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Als Mensch am Klavier

Untertitel
Professor Günter Philipp im Porträt
Publikationsdatum
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Kurz nach dem 75. Geburtstag von Prof. Günter Philipp hat der Kamprad Verlag das klavierpädagogische Werk „Klavierspiel und Improvisation“ des Ehrenpräsidenten des Deutschen Tonkünstlerverbandes Sachsen, in erheblich erweiterter und überarbeiteter Fassung herausgebracht. Die Figur des Mannes ruht im Sessel, die Arme auf den gepolsterten Lehnen. Seine Gesichtszüge sind weich, freundliche Linien umspielen den Mund nicht nur wenn er lächelt. Die schneeweißen Haare rahmen das Gesicht: Ein Paar blaue Augen, das mal erstaunt, mal kritisch, mal beobachtend, mal warmherzig, aber stets aufmerksam und klar auf sein Gegenüber blickt. Seine Hände sind das Einzige, was in ständiger Bewegung ist. Immer wieder greifen sie Klavierpassagen auf, die Philipps Frau und Pianistin Ute Pruggmayer-Philipp im Nebenzimmer übt.

Der Mensch im Mittelpunkt

Prof. Günter Philipp – Klavierpädagoge, Pianist, Maler, wissenschaftlicher Publizist. Ein Paar Titel fehlen noch. „800 Gemälde und Aquarelle, 700 Konzerte, 450 Rundfunkauftritte, 140 Vorträge, zahlreiche Meisterkurse von Stockholm bis Tokio, 35 Fachartikel” heißt es in einer Randbemerkung in Philipps 820 Seiten starkem Lehr- und Bekenntniswerk „Klavierspiel und Improvisation“, das 2003 erschienen ist.

Seine Augen beobachten zurückhaltend. Darum geht es gar nicht? Bei Günter Philipp steht immer und aussch1ießlich sein Gegenüber im Mittelpunkt, sowohl in seiner Pädagogik als auch in seinem publizistischen Werk. Der Klavierschüler besteht nicht nur aus spielenden Händen. Seine Ängste, seine Lebensphasen, seine individuellen Veranlagungen müssen im Unterricht Platz haben. Eine kranke Seele kann keine kraftvolle Musik machen. Philipp hat weggeschwiegene Themen in den Mittelpunkt gestellt, hat offen über Neurosen, Depressionen Spielerkrankungen und mögliche Behandlungsmethoden geschrieben. „Es ist haarsträubend wie Lehrer mit ihren Schülern als Personen umgehen!“ Philipps Augen sind bewegt.

Sich selbst bewusst geblieben

Was steckt dahinter? Er ist er selbst geblieben – in den kulturpolitischen Verhältnissen der DDR. „Andere haben sich gefragt, ob ich nicht psychisch zugrunde gehe. Ein paar Jahre kann man das verkraften, aber wenn das über Jahrzehnte geht…“ Günter Philipp spricht nun über sein Leben im SED-Staat. Als das Kulturministerium nach der politischen Wende erklärt, dass keiner seiner Kollegen unter solchen Repressionen gelitten hat wie er, wundert das den Meister nicht. In der Hochschule im Konzertbereich oder in der Malerei: Die Probleme beginnen schon während seines Studiums an der Leipziger Musikhochschule in den 50er-Jahren. „Sie haben versucht, mich rauszuschmeißen, haben mir im Vorbeigehen auf der Treppe mitgeteilt, dass ich nicht zum Examen zugelassen werde.“ (Dass es dann anders kam, verdankte Philipp seinen Wettbewerbserfolgen.) Seine Augen sind nicht hart, zeigen aber eine Spur von Endgültigkeit.

Ab den 60er-Jahren werden Philipps Konzerte stark eingeschränkt, da die Künstleragentur der DDR ihn nicht in ihrem Katalog führt. Der Rundfunk und Dirigenten werden unter Druck gesetzt, nicht mehr mit dem Pianisten zusammen zu arbeiten. Reisen werden verboten. Die Berufung als Professor wird jahrzehntelang immer wieder verschoben bis nach der Wende, die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler der DDR viermal abgelehnt. In den Siebzigern, als Philipp an der Hochschule in Dresden lehrt, sind gleich mehrere IM’s der Stasi auf den Pädagogen angesetzt. „Innerhalb der Klavierabteilung alleine gab es schon etliche Stasileute, in jeder Studentengruppe war einer.“

Die Ganzheitlichkeit im Kopf

Philipp muss jede Chance nutzen: Auf der Bühne springt er oft extrem kurzfristig für erkrankte Kollegen ein. „Ich wurde in der allergrößten Not und immer als letzter gefragt.“ Und er setzt sich für Neue Musik ein. „Aber die Zeit rinnt, man wird immer älter und was vorbei ist, lässt sich nicht mehr nachholen“, sagt er. Daher widmet sich Philipp vorrangig dem, was nicht unter direkter Kontrolle des Regimes stand: Dem Wissen. Mit den Grundlagen des Klavierbaus, der Akustik, der Medizin, Psychologie oder Kybernetik erschafft er die Voraussetzungen für sein Lehr- und Bekenntnisbuch. „Ich war tagelang auf der Leipziger Buchmesse und habe aus unerreichbaren Büchern im Gewühl der Menschen abgeschrieben, was ich konnte.” Philipps Augen lächeln liebevoll. So wurde aus der Repression etwas Neues geboren. „Das ist der Ursprung, warum ich letztlich ein Buch geschrieben und jahrelang daran gesessen habe.“ Auf Anregung des Ministeriums entstand sein erstes großes Werk.

„Klavier/Klavierspiel/Improvisation“ erschien 1984, nachdem es zehn Jahre für Gutachterkontrollen im Verlag gelegen hatte. Dabei wurde das Vorgängerbuch von Philipps Lehrwerk von 2003 an entscheidenden Stellen deformiert: „Sie wollten ganze Abschnitte nicht, wie das Improvisationskapitel. Das war ideologisch ein heißes Eisen.“

Lebendiges, freies Musizieren

Die Improvisation – der schwierigste künstlerische Weg Günter Philipps. Improvisation ist für ihn die Freiheit von Ideen, die Ablehnung dogmatischer Vorstellungen, echte Authentizität. Gegen massiven Widerstand etabliert der Pädagoge 1972 die Improvisation (ab 1978 als obligatorisches Fach) an der Dresdner Musikhochschule, macht sie zur Voraussetzung des lebendigen Musizierens. Eine Handverletzung aus der Nachkriegszeit hatte Philipp gezwungen, eigene Übtechniken zu entwickeln. „Ich musste eine ökonomische Technik finden, damit ich nicht stundenlang auf Tasten schlagen muss“, sagt er. Auch dieses Element passt in die Ganzheitlichkeit seiner pädagogischen Idee. In seinen eigenen Unterricht kann er heute einfühlsam auf individuelle Spielproblematiken seiner Schüler eingehen.

Während Philipp über die Dresdner Musikhochschule spricht, verfinstern sich erstmals seine Augen. Auch nach der Wiedervereinigung stießen seine Bemühungen die dogmatischen Strukturen aufzubrechen auf Widerstand. Er wollte als Abteilungsleiter für Klavier vielen menschlichen Missständen ein Ende bereiten: Cliquenwirtschaft, verzerrte Prüfungsbewertungen, Diffamierung von Fachkollegen, Ablehnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Aber auch die Improvisationsausbildung, die seine Frau seit vielen Jahren international anerkannt (auch als zweites Hauptfach) weiterführt, wird nach seinem Ausscheiden aus der Hochschule wieder in den Hintergrund gedrängt.

„Es gibt so unheimlich viele Defizite, die man anbringen müsste. Aber ich habe keinen Einfluss mehr, kann nur noch zugucken.“ Günter Philipp sitzt ruhig in seinem Armstuhl, es ist spät geworden. Wer Resignation in diesen Worten festmacht, hat sicher nicht unrecht. Die Quintessenz ist jedoch eine andere. Auch der, der Philipps Leben von Weitem betrachtet, kann nun aufrechnen, was für eine Persönlichkeit hier sitzt, die trotz aller Widerstände nicht aufhört zu hinterfragen und sich nie verliert. „Das ist der Ursprung“, sagt Philipp noch einmal.

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