Hauptbild
Elbjazz. Foto: Christian Spahrbier
Elbjazz. Foto: Christian Spahrbier
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Zwischen ECHO und Elbe – Anspruch und Wirklichkeit des deutschen Jazz

Publikationsdatum
Body

„Hamburg, die deutsche Jazz-Hauptstadt“, posaunten in den vergangenen Wochen die Zeitungen der Hansestadt gerne heraus. Zumindest für die drei Tage vom vergangenen Donnerstag bis Samstag ließ sich das schwer bestreiten. Erst waren die „Wichtigen“ der deutschen Szene da, dann ein internationales, mit Stars garniertes Aufgebot von gut 80 Solisten und Bands.

Denn der vierten Auflage des „Elbjazz“-Festivals war diesmal die ebenfalls erst vierte, von Bochum über Dresden nun für mindestens drei Jahre nach Hamburg übersiedelte Verleihung der Jazz-Echos vorgeschaltet. Und um gleich alles zu bündeln, was geht, wurde auch der vierte, alle zwei Jahre vergebene Hamburger Jazzpreis erstmals im Rahmen des Elbjazz überreicht. So wurden Fischauktionshalle und Blohm&Voss-Werft zu Orten, an denen wie unter dem Brennglas zu sehen war, in welchem Verhältnis derzeit Anspruch und Wirklichkeit, Wollen und Können im deutschen Jazz stehen.

Natürlich ist es prinzipiell begrüßenswert, dass auch talentierte und verdiente Jazzmusiker nun einmal im Jahr mit dunklen Limousinen vorfahren, über rote Teppiche zu Foto-Walls schreiten und eine sogar im Fernsehen gezeigte Gala feiern dürfen. Es gibt ja keine Krise der Musik – nie gab es so viele spannende Künstler und Projekte -, sondern nur eine Krise ihrer Vermittlung. Aufmerksamkeit ist also alles. Aber leider zeigte sich wieder einmal, dass die Deutschen das in Los Angeles oder Cannes vorexerzierte Format nicht beherrschen. Wenn eine vor Monaten engagierte Moderatorin auch nach mehreren Proben und Durchläufen – die am Gala-Abend dann erfolgreich jeden Rest von Spontaneität getötet hatten – immer noch Namen ablesen muss, dann sagt das zumindest etwas über den Zustand  unseres Fernsehens aus. Schön auszusehen reicht da offensichtlich schon für vieles. Und weiter: Dröge Eröffnungsreden, ein überraschungsfreier Ablauf und deutsche Jazzer, des es offenkundig nicht gewohnt sind, sich zu bedanken - der fachkundige, grundsätzlich lockere Co-Moderator Till Brönner wirkte an der Seite von Vorleserin Janin Reinhardt im Lauf des Abends fast schon genervt. So wie man als Zuschauer davon genervt war, dass wieder einmal Amerikaner (Joshua Redman) und Briten (Jamie Cullum) vormachten, wie ein Kurzauftritt funktioniert.

Vielleicht hat man sich mit dieser Grammy-Parodie auch einfach zu viel vorgenommen: Kunst und Kommerz, Können und Quote sollen hier verbunden werden, bei der Gala, aber auch schon in den schwammigen Echo-Statuten. Erstaunlicherweise funktioniert das sogar, nur kommt es bei einem von der Musik-Industrie (wenn auch unter dem Feigenblatt der Deutschen Phono-Akademie) durch eine von ihr dominierte Jury an von ihr selbst eingereichte Künstler verliehenen Preis in der Außendarstellung anders an. Auch die Flut von 31 Kategorien – neben vielen Instrumenten auch noch jeweils national und international – wird vielleicht den Künstlern gerecht, erleichtert die Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, aber nicht gerade. Ebensowenig wie die Entscheidung, den Saal mit den Kohorten der Industrie samt ihren PR-Abteilungen zu füllen, die Fachjournalisten hingegen in ein Pressezelt vor eine Minileinwand zu verbannen. Und dem Image einer prächtigen Gala ist sicher auch nicht förderlich, wenn die Preisträger sogar die Fahrtkosten selbst tragen, um sich ihre – undotierte – Trophäe abzuholen.

In Sachen Echo ist also Bemühen zu sehen, der Weg indes scheint noch weit. Was man vom Elbjazz nicht behaupten kann. Binnen vier Jahren hat die 38-jährige Tina Heine mit einem kompetenten Team und dank ihrer überragenden Netzwerker-Fähigkeiten und Überredungskünste  aus einer Idee eine funktionierende Marke gemacht. Ein Hafenfestival mit rund um die Elbe drapierten Bühnen von der Fischauktionshalle über die St.Pauli-Kirche bis zum Platz vor der Elbphilharmonie und mit dem Kraftzentrum dreier Bühnen auf der Blohm&Voss-Werft; ein musikalisches Volksfest, bei dem man mit der Barkasse zum Konzert fährt oder den alten St.Pauli-Elbtunnel benutzt – dieses Ambiente ist einmalig und hat die Besucherzahlen bei den bisherigen drei Ausgaben explodieren lassen. Ein rechtes „Schietwedder“ hat das diesmal verhindert, trotzdem war es verblüffend, wie viele Interessierte auch diesmal selbst vor den Open-Air-Bühnen Regen und Kälte trotzten. 

Was wiederum für das Line-up der 80 Konzerte in den zwei Tagen spricht. Dem sich ausweitenden und ausgreifenden Jazzbegriff hat man sich angepasst, ohne wie etwa in Montreux zum Gemischtwarenladen aller Stile zu werden. Große Namen wie Jamie Cullum (der nach dreijähriger „Babypause“ hier sein neues, noch poppigeres Album an den Start brachte),  Joshua Redman und Aloe Blacc lockten die Massen, die dann auch unbekannteren Gesichtern eine Chance gaben. Manche eindrucksvolle Stunde ließ sich da erleben. Am eindrucksvollsten, wenn die zwei Trends der vergangenen Jahre zusammentrafen: Die Auflösung aller geographischer und stilistischer Grenzen in schillernder Individualität, und der Gestus des Hochleistungssports, der bei einigen Instrumenten einen neuen Grad an Virtuosität hervorgebracht hat. Man konnte das unter anderem am norwegischen Saxophonisten Marius Neset beobachten mit seinem multistilistischen Vexierspiel in einer technisch neuen Dimension; oder beim libanesischen Trompeter Ibrahim Maalouf, der mit seiner verrückten französischen Truppe die Extreme von arabischer Ornamentik, europäischer Harmonik und amerikanischem Rock-Sound so ineinanderführt wie kein anderer. Oder auch bei The Bad Plus und Get The Blessing, vergleichsweise jungen Bands, die jenseits wie diesseits des Atlantiks noch vor kurzem als Vorreiter des Postjazz angetreten waren, heute aber mittendrin in einem breiten Strom teilweise noch viel extremerer Projekte stehen. Von denen bei Elbjazz zum Beispiel das düster jazzrockige Roller Trio, das bombastische Kyteman Orchestra oder die kabarettistischen Tin Men & The Telefone zu sehen waren. Als große Acts das amerikanisch klingende französische Stimmwunder Nina Attal und die bislang Alicia Keys zuarbeitende Funk-Saxofonistin Lakecia Benjamin; für die Clubs der kubanische Pianist Alfredo Rodriguez mit seiner akustisch wie elektronischen Latin-Neuinterpretation, sein niederländischer Kollege Rembrandt Frerichs, der – ebenfalls im Trio – ebenso unerhört europäische mit arabischen Klangwelten rekombiniert, sowie der ungarische Sänger Gabor Winand, der – am Flügel begleitet von seinem kubanischen Schwager Ramon Valle – so virtuos scattete, kühn phrasierte und sanft schmeichelte wie lange keiner.

Zu einem Festival dieses Zuschnitts gehören schon aus Kostengründen (Ausländersteuer etcetera) viele deutsche Namen. Liest man sie einmal in einer Massierung wie hier, dann wird einem der Fortschritt der vergangenen zwei Jahrzehnte erst so richtig bewusst: Schöne Stimmen wie Lisa Bassenge, Jessica Gall, Michael Schiefel oder  natürlich die Lokalmatadoren Stefan Gwildis und Roger Cicero, herausragende Instrumentalisten wie Nils Wogram, Johannes Enders, Nils Wülker oder Julia Hülsmann, international vorzeigbare interdisziplinäre Bands wie The Notwist, Mo’Blow oder Brixtonboogie – alles ist vorhanden, und anstelle der Anwesenden könnte man problemlos Gleichrangige buchen können. Und vielleicht den einen oder anderen Jüngeren buchen sollen, denn für den Kenner kamen die Entdeckungen allesamt aus dem Ausland. Als große Acts das amerikanisch klingende französische Stimmwunder Nina Attal und die bislang Alicia Keys zuarbeitende Funk-Saxofonistin Lakecia Benjamin; für die Clubs der kubanische Pianist Alfredo Rodriguez mit seiner akustisch wie elektronischen Latin-Neuinterpretation, sein niederländischer Kollege Rembrandt Frerichs, der – ebenfalls im Trio – ebenso unerhört europäische mit arabischen Klangwelten rekombiniert, sowie der ungarische Sänger Gabor Winand, der – am Flügel begleitet von seinem kubanischen Schwager Ramon Valle – so virtuos scattete, kühn phrasierte und sanft schmeichelte wie lange keiner.

Die Genannten sind nur ein Ausschnitt des in zwei Tagen Gebotenen, und darin liegt auch ein Problem: Elbjazz gehört zu den Festivals, bei denen man nur einen kleinen Teil des parallel laufenden Programms sehen kann. Man muss also auswählen, und hat hinterher immer das Gefühl, zwar viel erlebt, aber auch viel verpasst zu haben. Da musste man dann an den vielleicht bewegendsten Moment der Echo-Verleihung denken. Der fast blinde Vibrafon-Veteran Wolfgang Schlüter hatte seinen Dank hanseatisch so formuliert: „Liebe Honoratioren, bitte, bitte, vergesst mir nicht die kleinen Clubs!“ Denn kurz bevor die Elbjazz-Plakate und -Flyer die Stadt überfluteten, kam die Nachricht, dass das „Birdland“ schließen wird. So hat Hamburg nun also zwei große Festivals – neben Elbjazz Karsten Jahnkes Überjazz im Oktober –  und ein paar Hallen, aber keinen richtigen Jazzclub mehr. Für den Titel der Jazzhauptstadt reicht das eher nicht. Gibt es denn überhaupt eine? München hat den Vorzeigeclub, aber kein großes Festival; Köln vor allem Musiker; Berlin von allem etwas, aber kein Geld; Frankfurt fast nichts mehr.

Ohnehin ist die „Festivalisierung“, die grassierende „Event“-Kultur im Jazz bedenklich. Was nutzt die erfolgreiche Nachwuchsförderung – vom feingliedrigen Orchestersystem der Schul-Bigbands bis zum Bujazzo über die mehr als 20 Jazzabteilungen der Musikhochschulen bis zu diversen Nachwuchspreisen -, wenn die Geförderten danach als Profimusiker keine Auftrittsmöglichkeiten und Jobs haben. Und welcher Jazzfan soll die Aussicht erstrebenswert finden, hochkarätigen Live-Jazz nur noch auf wenige Termine verdichtet im Hallen- und Festivalformat hören zu können.  Immerhin fängt die Szene an, sich selbst zu helfen. Musiker, Veranstalter und Labels, bisher fast immer als Einzelkämpfer und Selbstausbeuter unterwegs, beginnen sich zu organisieren und schlagkräftig zu formieren. Ein erster großer Erfolg – errungen durch die von Julia Hülsmann und Felix Falk wiederbelebte, rasant wachsende Union deutscher Jazzmusiker - ist die mit einer Million Euro ausgestattete, dem Kinobereich vergleichbare Spielstättenförderung durch den Bund, die im kommenden Jahr anlaufen wird. Sie setzt am richtigen Punkt an: Spektakel wie Echo oder  Elbjazz sind schöne Sahnehäubchen, was der Jazz aber wirklich braucht, ist die Basis der Clubs.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!