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Bilder auf das Hören hin durchsichtig machen

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Ein Interview mit dem Musikfilme-Macher Uli Aumüller
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Die „Zukunftswerkstatt“, die wir auf dieser Seite als neue Rubrik zum Fünf-Jahrzehnte-Jubiläum der neuen musikzeitung eröffnen, behandelt ein Thema, das für die Arbeit junger Künstler immer wichtiger wird: Wie lassen sich Musik und Bild, als Film, als Video, als Einblendung stehender Bilder, als fotografierte Performance oder Installation, miteinander verbinden, ohne dass eine der üblichen Verdoppelungen entsteht? Können Musik und Bild so geführt werden, dass beide ihre ästhetische Autonomie bewahren und doch gleichzeitig miteinander produktiv kommunizieren? Gleichsam als eine „Sonate“ mit zwei Hauptthemen, die sich gegenseitig steigern, kontrapunktieren, durchdringen? Bei den letzten Donaueschinger Musiktagen gab es dazu einen interessanten Beitrag von der Komponistin Olga Neuwirth und dem Filmer Michael Kreihsl: „The Long Rain“ (nmz 12, 2000), in dem das Problem der ästhetischen Autonomie beider Ausdrucksmittel bei gleicher Zielsetzung der Aussage überzeugend gelungen schien. Auf der bezeichneten Linie bewegen sich auch die Musikfilme, die Uli Aumüller, anfangs zusammen mit Hanne Kaisik, erstellt, die durch ihre innige Annäherung an das Sujet bestechen. Es entstanden Filme über Conlon Nancarrow, über afrikanische Musik, über György Ligeti, Helmut Lachenmann, den Akkordeonspieler Teodoro Anzelotti oder, eben jetzt, über die Musique Concréte von Francis Dhomont und Paul Lansky. (Die Filme über Nancarrow, Ligeti und Lachenmann sind in einer Video-Box erhältlich. Sie sind bei der Galerie Katrin Rabus, new music edition, Plantage 13, 28215 Bremen, Fax 0421/37 19 63, zu bekommen). Reinhard Schulz hat sich mit Uli Aumüller über ästhetische Kriterien des Musikporträts und des Verfilmens von Musik unterhalten.

Die „Zukunftswerkstatt“, die wir auf dieser Seite als neue Rubrik zum Fünf-Jahrzehnte-Jubiläum der neuen musikzeitung eröffnen, behandelt ein Thema, das für die Arbeit junger Künstler immer wichtiger wird: Wie lassen sich Musik und Bild, als Film, als Video, als Einblendung stehender Bilder, als fotografierte Performance oder Installation, miteinander verbinden, ohne dass eine der üblichen Verdoppelungen entsteht? Können Musik und Bild so geführt werden, dass beide ihre ästhetische Autonomie bewahren und doch gleichzeitig miteinander produktiv kommunizieren? Gleichsam als eine „Sonate“ mit zwei Hauptthemen, die sich gegenseitig steigern, kontrapunktieren, durchdringen? Bei den letzten Donaueschinger Musiktagen gab es dazu einen interessanten Beitrag von der Komponistin Olga Neuwirth und dem Filmer Michael Kreihsl: „The Long Rain“ (nmz 12, 2000), in dem das Problem der ästhetischen Autonomie beider Ausdrucksmittel bei gleicher Zielsetzung der Aussage überzeugend gelungen schien. Auf der bezeichneten Linie bewegen sich auch die Musikfilme, die Uli Aumüller, anfangs zusammen mit Hanne Kaisik, erstellt, die durch ihre innige Annäherung an das Sujet bestechen. Es entstanden Filme über Conlon Nancarrow, über afrikanische Musik, über György Ligeti, Helmut Lachenmann, den Akkordeonspieler Teodoro Anzelotti oder, eben jetzt, über die Musique Concréte von Francis Dhomont und Paul Lansky. (Die Filme über Nancarrow, Ligeti und Lachenmann sind in einer Video-Box erhältlich. Sie sind bei der Galerie Katrin Rabus, new music edition, Plantage 13, 28215 Bremen, Fax 0421/37 19 63, zu bekommen). Reinhard Schulz hat sich mit Uli Aumüller über ästhetische Kriterien des Musikporträts und des Verfilmens von Musik unterhalten. nmz: Du bist ja so etwas wie ein Quereinsteiger in Sachen Musikjournalismus. Und ich glaube, dass gerade dieser unkonventionelle Zugang die Art deines Filme-Machens beeinflusste!?

Uli Aumüller: Ich habe Germanistik und Biologie studiert, und als ich mit dem Studium fertig war, bot ich diversen Journalen Sachen in dieser Richtung an. Zugleich war ich in einer Theatergruppe tätig und habe beim avantgardistischen Münchner Improvisations-Ensemble „Phren“ mitgespielt. Deshalb machte ich dem Rundfunk den Vorschlag, einmal den Leiter des Ensembles Michael Kopfermann zu porträtieren. Das war das einzige, was damals angenommen wurde. Vermutlich war man zufrieden damit, denn ich wurde gefragt, was ich als nächstes machen wolle. Und da nannte ich den einzigen Namen, der mir in Sachen Neuer Musik über die Gespräche mit Kopfermann geläufig war: Helmut Lachenmann. Ich hatte aber bis dahin noch keine Note von Lachenmann gehört.

Gewissermaßen eine umgekehrte Tabula-rasa-Situation?

Uli Aumüller: Richtig. Denn auch zum Sendetermin hatte ich wegen unvermuteter anderer Tätigkeiten keine Zeit, irgend etwas von Lachenmann zu hören. So rief ich in meiner Not Lachenmann an und sagte ihm, dass ich eine Sendung über ihn machen solle, dass ich aber überhaupt nichts von ihm kenne.

Ich kann mir vorstellen, dass diese Aufrichtigkeit Lachenmann nicht unsympathisch war.

So war es. Lachenmann sagte, dass er so viele Interviews Leuten gegeben habe, die alles zu kennen vorgaben und bei denen er dann merkte, dass sie aus der Musik nur hörten, was sie zu hören gewillt waren. So kam ich zu ihm, und er musste mir alles, was er musikalisch macht, ganz einfach und mit vielen Beispielen erklären. Sobald er „theoretisch“ wurde, habe ich nicht viel verstanden. Diese Voraussetzungslosigkeit erwies sich nachher als besondere Qualität der Sendung. Denn plötzlich wurde nicht abgehoben erörtert. Statt dessen kamen Triebkräfte, Verständnis von Schönheit, Klarheit über das Verhältnis von Wollen und Müssen zu Tage.

Solche Formen neugieriger Annäherung nehme ich auch bei deinen Filmen wahr. Sie rücken die Blickwinkel der porträtierten Komponisten, ihre Eigenarten, die Besonderheiten ihres Werks in den Mittelpunkt und formen daraus eine jeweils ganz anders strukturierte Verbildlichung: eine, die dem Gegenstand ganz offensichtlich gemäß ist. Ich denke an die unterschiedlich schnellen Autos in Mexiko-City im Nancarrow-Film, an die extremen Schnitt-Tempi-Wechsel bei Ligeti, an perspektivische Nähe und Entfernung bei Lachenmann.

Ich versuche in meinen Filmen nicht „Ich“ zu sagen. Sie sind gewissermaßen Kompositionen über Kompositionen. Dazu gehört für mich eine dem Film gemäße erzählerische Komponente. Musik aber ist ein geistiges und ein sinnliches Phänomen und sperrt sich zunächst diesem erzählerischen Duktus. Daran aber arbeite ich. Ich versuche etwas zu erzählen. Zum Beispiel bei Nancarrow: Da ist seine Vita, sein Mitwirken beim spanischen Bürgerkrieg, seine Schwierigkeiten danach als Kommunist in den USA, die ihm keine Chance gaben. Da ist das Exil in Mexiko, der Irrsinn dieser verrückten Stadt, ihr Lärm, ihr Gewusel. Und dann entsteht daraus solche Musik. Nancarrow baute sich innerhalb dieser Hektik einen Ort der Stille. Und dort fertigte er Musik an, die wiederum diese Unruhe, diese ständige Überlagerung von Tempi reproduzierte. Der Film richtet sich auch an Menschen, die sich für Musik nicht primär interessieren. Aber dann wird über einen Menschen erzählt, über seine Lebensumstände, über seine Kontakte zur Welt. Von da aus wird sein musikalisches Tun erfahrbar und begreifbar. Die Bilder, die Tempi der Schnitte, das Licht, die Perspektivwechsel und so weiter verdeutlichen, warum dieser Mensch solche Musik schrieb.

Du schaust also die Musik an, lässt sie dir auch vom Komponisten selbst analysieren, und dann versuchst du im Film die Beweggründe für diese Art des Musik-Machens sinnlich zu veranschaulichen oder zu untermauern? Und dadurch gerät auch jede formale Anlage der Filme ganz anders, da immer auf das Spezifische der Musik beziehungsweise des Komponisten bildlich eingegangen wird.

Beim Ligeti-Film etwa geht es ausschließlich um sein Klavierkonzert: Weil es in jedem Satz ein anderes kompositorisches „Lieblingsthema“ von Ligeti abbildet. Die ganze Entwicklung des Komponisten Ligeti spiegelt sich für mich in diesem Konzert. So ließen wir uns das ganze Werk bis in kleinste Details von ihm selbst analysieren und erklären. Aus diesem Fundus von Beschreibungen und Assoziationen wurde dann eine filmische Strategie der Schnitte und der Einstellungen entwickelt.

Es entstand eine Kontrapunktik von heftigen Schnitten und ganz langsamen Passagen. Und beim Lachenmann-Film versuchte ich entsprechend seiner Klangästhetik mit differenzierten Geräuschskalen eine Skala der Kameraführungen entgegen zu stellen: von einer winzigen, extrem subjektiven Kamera, die am Arm des Interpreten, am Kopf des Dirigenten angebracht ist, bis hin zur großen Stativkamera.

Auf diese Weise gelingt es wohl, den öden Eindruck vieler Konzertverfilmungen produktiv zu durchbrechen?

Ich habe das in mehreren Ausführungen so formuliert: Die Bilder auf das Hören hin durchsichtig zu machen. Denn der Musiker im Bild ist ganz einfach ein Problem. Gesichter, die schön sind, die eine eigene Geschichte erzählen, die angespannte Konzentration vermitteln, bleiben für mein Verständnis allenfalls zwei Minuten interessant. Danach erzählen die Bilder nichts mehr und die Aufmerksamkeit lässt nach. Wenn man nun allein der Musik zuhören würde, dann hätte sich zwar der Film erübrigt, doch hätte dies zumindest eine gewisse Berechtigung. Doch so funktioniert der Zuschauer nicht. Es ist nämlich so, dass der Augensinn den Ohrensinn überdeckt. Also schaut man weiter zu, erfährt visuell nichts Neues und überhört zugleich die Musik. So arbeite ich ständig daran, die Bilder so zu gestalten, so zu schneiden, dass der Hörsinn immer wieder wachgerüttelt wird.

Und welche Mittel wendest du dafür an?

Es geht um eine Multiperspektivität, die sich der Musik immer wieder von anderen Seiten annähert. Ich kann durch Schnitte das Auge irritieren, ich kann durch Einstellungen die Konzentration des Hörens herausfordern, ich kann die Musik in ihrer Dynamik, in ihrer Emotionalität oder in ihrem energetischen Verlauf unterstützen oder brechen. All diese Mittel aber sind nur ehrlich und damit letzlich wirksam, wenn sie mit der Musik, mit der Person des Komponisten korrespondieren. Was als Film dabei heraus kommt, ist deswegen immer sehr verschieden. Sein Gelingen hängt davon ab, wie intensiv er sich mit dem Gegenstand, also der Musik verbindet. Ein Schema gibt es nicht. Aber die schematisch-wissenschaftlichen Rundfunksendungen, die immer zwischen erläuterndem Text und Musikbeispiel abwechseln, waren mir ohnehin schon immer fremd.

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