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Ausbildungsziel kompositorische Freiheit

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Das Institut für Neue Musik an der Musikhochschule Karlsruhe
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Nicht weit von der Musikhochschule Karlsruhe entfernt liegt ein langgestreckter Bau, der das Institut für Neue Musik, INM, beherbergt, das Computerstudio der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe. In bescheidenen Räumlichkeiten, aber mit professioneller Einrichtung, wird hier nach neuartigen Formen für musikalische Kompositionen geforscht. Für das nmz-Dossier „Komponieren“ sah sich Erik Buchheister am Karlsruher Institut um.

Als eigenständiges Institut der Karlsruher Musikhochschule wird Studenten hier die Möglichkeit zu einem intensiven Erlernen von digitaler Musik und allem, was man mit Computermusik verbindet, gegeben. Leiter des „Studios für Musikinformatik“ ist Professor T.A. Troge. Seine Erfahrungen mit Computern gewann der studierte Musiker (Klavier und Komposition bei A. Furtwängler, O. Rissin-Morenowa, E.W. Velte und anderen) und Soziologe durch ein Ingenieurwissenschaftsstudium. Neben Schallplatten und Rundfunkaufnahmen als Pianist organisierte Troge in den 80er Jahren verschiedene Projekte im Kulturmanagement. Nach seiner Promotion 1991 in Soziologie wurde er 1993 auf die erste deutsche Professur für Musikinformatik berufen. Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Computerstudio ist die Ausbildung von Kompositionsstudenten. Insgesamt sind maximal zehn Semester für das Studium angelegt, möglich ist aber noch ein Aufbaustudiengang (maximal sechs Semester). Als Abschluß steht für den grundständigen Studiengang Komposition das Diplom, geplant ist noch ein weiterer Schwerpunkt „Elektronische Komposition/Aufführungspraxis/Filmmusik“. Das Computerstudio bietet als Studiengang vielfältige Möglichkeiten und ist nach den jeweiligen Zielgruppen vierfach unterteilt. Zum einen richtet es sich vornehmlich an Kompositionsstudenten und Interpreten elek-tronischer Musik und vermittelt Grund-lagen zur Geschichte der elektronischen Musik, musikalische und technische Akustik, Tontechnik, Computertechnik und anderes mehr. Hier ist insbesondere die „Gehirnwäsche“ bemerkenswert: Gemeint ist damit, „daß gezielt versucht wird, die bei europä-ischen Musikstudenten unvermeidlich vorhandenen Fixierungen auf bestimmte Arbeits- und damit auch Denk-weisen (wie das musikalische Denken in der gewohnten Notation) aufzubrechen und nach einem neuen musikalischen Universalinstrument wie dem Computer angemessenen Denk- und Arbeitsweisen zu fragen“, erläutert Troge. Dies wird anhand der Analyse von elektronischen Werken versucht. All dies ist für Kompositionsstudenten Pflichtbestandteil. Für Studenten aller Fachrichtungen werden Einführungen und Seminare zu folgenden Themen angeboten: Notensatz am Computer (Finale, Logic), Sequenzerprogramme, Interaktive Midi-Programmierung (Max), Benutzung des Bösendorfer-Computerflügels sowie Klangsynthese. Als drittes werden besondere Projekte und Vorhaben, auch als Einzelbetreuung, verwirklicht. Dazu gehören beispielsweise das Projekt „Schlagzeug und Live-Elektronik“, „Alte Musik – Computer-Musik“ oder die „Virtuelle Hochschule“. Im Schnitt werden pro Semester sechs bis zehn größere Uraufführungen realisiert, neben Einstudierungen von „Klassikern“ (beispielsweise Werken von Stockhausen, Nono, Eötvös und anderen) und den zahlreichen experimentellen Arbeiten. Gelegentlich können auch Gastkomponisten im Studio arbeiten; dies taten unter anderem mehrere Stipendiaten der Akademie Schloß Solitude und des ZKM. Viertens schließlich werden Doppelvorlesungen mit Übungen für das Institut LernRadio (auch für Gasthörer) angeboten. Dies wird nach zwei oder drei Semestern für Lernradiostudenten diplomrelevant abgeprüft. Soweit die finanziellen Mittel dies zulassen, wird die Ausbildung ergänzt durch Gastvorträge und Seminare, im vorletzten Jahr beispielsweise von Mesias Maiguashca, der ein einwöchiges Kompositionsseminar gab. Auch mit den Kollegen der Hochschule entstanden mehrere gemeinsame Projekte wie „Schlagzeug & Live-Elektronik“, „Alte Musik & Computermusik“, so daß zumindest bei einem Teil des Lehrkörpers das Computerstudio auch – „im positiven Sinne“, wie Troge leicht ironisch meint – ins Bewußtsein gedrungen ist. Zu vermittelndes Wissen gibt es genügend, denn nicht alle Studenten haben bereits Erfahrung mit Computern und Elektronik. Damit gleiche Voraussetzungen geschaffen werden, führt aufgrund der Sprachschwierigkeiten – viele Studenten kommen aus dem fernöstlichen Raum – kaum ein Weg an Einzelbetreuung vorbei. „Das unterschiedliche Level ist wirklich ein Problem“, meint Troge. Somit müssen die Aufgaben aufgeteilt werden: Außer der Arbeit im Studio durch den Leiter stehen noch eine halbe Stelle sowie drei Tutoren zur Verfügung, „was einerseits angesichts der finanziellen Situation viel, andererseits angesichts der zu leistenden Arbeit wiederum wenig ist“, zeigt sich Professor Troge realistisch. Dennoch ist er mit der recht profunden Ausstattung prinzipiell zufrieden. Leider fällt eine gewünschte zweite Stelle den Sparmaßnahmen zum Opfer. „Das ist sehr bedauerlich, weil wir sehr um diese Stelle gekämpft haben“, zeigt sich Troge enttäuscht. Wer als Kompositionsstudent aufgenommen werden will, muß laut Regularien theoretisch eine Aufnahmeprüfung absolvieren. Doch in der Praxis ist letztlich das persönliche Gespräch und der Eindruck ausschlaggebend, „denn wenn es ein Student mit neuen Ideen ist, kann er auch ohne Aufnahmeprüfung aufgenommen werden,“ vorausgesetzt, seine bisherigen Arbeiten lassen – neben musikalischem Grundwissen – Originalität und eine eigene Entwicklung erkennen. Dennoch muß der zukünftige Kompositionsstudent sich nicht unbedingt mit Elektronik auseinandersetzen. „Wer partout nichts damit zu tun haben möchte, muß es auch nicht“, erklärt Troge. Das bedeutet, daß kompositionstechnische Freiheit zum Ziel der Ausbildung gehört. Zur Zeit sind in der Kompositionsklasse faktisch etwa ein Dutzend Studenten, die an eigenen Projekten arbeiten; eingetragen sind allerdings deutlich mehr („Karteileichen“). Wer im Studio arbeiten möchte, spricht sein Vorhaben mit Troge ab und kann dann je nach Belegung im Computerstudio für die festgelegte Zeit arbeiten. Bei Vollbelegung sind etwa sechs bis sieben Leute im Studio tätig. Mehrere Komponisten, die im Studio arbeiteten, haben inzwischen Preise und/oder Stipendien erhalten, unter anderem Jörg Mainka, Markus Hechtle, Uwe Kremp oder Vykintas Bieliauskaus. An Plänen für die Zukunft mangelt es nicht (so beispielsweise engere Kooperationen mit den Computerstudios in Paris, Basel oder Berlin). Doch Veränderungen im computertechnischen Bereich erfordern Zeit und Geld. Pro Konzert werden immerhin 3.000 Mark zur Verfügung gestellt. Ein festes Budget ist für die laufenden Kosten nicht vorgesehen, dennoch wurden „fast alle wichtigen Anschaffungen anstandslos bezahlt“, sagt Troge. Schließlich dürfe man nicht vergessen, daß die laufenden Kosten von der Hochschule gedeckt werden und zudem in den letzten zehn Jahren etwa eine Million Mark in das Computerstudio geflossen seien; nicht zu vergessen der Bösendorfer-Computerflügel, der allein mit zirka 200.000 Mark zu Buche schlägt. Bei der Suche nach finanzieller Unterstützung versucht man auch, Sponsoren zu finden, dies erweist sich aber „als sehr zeitaufwendig, mühsam und fordert sehr viel Geduld“, meint Troge realistisch. In den zurückliegenden elf Jahren sei trotz arger Schwierigkeiten dennoch sehr viel erreicht worden. Die Gründungsgeschichte des INM liegt immerhin so lange zurück: Bereits 1987 wurde von der Stadt Karlsruhe und dem Land Baden-Württemberg eine zweite Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Konzeptes für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, ZKM, gegründet. Als Verantwortlicher für den Bereich Musik wurde T.A. Troge auf Vorschlag des Landesmusikrates berufen. Als deutlich wurde, daß das ZKM Gestalt annehmen würde und ein Kooperationspartner für die Karlsruher Institutionen sein sollte, trat die Musikhochschule an T.A. Troge mit der Frage heran, ob er den Aufbau eines Ausbildungsangebotes „elektronische/Computermusik“ an der Hochschule übernehmen wolle, um so die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß überhaupt die Hochschule ein kompetenter Kooperationspartner für das zukünftige ZKM sein könne. 1988 wurde dann die erste „Vorlesung mit Übungen: Computertechnik für Musiker“ angeboten und von einer kleinen, aber sehr aktiven Gruppe von Kompositionsstudenten der Klassen Wolfgang Rihm und Walter Zimmermann besucht. Zunächst stand nur ein einziger Computer (Mac IIfx) mit einem Zwei-Spur-Audiosystem zur Verfügung; aufgrund der regen Nachfrage vor allem nach praktischen Arbeitsmöglichkeiten wurden bald zwei weitere gleichartige Systeme angeschafft. Aus Platzmangel mußten neue Räume angemietet werden; dort entstand das erste größere Werk, „La condition humaine. Aus der Sicht eines rotierenden Tonkopfes“ von Jörg Mainka, ein 6-Spur Zuspielband mit teils originalen, teils verfremdeten Klängen. Das Werk wurde von Peter Eötvös, dem damaligen Leiter des Ensembles und Instituts für Neue Musik, einstudiert und aufgeführt. 1991/92 konnte dann im alten Römerbau neben dem Schloß Gottesaue ein größeres Raumangebot bezogen werden, zwei kleine und ein größerer Raum, so daß mehrere Komponisten gleichzeitig arbeiten konnten, ohne sich gegenseitig zu stören. Es enstanden hier in rascher Folge zahlreiche und unterschiedliche Werke, unter anderem von Wolfgang von Stürmer, Markus Hechtle, Bertram Krumm, Jörg Mainka, Daniel Seel, Dong Park, Roland Aley, die sämtlich aufgeführt und teilweise auch im Rundfunk gesendet wurden. Die Idylle im alten Römerbau hatte 1994/95 ein Ende, als mit dessen Abriß und Wiederaufbau begonnen wurde. Ein Ersatz wurde im Verwaltungsgebäude des ehemaligen Asylantenheimes auf der anderen Seite des Schlosses gefunden, zwar auch wieder nur auf Abruf (denn für dieses Gebäude liegt die Abbruchgenehmigung bereits vor), dafür aber mit großzügig bemessenem Raumangebot. Es konnten nun drei professionell eingerichtete Studios realisiert werden, davon eines mit einem kleinen Aufnahmeraum, ein zweites gekoppelt mit einem Live-Probenraum, dazu ein großer und zwei kleine Seminarräume sowie drei kleine Räume für Verwaltung und Technik, nicht zu vergessen eine Kaffeeküche („wichtig!“) und eine Werkstatt. Von der Akustik abgesehen, bestanden somit fast ideale Bedingungen für eine schöpferische Atmosphäre. Im Sommer/Herbst 1995 nahm im gleichen Gebäude das neugegründete Institut „LernRadio“, ILR (die nmz berichtete), seine Arbeit auf, wobei Studenten unter Anleitung von Prof. Troge fast den kompletten Umbau selbst durchführten: Studio- und Verwaltungsräume mit schalldichten Doppelwänden, Studiomöbel wurden in Eigenregie gebaut. Sinnvollerweise übernahm das Com-puterstudio bis auf weiteres die technische Betreuung des ILR sowie die technische Ausbildung der Studenten, da ja durch die fortschreitende Digitalisierung die verwendeten technischen Mittel des Computerstudios und des ILR immer mehr identisch wurden (natürlich bleibt die Zielsetzung eines Komponisten eine andere als die eines Radioredakteurs). Inzwischen hatte sich die Reihe der „Studiokonzerte“ etabliert mit einem Konzert pro Semester, wozu meist noch drei bis sechs weitere Veranstaltungen unter Beteiligung des Computerstudios kommen. Zunehmend wird das Computerstudio auch durch Veranstalter von außerhalb Karlsruhes angefragt, so daß allein in den letzten Semestern drei Auswärts-Konzerte in Frankfurt, Stuttgart und Pforzheim durchgeführt wurden. Die Palette der realisierten Werke umfaßt dabei praktisch alle Richtungen der Computermusik, also von Instrumentalkompositionen mit Zuspielband über Live-Elektronik-Werke bis zu reinen Computermusiken (Lautsprecherkonzert), aber auch interaktiven Installationen und Einbeziehung von Video und anderen Medien.

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