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Auf dem Weg zur Qualitätsentwicklung

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Konzerte für Kinder im Fokus: das Buch „Hörräume öffnen – Spielräume gestalten“ bei ConBrio
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Ernst Klaus Schneider, Barbara Stiller und Constanze Wimmer (Hrsg.): Hörräume öffnen – Spielräume gestalten. Konzerte für Kinder, Regensburg 2011, 256 S., Abb., € 34,90, CB 1229, ISBN 978-3-940678-29-0

Im letzten Jahrzehnt haben sich die Spielräume für Musikvermittlung und Konzertpädagogik weit geöffnet. Die Initiative Konzerte für Kinder der Jeunesses Musicales Deutschland hatte für diese Entwicklung seinerzeit eine Art Startschuss gegeben. Lag damals zunächst noch der Schein des Neuen und Besonderen über der Szene, so sind solche Aktivitäten heute vielerorts selbstverständlicher Alltag geworden, und wohl kaum ein Konzerthaus kann es sich noch leisten, ohne Musikvermittlungsprojekte auszukommen. 

Wettbewerbe wie der „Junge-Ohren-­Preis“ schärfen zwar den Sinn für Qualität, und Ausbildungsgänge oder hochschulische Module tun (langsam) ihre Wirkung, aber durchgängige Qualität auf breiter Basis, die ist wohl noch nicht zu konstatieren. Diese Qualitätsentwicklung wollen die Autoren mit dem vorliegenden Band „Hörräume öffnen – Spielräume gestalten“ fördern, und sie bauen dabei auf dem 2002 herausgegebenen Band „Spielräume Musikvermittlung – Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben“ auf, den sie in aktualisierender und überarbeiteter Form präsentieren.

Einerseits ist es verständlich, dass man auch 2011 Konzerte für Kinder als Herzstück bei Hinwendung zu neuen Publikumsschichten ansieht, andererseits hätten auch nicht an Kunstmusik gewöhnte Erwachsene (insbesondere Senioren?) vielleicht etwas deutlicher thematisiert werden können. 

Der Band ist dreifach gegliedert, wobei die Darstellung von Praxisbeispielen im Vergleich zum Vorgängerband recht weit eingeschränkt wurde. Im umfangreichsten Teil mit der Überschrift „Grundfragen“ wirft Constanze Wimmer zunächst einen Blick auf die Praxis aus historischer Perspektive. Sie zeigt auf, dass im deutschsprachigen Raum die Idee der Volksbildung um die vorletzte Jahrhundertwende die Keimzelle für Konzerte für Kinder bildete, während diese im angloamerikanischen Umfeld in die Gründungsgeschichte der Orchester eingebettet sind. In perspektivischen Sprüngen unter anderem über die Stationen Leonard Bernsteins bis hin zur englischen Szene, die den Zugang zur Musik vor allem auch über eigene Klangexperimente findet, fügt sich bei Wimmer ein facettenreicher Blick auf die Vielfalt der aktuellen Praxis, der durch den Beitrag von Barbara Stiller weiter ergänzt wird. 

Als versierter Spezialist der Kinderkonzertszene gibt Ernst Klaus Schneider in seinem Beitrag „Wege und Formen der Musikvermittlung in Konzerten für Kinder“ viele Antworten auf Grundfragen. Nicht zuletzt verweist sein Exkurs „Der Kunstanspruch in Konzerten für Kinder“ auf das hohe Niveau seiner vielfältigen Ausführungen unter anderem zum Sprechen im Konzert, zur Gestaltung von Hörräumen und Hörsituationen und zur Konzertmitwirkung der Kinder.

Überlegungen zur Legitimation und Qualität von Konzerten für Kinder bietet Michael Dartsch, und er nimmt kritische Stimmen ernst, die pädagogischen Veranstaltungen immer eine gewisse Lebensferne vorwerfen. Seine daraus entwickelten Hinweise zur Konzertlänge, zu Mitmachgelegenheiten, zum Kontakt von Kindern und Akteuren und sein Plädoyer für gute und gegen pädagogische Musik helfen ganz konkret beim Konzipieren von (guten) Konzerten für Kinder. Nicht zuletzt können sie auch dazu führen – und hier geht Dartsch noch einen Schritt weiter –, dass andere Altersgruppen ebenso von der Faszination pädagogischer Veranstaltungen ergriffen werden wie Kinder. 

Auch Markus Lüdke geht als Praktiker an die Aufgabe, das Konzertleben zwischen Kunst, Handwerk und Vermittlung zu gestalten. Er kommentiert entwickelnd die Gestaltungsparameter Musik, Interpret und Publikum, die verbindenden Parameter Präsentation, Vermittlung und Interaktion. Diese werden gefasst durch den (Spiel-)Raum, durch vorbereitende Konzerthinführung und gegebenenfalls durch Weiterführung im Rahmen einer Konzertreihe. Das Ideal, all diese Parameter schlüssig aufeinander zu beziehen, mag nicht immer realisierbar sein, kann aber als Reflexionsleitfaden hilfreich sein. 

Das Kapitel Grundfragen wird abgerundet durch ein notiertes Interview mit der Komponistin Katharina Klement, deren Ansatz an den klangkreativen „englischen“ Weg der Hinführung zur Musik erinnert, und durch eine Ausarbeitung von Richard McNicol, der in England seit Langem als erfolgreicher „Music Animateur“ arbeitet. Sein Satz – „Am liebsten gestalte ich meine Ausführungen spontan und das Orchester denkt und reagiert mit“ – mag Lust auf seinen Text und seine Empfehlungen machen. 

Mit „Anregungen“ ist der zweite Teil überschrieben, in dem unter anderem Tipps aus der Praxis von Christian Schruff, Erfahrungen mit einer verbindenden Präsentationsform von Michael Dartsch, die aus einem Konzert für Kinder gleichsam ein Gesamtkunstwerk machen, sowie vier Praxisberichte der Herausgeber zum Thema Neue Musik zu finden sind. Dass das Visuelle als Erfahrungsfeld im Konzert nicht von der Musik ablenken, sondern auf sie hinführen, ja Klangvorstellungen auslösen kann, zeigt Ernst Klaus Schneider. Szenisches Agieren und die Bedeutung des Singens oder der Einsatz von Bodypercussion sind weitere anregende Themen zur Anreicherung des Reflexionshintergrundes von Familien- und Kinderkonzerten. 

„Organisation“, der dritte Teil des Bandes, zielt auf das Management von Konzerten, gibt Hinweise auch zur Öffentlichkeitsarbeit, zeigt am Beispiel der Philharmonie Luxemburg, was unter „Audience developement“ verstanden werden kann und umreißt die Geschichte des „netzwerk junge ohren“. Musikvermittlung im Internet ist ein wachsendes Feld, das als Erfahrungsraum nicht unterschätzt werden darf. Stephanie Riemenschneider bespricht interessante Websites und gibt Anbietern ebenso wie Konsumenten Hinweise zur Nutzung. Sie sieht das Internet aber – trotz der Digital Concert hall der Berliner Philharmoniker – eher als Ergänzung zum Liveerlebnis, denn: „Musik in ihrer ganzen Komplexität und Tiefe kann im Internet nicht vermittelt werden.“ (S. 210) Hier darf man gespannt auf weitere Entwicklungen sein.

Das Glossar zum ABC eines gelungenen Konzertes für Kinder wurde in überarbeiteter Form wieder an den Schluss der Ausführungen gestellt. 

Insgesamt ist der gelungene Band ein Referenzwerk und ein Muss für alle, die sich ernsthaft mit Musikvermittlung und Konzertpädagogik auseinandersetzen wollen.

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