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Blicke über den Tellerrand: Ost, West, Süd

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Neue Musik auf neuen CDs, vorgestellt von Max Nyffeler
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Neue Musik von und mit: Brian Ferneyhough, Toshio Hosokawa, Ryoko Aoki, Ensemble Aventure, Erik Satie, Juan Carlos Paz, John Cage, Federico Gardella, Claire-Mélanie Sinnhuber, Valerio Sannicando und Aurélien Dumont.

Man mag die überkomplexe Notationsweise von Brian Ferneyhough als manieristisch oder spekulativ bezeichnen, und die Interpretation seiner Klavierstücke ist gewiss nichts für klein Max und Moritz. Doch wenn ein so brillanter Pianist wie Nicolas Hodges sich seiner Klaviermusik annimmt, so beginnt sie zu funkeln wie ein Diamant, und die abstrakten Notengebilde werden zum Türöffner zu einer fantastischen Klangwelt. Die in diesem Doppelalbum versammelten Klavierwerke überspannen einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten. Mitte der 60er entstand ein ganzes Bündel zwölftöniger Stücke, darunter die Sonate für zwei Klaviere (zusammen mit Rolf Hind). „Opus Contra Naturam“ für sprechenden Pianisten aus der 2000 in München uraufgeführten Benjamin-Oper öffnet den Horizont zum Theatralischen, das neueste, für Hodges geschriebe Klavierstück „Quirl“ imponiert durch seine Leichtigkeit und den weiten Atem (Neos).

Insgesamt zehn Kompositionen mit dem Titel „Voyage“ für wechselnde Soloinstrumente und Ensemble hat Toshio Hosokawa bis 2009 geschrieben. Der Reihentitel verweist auf das Transitorische als Reise durch die Kulturräume, aber auch als Zeitreise der menschlichen Existenz. Zwei dieser „Voyages“, die Nummer acht mit Tuba (Melvyn Poore) und die Nummer zehn mit Shakuhachi als Soloinstrument, sind mit der Musikfabrik Köln zu hören. Es sind ausdrucksstarke Klang­erzählungen, wobei das Spiel des Shakuhachi-Meisters Tadashi Tajima die Zeit auf packende Weise erfahrbar macht. Diese Hörerfahrung wird in drei kammermusikalischen Werken mit ausschließlich westlichen Instrumenten vertieft (Wergo).

Und nochmal etwas Japanisches: „Noh X Contemporary Music“ heißt eine Neuerscheinung mit Werken europäischer Komponisten, die für die japanische Noh-Darstellerin Ryoko Aoki geschrieben oder, im Fall von Peter Eötvös’ „Harakiri“, von ihr aufgeführt worden sind. Federico Gardella, Claire-Mélanie Sinnhuber, Valerio Sannicando und Aurélien Dumont sind die Namen derer, die sich auf dieses kompositorische Experiment eingelassen haben. Der Höreindruck wird dominiert von der großartigen Vokalkunst der Solis­tin: ein hoch stilisierter, ausdrucksstarker Sprechgesang, der einen offenen Dialog mit den begleitenden Blasinstrumenten führt (ALM Records, ryokoaoki.net).

Erik Satie und John Cage: Zwei geis­tesverwandte, wenn auch stilistisch sehr verschiedene Naturen. In Aufnahmen mit der Pianistin Sarah Rothenberg und dem Houston Chamber Choir werden „Ogives“ I und II und die drei „Gnossiennes“ von Satie mit späten Stücken von Cage miteinander verzahnt – eine mit viel künstlerischem Gespür erstellte Montage, in der Instrumental- und Vokalstücke organisch aufeinander antworten. Eingeleitet wird die Werkfolge von Morton Feldmans „Rothko Chapel“ in einer luziden, den mystischen Aspekt der Musik diskret betonenden Interpretation, an der auch Kim Kashkashian (Viola) und Steven Schick (Schlagzeug) beteiligt sind (ECM New Series).

Der Argentinier Juan Carlos Paz (1897–1972) gehörte, wie sein Generationsgenosse Hans-Joachim Koellreutter in Brasilien, zu den Wegbereitern der musikalischen Moderne in Latein­amerika. Mit Werken aus den 1950er- und 60er-Jahren entwirft das Freiburger Ensemble Aventure ein lebendiges Porträt des Komponisten. Die Werke sind strikt atonal komponiert, der Einfluss der Schönberg-Schule und von Edgard Varèse, mit dem Paz befreundet war, ist ihnen deutlich anzuhören. Beim Hören wird man wieder einmal daran erinnert, wie spannend der Blick über den europäischen Tellerrand hinaus doch sein kann (Wergo). 

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