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Von der Bi- zur Trimedialität. Foto: Martin Hufner
Von der Bi- zur Trimedialität. Foto: Martin Hufner
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Alles unter einem Dach

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Die trimediale Epoche und die Musik
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Wenn in den 1970er-Jahren der „Rockpalast“ im Fernsehen übertragen wurde, trugen wir regelmäßig auch den Radioapparat und das Tonbandgerät ins Fernsehzimmer. Jetzt konnte der Livekonzertabend im TV gesehen, aber auch in Stereo und (laut) über Kopfhörer gehört und zugleich auch noch aufgenommen werden. Was die Technik noch nicht ermöglichte, schufen wir uns durch Improvisation und Körpereinsatz selbst. Wir jugendlichen Nutzer waren weiter als die Sender, waren Bastler, Pioniere einer gelegentlichen Mehrmedialität. Erst viel später konnten die Konzerte dann auch als CD oder DVD käuflich erworben, die Wiederholungen mit dem Videorecorder mitgeschnitten oder – legal oder illegal – auf YouTube nochmals angesehen werden.

Doch der „Rockpalast“ war damals eine große, aber enorm populäre Ausnahme. Hörfunk und Fernsehen entwickelten sich seit den 1960er-Jahren nicht zusammen, sondern auseinander; beide professionalisierten sich und positionierten sich gegeneinander: Das Radio konzentrierte sich auf das, was es scheinbar am bes-ten konnte, das Fernsehen machte es – zunächst vor allem in den Abendstunden – ebenso. Schon in den 70er-Jahren wurde deshalb begonnen, die damals ausschließlich öffentlich-rechtlichen Radiowellen musikalisch zu profilieren. Es entstanden neue und enorm erfolgreiche Rock- und Popwellen (Bay­ern 3, SWF3, hr3), ihnen folgten Schlagerwellen (WDR4, hr4), Klassikwellen (Bayern 4) und nach 1986 dann die vielen formatierten privaten Hitwellen mit ihren AC- (Adult Contemporary) oder CHR-Formatierungen (Contentempory Hit Radio).
Hier stand der Wellensound („Das Beste aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren“), nicht mehr das einzelne Werk, im Mittelpunkt der Programmierung. Das Fernsehen hingegen folgte diesen regional sehr unterschiedlichen Radioentwicklungen nicht, seine Spezialisierung blieb erheblich geringer. Musik spielte weder im öffentlich-rechtlichen (ARD, ZDF) noch im privaten (RTL, SAT1, Pro 7) Fernsehen die Rolle, die ihr das Radio einräumte. Im Fernsehen traten Musiker auf, industriell hergestellte Produkte wurden hier – sieht man einmal von den späteren Musikprogrammen MTV und VIVA (1993) ab – nicht programmprägend abgespielt.

Friedliche Koexistenz

Bis in die 1990er-Jahre lebten Radio und Fernsehen friedlich nebeneinander, jedes Medium hatte seine spezifische Machart und seine besonderen Aufgaben. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo die ARD über Radio- und Fernsehprogramme verfügte, hatten beide Medien ihre eigenen Funkhäuser oder Programmdirektoren, auch technisch kam man sich nicht ins Gehege. Fernsehen war nur mit einem Fernsehgerät, Radio nur mit einem Radioapparat nutzbar.

Erst die neuen Medien, die Computer und die Digitalisierung sowie die neue Plattform Internet machten die etablierten Grenzen porös. Ton und Bild, Hörfunk und Fernsehen konnten im digitalen Netz ganz neu zusammenkommen.

In welchem Ausmaß heute Musik mehrmedial eingesetzt wird, entzieht sich weitgehend der Beobachtung und dürfte höchstens anhand der Abrechnungen der Urheber oder der Verwertungsgesellschaften punktuell nachvollziehbar sein. Allein in Deutschland gibt es heute rund 60 öffentlich-rechtliche und mehr als 200 private Radiosender.

Seit den Anfängen des Radios in Deutschland 1923 konnten Konzerte oder auf Schallplatten konservierte Musik technisch ohne große Probleme eins zu eins und – quasi bimedial – auch vom Radio gesendet werden. Rechtlich verursachte der Austausch zwischen (Platten-)Industrie und Hörfunk zunächst Konflikte, doch irgendwann etablierte sich eine problemarme Alltagspraxis, beide profitierten voneinander. Die Entwicklung der Aufnahmegeräte machte viel später auch die Übernahme industrieller Musikproduktionen ins Fernsehen möglich; auch hier bedurfte es der (relativ einfachen) Abstimmung zwischen Industrie und Sendern. Zu diesen traditionellen Abspielwegen für Radio und Fernsehen ist inzwischen auch der Live-Stream per Internet getreten. BR-Klassik oder NDR 2 können so weltweit empfangen werden – und natürlich auch die Musik, die sie senden; seit Anfang des Jahres sind etwa auch alle ZDF-Programme auf Computer oder Smartphone live präsent.

Doch mit dieser Mehrmedialität zwischen Industrie und Massenmedien hat der heutige Trend zur Trimedialiät nichts zu tun. Die neue Trimedialität – so definiert etwa der Norddeutsche Rundfunk – bezeichnet „die redaktions-, medien- und standortübergreifende Kooperation und Vernetzung, also die enge redaktionelle und technische Zusammenarbeit zwischen Radio, Fernsehen und Online“.  Diese moderne Trimedialität geht vom Sender, vom Massenmedium aus.
Neuorientierung

Die trimediale Neuorientierung steht heute noch in den Anfängen, sie scheint weitgehend auf die Sender der öffentlich-rechtlichen ARD beschränkt zu sein; nur sie haben diesen dreifachen Zugang zu Radio, Fernsehen und Internet. Der Entwicklungsstand ist regional sehr unterschiedlich: Es gibt gegenwärtig (1) erste trimediale Funkhäuser, (2) verschiedene Organisations- und Planungsstrukturen, die Mehrmedialität ermöglichen sollen sowie (3) einzelne trimediale Projekte. Musik spielt dabei keine Hauptrolle, im Gegenteil. Da die öffentlich-rechtlichen Anstalten Nachrichten, Information, Kultur oder Unterhaltung selbst produzieren, aber – außer durch die ARD-Klangkörper,  darunter zehn (2007) Sinfonieorchester, Big Bands und Chöre – keine Musik, scheint die trimediale Berücksichtigung der Musik besonders schwierig. Sie wird in den Livestreams im Netz mitgesendet, ist in den neuen und immer wichtigeren nichtlinearen On-Demand-Angeboten aber nicht vorhanden. Schaut man sich etwa die diversen Podcasts und Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender an, dann fällt sofort das Fehlen fast jeglicher Musik auf: „Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir aus urheberrechtlichen Gründen Musiken, die in der Sendung gespielt wurden, in dem nun folgenden Podcastangebot ausblenden müssen“, heißt es etwa beim Hessischen Rundfunk. In der analogen Zeit sind die musikalischen Senderechte jeweils exklusiv an die flüchtigen Medien Radio oder Fernsehen vergeben worden, nicht aber für das damals noch unbekannte Speichermedium Internet. Musik, die jederzeit kostenlos aus Sendermediatheken etwa als mp3 heruntergeladen werden kann, wird aber nicht unbedingt auch gekauft.

Rudimentär trimedial

Es sind gegenwärtig eigentlich nur die öffentlich-rechtlichen Sender der ARD, die Zugriff auf Radio, Fernsehen und Internet haben. Ihre Strukturen sind erst rudimentär trimedial ausgerichtet, aber sie wurden und werden in diese Richtung um- und ausgebaut.

1.) In Saarbrücken, Bremen und Berlin existieren inzwischen trimedial konzipierte Funkhäuser, der SWR sieht seine „Zukunft trimedial“; Fernsehen, Hörfunk und Internet sollen „irgendwann“, so berichtete die Süddeutsche Zeitung 2011, „nicht mehr drei Organisationsbereiche sein, sondern nur noch Ausspielwege“. In München plant man ein neues Funkhaus, in dem alle Redaktionen (Radio, TV, Netz) real versammelt und – durch moderne Computersoftware – vernetzt sind. Das neue Funkhaus soll 2018 stehen, der trimediale Prozess 2023 abgeschlossen sein. Wie weit die Prozesse im Einzelnen sind, entzieht sich der Kenntnis Außenstehender weitgehend. Und auch was sich wirklich verändern wird, scheint noch weitgehend offen. 2012 kündigte BR-Intendant Ulrich Wilhelm Folgendes an: „Wir werden weiterhin die seit Jahren bekannten und beliebten Fernseh- und Hörfunk-Sendungen produzieren. Und gleichzeitig werden wir verstärkt Formate anbieten, die im Internet gängig sind. Denn das Internet verändert die Mediennutzung in unverkennbarem Ausmaß.“

2.) Auch die für Trimedialität nötigen Organisationsstrukturen sind offenbar erst rudimentär entwickelt, etwa die Newsdesks. Sie sind die zentralen Planungsorte in den Sendern, an denen abgestimmt werden soll, was in Radio, Fernsehen und Internet behandelt wird. Was zuvor in den Händen einzelner Redakteure lag, soll demnächst – für die Nutzer unsichtbar – zentral an Newsdesks entschieden werden.

Diese Newsdesks haben in den einzelnen Sendern gegenwärtig offenbar sehr unterschiedliche Funktionen, sie werden bisher wohl vor allem zur Koordination der Nachrichtenangebote genutzt. Anders ist es bei WDR 3. Das Kulturradio möchte sich – noch nicht wirklich trimedial – als „zentrale Kulturplattform in und für NRW, sowohl im Programm als auch im Internet“ positionieren und hat deshalb als wohl ers­tes Kulturradio seit Oktober 2012 eine zentrale redaktionelle Koordinationsstelle, ein „Kulturdesk“, eingerichtet. Dessen Aufgaben sind vielfältig: Nicht nur die Entwicklung von Schwerpunkten und Themenreihen soll hier geschehen. Die zentrale Musikplanung (für das Tagesprogramm) und die Konzertplanung WDR 3 sind dort angesiedelt. Das Desk soll Anlaufstelle für die anderen Hörfunkwellen des WDR, der ARD und der EBU werden. Und dann auch noch „eng“ mit einer neu gegründeten WDR-3-Internetredaktion zusammenarbeiten.

3.) Trimedialität erfordert nicht nur neue Funkhäuser und neue Strukturen, sondern auch neue Verträge. Es ist deshalb auch wenig verwunderlich, dass gegenwärtig vor allem Neu- und Eigenproduktionen der Sender, Events vor allem, für möglichst viele Plattformen geplant werden – und geplant werden können. Inzwischen gibt es etwa die Marke „Tatort“ im Fernsehen, als „Radio Tatort“ (ARD-weit) im Hörspiel sowie – auf den TV-Termin abgestimmt – etwa als „Tatort Lounge“ (hr, 14. April) im Radio oder im Netz. Der Fernseh-event „Rommel“ wurde durch ein Hörspiel, eine Diskussionsrunde und sehr ausführliche Internetseiten ergänzt. Und während der ARD-Themenwochen widmen sich alle drei Medien einem Thema. Trimedialität heißt hier: more of the same, zumindest thematisch. Musik spielt bei diesen Events eine eher untergeordnete Rolle.

Verstärkung von Events

Aber es gibt auch Versuche, musikalische Angebote in sehr unterschiedlichen Formen trimedial auszurichten. Auch hier sind es meistens herausragende Ereignisse, Events, die durch zusätzliche Medien noch einmal verstärkt werden:

2006 richtete die Kulturwelle WDR 3 ein Kulturpartnerfest in sechs Städten aus und öffnete das Programm an diesem Tag zwölf Stunden einzig diesem Ereignis. Das Fernsehen brachte Berichte, weitere Informationen gab es auf den Internetseiten. Es war das erste trimediale Kulturpartnerfest. 2010 wurde erstmals der Deutsche Radiopreis verliehen. Der Event wurde live von über 20 öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern ausgestrahlt. Dazu kamen Zusammenfassungen im Fernsehen. Und die entsprechenden Internetangebote (Text, Audios, Videos).

2010 wurde der European Song Contest mehrmedial ausgerichtet. Die LiveVeranstaltung wurde im Fernsehen, öffentlich-rechtlich (ARD) und privat (Pro 7) ausgestrahlt. Die ARD-Jugendwellen waren vielfältig in das Projekt eingebunden.

Einen etwas anderen Weg geht der Bayerische Rundfunk schon seit 2009 bei seinen Klassikangeboten. Er hat alle klassikaffinen Bereiche zu einer Marke zusammengezogen. Das weitgehend klassische Musik sendende Radioprogramm heißt BR-Klassik, BR-Klassik gibt es aber auch im Fernsehen, Klassik zum Sehen also; die CD-Editionen haben denselben Titel und im Internet ist man unter www.br-­klassik.de präsent. Am Beispiel von Johann Sebastian Bachs „Matthäus Passion“ lässt sich sehr schön zeigen, was das praktisch heißt: Das Gipfelwerk wurde am Februar 2013 in München vom Chor des Bayerischen Rundfunks aufgeführt und aufgezeichnet, an Karfreitag sendete BR-Klassik (Hörfunk) die Tonaufzeichnung, das Bayerische Fernsehen brachte am selben Tag eine visualisierte Fernsehfassung, im Internet waren die Originalfernsehaufzeichnung (im Videostream) und ein Making-Of zu sehen. Und Ende des Jahres sollen bei BR-Klassik auch CD und DVD erscheinen. Bachs Werk ist also auf allen Kanälen – und sogar kommerziell – präsent.

Über Trimedialität ist aus dem ZDF nur wenig zu hören. Das Zweite hat keine Radiosender, die es einbinden könnte. Und so beschränkt man sich etwa bei den neuen digitalen Zusatzangeboten wie ZDFkultur darauf, einfach „andere“ Musikformate wie Bauhaus, TV Noir oder Berlin live zu entwickeln und auszuprobieren. Die Digitalkanäle sind hier auch Experimentierplätze. Auch aus den Privatsendern ist nur wenig zur Trimedialität (Radio, Fernsehen, Internet) zu hören. Überschaut man die gegenwärtigen Diskussionen um Trimedialiät, dann fällt auf, dass Musik nicht im Zentrum der Reformen steht. Trimedialität, so kann man die öffentlich-rechtlichen Macher interpretieren, ist eine Option für die Zukunft, eine Option, die durch das Internet ermöglicht oder – je nach Sichtweise – erzwungen wurde. Und natürlich durch die Jugend, die ihre ganz eigenen Medienumwelten hat. Trimedialität steht heute für Jugendlichkeit und Zukunft. Dass auch eine „Optimierung“ der Angebote angestrebt wird, bleibt bisher eher im Hintergrund.

Die Politik hat die positiven, zukunftsorientierten Sichtweisen auf Trimedialität inzwischen partiell übernommen. Die Grünen etwa fordern einen neuen öffentlich-rechtlichen, musikdominierten Jugendsender, der trimedial (Radio, Fernsehen, Internet) ausgerichtet sein soll. Er sollte, so die Grünen, in zwei bis drei Jahren starten. Es ist also noch ein wenig Zeit präziser festzulegen, wie die Trimedialität einer Neugründung tatsächlich ausschauen könnte.

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