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Community Music oder: Musik für alle

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Teil 2 der Reihe über innovative Ansätze zum Umgang mit Musik an Hochschulen und Universitäten
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Alexandra Kertz-Welzel stellt das Munich Community Music Center der LMU München vor. Eine Rockband mit Behinderten und Nicht-Behinderten im Proberaum der Resonaari-Musikschule in Helsinki; eine Music-Session in einem Pub in Galway, bei der jeder mitspielen kann; eine Sambagruppe bei einem Straßenfest in Köln; die Probe eines Gefängnischors im amerikanischen Coralville, an der auch Nicht-Insassen teilnehmen; ein bayerisches Blasorchester, das beim Dorffest spielt; 11-jährige Kinder, die im australischen Perth mit Software eigene Stücke komponieren; das Konzert einer New Horizon Band im amerikanischen Ithaka, bei dem sich ältere Menschen ihren Traum vom Musikmachen erfüllen; ein Sitzkissenkonzert für Kinder in der Bayerischen Staatsoper in München.

Was diese verschiedenen Situationen verbindet, sind musikalische Aktivitäten, bei denen jeder mitmachen kann. Alter, Herkunft oder besondere Begabungen spielen keine Rolle. Was hier beschrieben wird, ist Community Music oder: Musik für alle.

Community Music verstehen

Community Music ist eines der international erfolgreichsten musikpädagogischen Konzepte der letzten Jahre. Obwohl Menschen schon immer gemeinsam Musik machten, bietet Community Music einen Bezugsrahmen und Methoden an, die für Musikpädagogen in vielen Ländern interessant sind. Ursprünglich im England der Sechziger Jahre entstanden als Teil des Community Music Arts Movement, das allen, auch sozial Benachteiligten, Zugang zu Kultur ermöglichen wollte, ist Community Music seit fast 20 Jahren ein wichtiger Teil der internationalen Musikpädagogik.

Warum wurde Community Music so populär? Vielleicht sind es die musikpädagogischen Ideale: Inklusion, Kulturelle Teilhabe und Soziale Gerechtigkeit. Jeder ist willkommen und darf mitmachen. Es sind keine besonderen Fähigkeiten erforderlich (inclusion). Allen soll Zugang zu Musik ermöglicht werden, unabhängig von Herkunft oder finanziellen Ressourcen (participation). Wenn alle Menschen, die wollen, Musik machen können, soll Teilhabegerechtigkeit verwirklicht werden. In Musik wird damit schon etwas umgesetzt, was gesamtgesellschaftlich noch nicht funktioniert. Das zeigt, dass Community Music die Gesellschaft verändern will (social justice). Insgesamt strebt Community Music eine Re-Musikalisierung der Gesellschaft an und will bewirken, dass Musikmachen wieder ein natürlicher Teil des individuellen und gesellschaftlichen Lebens wird (cultural democracy).

Community Music will Musik für alle anbieten. Musikalische Perfektion steht nicht im Mittelpunkt, sondern eher der Spaß am Musikmachen. Deshalb haben Improvisation, Lernen durch Hören und Nachspielen sowie leicht spielbare Musik eine große Bedeutung. Musikalische Vielfalt ist wichtig: Es ist gleichgültig, ob Popmusik, Samba oder ein leichtes Arrangement eines Stücks von Mozart gespielt wird. Ensembleleiterinnen oder Lehrer haben nur eine vermittelnde Rolle als Facilitator: Jeder kann irgendwann diese Rolle übernehmen. Es geht vor allem um die Erfahrung musikalischer Gemeinschaft und das gemeinsame Spielen für ein Publikum. Durch Aufführungen, zum Beispiel bei Festivals, wird außerdem ein Beitrag zum musikalischen Leben einer Stadt geleistet.

Sicher sind die Ideale von Community Music nicht neu: Laienmusizieren, Elementare Musikpädagogik, Soziale Arbeit, Musiktherapie oder Musikvermittlung streben Ähnliches an. Aber obwohl viele Ideen von Community Music bekannt sind und pädagogisch genutzt werden, ist die spezifische Kombination der Ideale, Ziele und Methoden doch etwas Besonderes. Das macht Community Music auch für Deutschland interessant.

Community Music in Deutschland?

Natürlich gibt es in Deutschland schon viele musikalische Aktivitäten, die international als Community Music verstanden werden würden. Einige der am Anfang erwähnten Beispiele zeigen das. Trotzdem ist eine intensivere Auseinandersetzung mit Community Music als musikpädagogischem Konzept für Deutschland sinnvoll: Es vereint Ideale, die im Augenblick in der deutschen Musikpädagogik wichtig sind: Inklusion, Kulturelle Teilhabe, Soziale Gerechtigkeit. Dazu werden auch Methoden angeboten, die sich nicht nur auf Noten als Ausgangspunkt des Musiklernens stützen, sondern vielfältige musikalische Wege aufzeigen, zum Beispiel durch Improvisation oder informelles Lernen. Community Music ist ein Konzept, das Musikpädagogik, Musiktherapie und Soziale Arbeit miteinander verbindet und deshalb in besonderer Weise Möglichkeiten bietet, aktuelle musikpädagogische Herausforderungen zu meistern. Es verbindet zudem schulische und außerschulische Musikvermittlung: Konzertpädagogik und Musikvermittlung gehören ebenso dazu. Als musikpädagogischer Studiengang, der vor allem in Großbritannien und den USA angeboten wird, umfasst Community Music auch Lehrveranstaltungen im Kulturmanagement: Community Musicians sollen in der Lage sein, gegebenenfalls das kulturelle Leben einer Stadt zu organisieren und Angebote Kultureller Bildung zu entwickeln.

Das Munich Community Music Center (MCMC)

Um Community Music als musikpädagogisches Konzept in Deutschland zu etablieren, wurde im Februar 2013 im Rahmen einer internationalen Konferenz an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München das Munich Community Music Center (MCMC) gegründet. Das MCMC will zwischen deutscher und internationaler Community Music vermitteln. Das geschieht sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf praktischer Ebene: Durch Forschungsprojekte (z.B. Abschlussarbeiten, Dissertationen) soll das internationale Konzept Community Music weiterentwickelt und für die deutsche Musikpädagogik nutzbar gemacht werden; solche Untersuchungen beschäftigen sich oft mit speziellen Community Music-Projekten (z.B. in Schulen oder Institutionen Sozialer Arbeit) und stellen so auch eine Verbindung zwischen Universität und kulturellem beziehungsweise pädagogischem Leben Münchens dar. Es gibt zudem verschiedene Community-Music-Initiativen an der LMU, zum Beispiel ein Seminar, bei dem Studierende, Referendare und Schüler, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk, ein Konzert musikpädagogisch vorbereiten (Netzwerk Musikunterricht an der LMU). Insgesamt werden an der LMU Prinzipien und Methoden von Community Music in die Musiklehrerbildung für Grund- und Mittelschulen sowie in den forschungsorientierten Master-Studiengang Musikpädagogik integriert. Zudem organisiert das MCMC Fortbildungen für in verschiedenen Bereichen tätige Pädagogen und Musikpädagogen, zum Beispiel zu inklusiver Chorarbeit, Komponieren mit Kindern oder dem musikpädagogischen Umgang mit verhaltensauffälligen Jugendlichen. Das MCMC bietet außerdem Auftrittsmöglichkeiten,  unterstützt die Durchführung von Projekten und organisiert Tagungen und Konferenzen, zum Beispiel im Februar 2013 an der LMU zum Thema „Community Music and Music Pedagogy: Collaborations, Intersections, and New Perspectives“. Am 2. und 3. Dezember 2015 veranstaltet das MCMC In Kooperation mit der Freien Universität Bozen (Italien) eine Tagung zum Thema „Community Music and Inclusion“ in Brixen (Italien). Im Mittelpunkt steht die wissenschaftliche und musikpraktische Auseinandersetzung mit der Frage eines Musikmachens für alle, dessen pädagogische Chancen und Grenzen. Die Zusammenarbeit mit einer italienischen Universität eröffnet interessante Perspektiven, da Inklusion in italienischen Schulen schon lange erfolgreich praktiziert wird.

Insgesamt ist Community Music ein internationales Konzept, das für die deutsche Musikpädagogik interessant sein könnte, auch wenn es nicht immer unproblematisch ist im Hinblick auf naive Vorstellungen von der persönlichkeitsverändernden Kraft des gemeinsamen Musikmachens oder der geringen Bedeutung systematischen musikalischen Lernens. Community Music hilft, disziplinäre Grenzen zu überwinden, die manchmal eine erfolgreiche Umsetzung von kultureller Teilhabe, Inklusion oder Sozialer Gerechtigkeit erschweren. Es ist aber notwendig, das Konzept Community Music so zu verändern, dass es im deutschen Kontext funktioniert, sowohl theoretisch als auch praktisch. Dazu ist jeder aufgerufen, der sich den Idealen von Community Music verbunden weiß.

Alexandra Kertz-Welzel, Ludwig-Maximilians-Universität München

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