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Beredte Klänge, schweigsame Klänge

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Neue Musik auf neuen CDs, vorgestellt von Max Nyffeler
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Neue Musik von und mit: Franco Donatoni, Cathy Krier, Agata Zubel, Keiko Harada, Florian Mayer

Die Musik von Franco Donatoni hat etwas Proteushaftes. Sie ist in ständiger Verwandlung begriffen, nicht fassbar, unablässig bewegt und unruhig bis zur Nervosität. Eine üppige Klangfantasie artikuliert sich in den virtuosen Instrumentalsätzen, und obwohl sie ungeheuer beredt wirken, fehlt ihnen jede subjektiv-expressionistische Gebärde. Zahlenspiele und ein dichtes strukturelles Beziehungsgeflecht, in und zwischen den einzelnen Werken, stehen für eine strikt objektivistische Haltung. Ein solches Konvolut von in Besetzung und Charakter völlig verschiedenen Stücken haben nun einige Solisten zusammen mit dem WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Peter Rundel eingespielt. Vom Kernstück „Le ruisseau sur l’escalier“ (1980) leiten sich wie Wucherungen weitere Werke und Werkgruppen ab. Die solistischen Cellopartien, brillant gespielt von Oren Shevlin, bilden den roten Faden in diesem verwirrend komplexen Klanglabyrinth. (edition zeitklang ez-56058)

Zur Hälfte alt, zur Hälfte neu: Die luxemburgische Pianistin Cathy Krier kombiniert auf geistreiche Weise Cembalowerke von Rameau mit „Musica Ricercata“, einer Stückesammlung des jungen György Ligeti, die noch deutlich unter dem Einfluss von Bartók steht, aber mit ihren konzeptualistischen Ideen und musikliterarischen Anleihen schon manche Eigenheiten des reifen Komponisten anklingen lässt. Die elegante Leichtigkeit des Spiels und die anschlagstechnischen Feinheiten, die schon Rameau zu einem Hörvergnügen machen, kommen auch Ligetis Frühwerk zugute. Dass diese eher lapidar daherkommenden Stücke einmal auf so erfrischend lebendige Weise gespielt würden, hätte sich vermutlich nicht einmal der Komponist selbst gedacht. (Avi-Music 8553308)

Eine Komponistin, die gleichzeitig Sängerin ist, schreibt naturgemäß viele Werke für Stimme – ihre Stimme. Das Klangforum Wien hat nun vier Werke von Agata Zubel aufgenommen, und in dreien ist die 1978 in Wroclaw geborene Komponistin als ihre eigene Interpretin zu hören. Sie verarbeitete darin Texte von drei Literaturnobelpreisträgern: Wisława Szymborska, Czesław Miłosz und Samuel Beckett. Die weitgehend in ihre Lautbestandteile aufgelöste Sprache geht mit dem Instrumentalklang eine enge Verbindung ein, was bei Becketts „Not I“ Züge einer virtuosen Vokalperformance annimmt. Die farbintensive, emotional kraftvolle Musik entwickelt sich frei fließend, und die Live-Elektronik, mit der Agata Zubel seit Jahren gut vertraut ist, sorgt für zusätzliche, vielfach dramatisch aufgeladene Raumwirkungen. Ein starkes künstlerisches Statement. (Kairos 0013362KAI)

Die elf kurzen „F-fragments“ der japanischen Komponistin Keiko Harada entstanden 2012 als Reaktion auf die Katastrophe in Fukushima. Sie sind Ausdruck einer konzentrierten geistigen Verarbeitung der „schlimmsten Krise in Nachkriegsjapan“, wie der Tokyoter Wirtschaftswissenschaftler Ayumi Yasutomi im lesenswerten Booklettext schreibt. Die der Musik innewohnenden politischen Botschaften sind verschlüsselt und teilen sich gerade durch das mit, was die Töne verschweigen – eine Aufforderung, Nichtgesagtes zu denken. Yumiko Meguri (Klavier) und Stefan Hussong (Akkordeon) spielen die scharf gezeichneten Fragmente mit hellwacher Präsenz. Ebenso schlackenlos bringen sie „Book I“ für Akkordeon und die Miniaturen aus dem Zyklus „Nach Bach“ für Klavier zum Erklingen. Auch hier zeigt sich die kompromisslose künstlerische Handschrift der Komponistin. (Wergo 6786 2)

Der Kirchenraum wird „störend oft empfunden, denn er ist mit Hall verbunden“, so könnte man Wilhelm Busch paraphrasieren. Der Geiger Florian Mayer macht daraus eine Tugend. In Anlehnung an die zehn Préludes von Eugène Ysaÿe, jedes von ihnen über ein einziges Intervall komponiert, schrieb er elf Präludien, die gezielt auf die Akus­tik der Stadtkirche St. Petri in Freiberg/Sachsen zugeschnitten sind und dort auch aufgenommen wurden. Es entstehen hoch interessante Raumklangwirkungen, die den Geigenton geräuschhaft schärfen, vervielfachen oder in sanfte Klangnebel auflösen – alles ohne Elektronik. Man könnte sich noch eine Verfeinerung des Verfahrens vorstellen, etwa durch unterschiedliche Mikrofonpositionen oder wandernde Klänge. Die Idee eines „natürlich“ erzeugten Raumklangs besitzt jedenfalls einiges Potenzial. (Talanton TAL 90014, www.flomay.de)

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