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Akademisches Potenzial bündeln

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MHL profitiert vom Lübecker Modell wissenschaftlicher Kooperation
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An der Musikhochschule Lübeck (MHL) wird nicht nur geübt und unterrichtet, sondern auch geforscht. Für das Brahms-Institut an der MHL sind durch eine Kooperation mit dem Zentrum für kulturwissenschaftliche Forschung (ZKFL) der Universität zu Lübeck neue Perspektiven entstanden.

Die Auszeichnung „Stadt der Wissenschaft“ 2012 veränderte das gesellschaftliche Bewusstsein in Lübeck nachhaltig. Überaus positiv war nicht nur die Resonanz bei den Bürgerinnen und Bürgern, die an entsprechenden Veranstaltungen begeistert partizipierten, sondern auch die kommunalen politischen Instanzen reagierten auf die Herausforderungen. Seitdem wird ein Konzept zur Entwicklung einer dauerhaft wirksamen Wissenschaftsstadt im globalen Wettbewerb vorangetrieben. Am ZKFL, in diesem Kontext in einer strategischen Partnerschaft mit der Hansestadt gegründet, mobilisiert man nun erfolgreich zuvor ungenutzte Ressourcen in Museen und anderen Einrichtungen und koordiniert Projekte für akademische Qualifikationen durch einen institutionellen Verbund, zu dem nun auch die MHL gehört.  
Organisation wissenschaftlicher Qualifikation. Im Jahr 2018 schloss sich die MHL, die schon seit mehreren Jahren mit Kulturinstitutionen der Hansestadt wie dem Behnhaus und dem Buddenbrookhaus zusammenarbeitet und dort Veranstaltungen durchführt, diesem Verbund an.

Die durch den Leiter des Brahms-Instituts Prof. Dr. Wolfgang Sandberger initiierte Kooperation ist durch niederschwellige formale Regeln gekennzeichnet. Nun lassen sich interdisziplinäre Doktoranden-Projekte verwirklichen, die insgesamt mit aktuell 900.000 Euro von der Lübecker Possehl-Stiftung finanziert werden. Das ZKFL ist dabei Multiplikator und verteilt die Zuwendungen aus kollektiven Anträgen seiner Mitglieder. Die Vergabe findet durch ein Bewerbungsverfahren statt. Zwei von elf Stipendien bekam das international renommierte Brahms-Institut. Die Vorteile sind evident: Musikwissenschaft und das Promotionsrecht der MHL sind in den ZKFL-Verbund einbezogen, und deren Doktoranden in Lübeck sind nicht mehr, wie die meisten anderen, auf Betreuer bei Universitäten außerhalb angewiesen, sondern können unmittelbar und autark einen Dr. phil.-Titel erwerben, Forschung, Dissertation und Rigorosum an einem Ort absolvieren.

Das Lübecker Modell

Bedingung für ein Stipendium ist, dass die jungen Wissenschaftler mit und in den Quellen und Beständen der Lübecker Museen, Bibliotheken, Archive und Sammlungen forschen. In Kolloquien kommen sie zum gegenseitigen Austausch zusammen und diskutieren ihre Forschungsansätze. Da die gegenwärtig elf Doktoranden alle ideengeschichtlich orientiert sind, können sie ihre sehr unterschiedlichen Themen übergeordnet diskutieren. „Wir profitieren von unseren interdisziplinären Diskursen, weil es doch erstaunlich viele Parallelen gibt und wir über unsere jeweilige Fachperspektive hinausschauen können“, sagt Lea Kollath, Doktorandin am Brahms-Institut, das sowohl ein Ort der Wissenschaft als auch Museum ist. Und Teresa Ramming, Doktorandin und Volontärin am Brahms-Institut, ergänzt, dass ein anderer Blickwinkel für das eigene Thema sehr inspirierend sein kann, wenn es etwa aus einer literarischen, archivalischen, philosophischen oder soziologisch ausgerichteten Fragestellung der anderen Doktoranden heraus betrachtet wird.

„Die Erweiterung der Kolloquien um Aspekte der Musik bedeutet einen qualitativen Sprung, weil diese Themenstellungen diverse Verbindungen zu anderen Projekten haben, so: Bild und Wort, Musik und Sprache, Theorie und Praxis, Tradition und Gegenwart, die selten so explizit wie in den Musikwissenschaften diskutiert werden“, hebt Professor Dr. Cornelius Borck, Leiter des ZKFL, hervor. - Neben dem konventionellen Stipendium ist das Lübecker Modell ein Novum: Drei der insgesamt elf Doktoranden sind dabei als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt und teilen ihre Arbeitszeit je zur Hälfte auf die Promotion und ein Volontariat auf.  „Wissenschaftliche Forschung und praktische Arbeit können sich befruchten, anstatt die Doktoranden über längere Zeit in prekäre Arbeitsverhältnisse zu zwingen“, erklärt Borck. „Das Konzept stellt hohe Anforderungen an alle Partner, denn sie müssen lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Doch das Lübecker Modell ist schon jetzt ein Erfolg: andere Museen und die Bundesvereinigung der Volontäre haben sich nach unseren Erfahrungen erkundigt und zwei weitere Graduiertenkollegs in anderen Städten wollen unserem Weg folgen“, so Borck. Allerdings müsse man sehr diszipliniert sein, den Zeitaufwand für die praktische und wissenschaftliche Arbeit gut balancieren, sagt Teresa Ramming. Die Dissertation bleibt Priorität und darf nicht vernachlässigt werden.

Promotionen und Ausstellungsprojekt am Brahms-Institut

Diesen Aspekt hat Wolfgang Sandberger im Blick, denn beide genannten Stipendiatinnen sind am Brahms-Institut beschäftigt. Komparatistisch untersucht Teresa Ramming das Brahms-Bild, wie Max Kalbeck es in seiner noch immer maßgeblichen Monumentalbiografie geformt hat. Dabei filtert sie heraus, welche Rezeptionsmuster und Stereotypen kulturhistorisch relevant sind und die Wahrnehmung des Komponisten geprägt haben. „Spannend finde ich auch die Frage, ob Kalbeck, der ja ein enger Brahms-Vertrauter war, Eigenes auf die Darstellung seines Protagonisten projiziert hat.“ Vice versa ist erstmals ein Kapitel dem Kalbeck-Bild von Brahms gewidmet. Insofern könnte Rammings Analyse paradigmatisch zur kritischen Biografien-Lektüre generell anleiten.

Bekannt ist, dass Brahms ein obsessiver Büchersammler und Leser war. Bisher wurde nicht erforscht, welchen Einfluss die romantische Literatur, insbesondere die Texte von E.T.A. Hoffmann und Joseph von Eichendorff, auf die intellektuelle und künstlerische Sozialisation des jungen Johannes Brahms hatten. Genau an dieser Stelle setzt die Doktorarbeit von Lea Kollath an: Sie möchte, musikästhetisch mit Beziehung auf Opus 1 bis 10, herausarbeiten, wie Brahms sich ohne akademische Expertise, also autodidaktisch, durch den Habitus der Bildungsbeflissenheit und Selbstreflexion aus dem kleinbürgerlichen Milieu seiner Herkunft zum (auch ökonomisch) soliden Bürger katapultiert hat, der sich aktiv an den Diskursen seiner Zeit beteiligte. Lea Kollath ist zudem Redakteurin für die von Sandberger herausgegebenen Göttinger Händel-Beiträge. „Hier setze ich mich mit der Edition wissenschaftlicher Texte auseinander und lerne, wie ich mit den Autoren über die Einhaltung formaler Standards angemessen kommunizieren kann“, resümiert Kollath.

Teresa Ramming wiederum bereitet als Volontärin im Lübecker Modell gemeinsam mit Wolfgang Sandberger eine Ausstellung mit dem Titel „a BRIEF history“ vor, die zu der vom ZKFL durchgeführten Summerschool 2020 unter dem Motto „Massenhaft Briefe“ eröffnet werden soll. Idee der Ausstellung ist ein kulturhistorischer Einblick in das Medium Brief im Hinblick auf die materiell interessantesten Stücke aus den Lübecker Beständen.  Lübecker Kultureinrichtungen und Museen stellen dafür materiell spektakuläre Briefe vom frühen Mittelalter bis heute zur Verfügung - von der Wachstafel bis hin zur digitalen Kommunikation -, sodass Besucher die Kulturgeschichte des Briefes anhand von Exponaten aus den Lübecker „Schatzkammern“ erleben können. Fünfzehn Institutionen sind mit je zwei Exponaten an dieser Ausstellung, die am 13. September 2020 im Brahms-Institut eröffnet wird, und am dazugehörigen Katalog beteiligt.

In solcher Konstellation entwickelt sich ein wissenschaftliches Forum zum allseitigen Vorteil. Institutsleiter und Doktorvater Wolfgang Sandberger: „Das ZKFL fördert interdisziplinäre Promotionen im geisteswissenschaftlichen Sektor, die von der MHL durch eigene Kompetenzen betreut werden können. Die Lübecker Museen und Sammlungen, geleitet von wissenschaftlich qualifiziertem Personal, können nun institutionell in die universitäre Forschung und Publikation eingebunden werden und die Hansestadt Lübeck kann durch diese Kooperation ihr Profil als Wissenschaftsstandort effektiv konturieren.“ So wird in Lübeck durch dieses flexible Netzwerk akademisches Potenzial gebündelt und öffentlichkeitswirksam vorangebracht.   
www.mh-luebeck.de
www.brahms-institut.de

Veranstaltungstipp: Ausstellungseröffnung „a BRIEF history“ am 13. September 2020 im Brahms-Institut, Jerusalemsberg 4, 23568 Lübeck

Brahms interdisziplinär – Porträt Lea Kollath

Lea Kollath, 1991 in Kiel geboren, absolvierte nach einem schulbegleitenden Vorstudium im Fach Klavier an der Musikhochschule Lübeck ebendort den Bachelor of Arts „Musik vermitteln“ (Hauptfach Klavier). Parallel dazu studierte sie Germanis­tik an der Universität Hamburg und erlangte 2018 in beiden Fächern den Master of Education. Über mehrere Semester engagierte sie sich an der Musikhochschule Lübeck als AStA-Vorsitzende und war als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. Wolfgang Sandberger aktiv. Ihre mit Bestnote bewerteten Abschlussarbeiten zu musikalisch-poetischen Bezügen in Robert Schumanns Papillons op. 2 und Dimensionen des „Balladesken“ in Johannes Brahms’ Balladen op. 10 waren bereits interdisziplinär angelegt, sodass hieraus die Idee für ein Dissertationsvorhaben erwuchs, das sowohl musik- als auch literaturwissenschaftliche Ansätze aufweist. Seit Januar 2018 promoviert sie am Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck über den jungen Johannes Brahms und die romantische Literatur. Ihr Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Zwischen Hoffmann und Eichendorff – Der junge Johannes Brahms und die romantische Literatur. Eine interdisziplinäre Untersuchung zum Frühwerk“ wird von Prof. Dr. Wolfgang Sandberger betreut und durch ein Stipendium des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL) gefördert. An ihrem Projekt reizt sie insbesondere die Möglichkeit, durch den interdisziplinären Zugang innovative Perspektiven auf Biographie und Kompositionen des jungen Brahms einzunehmen und diesen auch auf der werkanalytischen Ebene fruchtbar zu machen. Neben ihrer Dissertation ist Lea Kollath am Brahms-Institut mit Redaktionsaufgaben, Konzert-Moderationen und weiteren Projekten betraut.

Biografie-Expertin – Porträt Teresa Cäcilia Ramming

Teresa Cäcilia Ramming ist 1987 in Gunzwil (Schweiz) geboren. Nach ihrem Abitur mit Schwerpunkt Musik begann sie ein Studium der Psychologie und Japanologie an der Universität Zürich, bevor sie zu Musikwissenschaft und Germanistik wechselte. Von 2012 bis 2017 war sie Semesterassistentin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Laurenz Lütteken am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, im Frühjahr 2015 war sie Hospitantin in der Programmheftredaktion von BR-Klassik. Im Juli 2017 schloss sie ihren Master of Arts in Musikwissenschaft, Deutsche Literaturwissenschaft und Allgemeine Vergleichende Literatur ab. Ihre Masterarbeit „Die Musik in Simone de’ Prodenzanis ‚Il Saporetto‘“ zur literarischen Musikrepertoire-Überlieferung im italienischen Tre- und Quattrocento wurde mit dem Semes­terpreis der Universität Zürich ausgezeichnet. Sie schreibt Konzertprogrammtexte für mehrere Klangkörper, so etwa für das Tonhalle-Orchester Zürich, das Musikkollegium Winterthur, das Münchner Rundfunkorchester und erstKlassik am Sarnersee. Seit Januar 2018 ist sie im Rahmen des Zentrums für kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL) Volontärin und Doktorandin am Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck. Im Rahmen des vierjährigen Volontariats arbeitet sie in den verschiedenen Bereichen des Instituts mit; dazu gehören etwa wissenschaftliche Recherchen, Redaktion (Print und online), Museum und Ausstellungen, Veranstaltungsplanung und -durchführung sowie Konzertmoderationen. In ihrem Dissertationsprojekt zum Brahms-Bild Max Kalbecks (Betreuung Prof. Dr. Wolfgang Sandberger) untersucht sie das literarische Künstler-Bild Johannes Brahms’, das Max Kalbeck in seiner achtbändigen Monumentalbiografie vom norddeutschen Komponisten entwirft

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