe auch angesichts schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen nachhaltig für die Zukunft sichern wollen. Und wir werden uns vor allem um eine Entscheidung hierfür nicht drücken.

Mit freundlichen Grüßen,
Peter Boudgoust

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