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Das Ende vom Wehklagen

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Ende März hatten die Phonoverbände zu ihrer traditionellen Jahresbilanz-Pressekonferenz geladen. Diese Veranstaltung ist ein trauriges Ritual einer Branche in der Krise. Jahr für Jahr werden dort mit ernster Miene zurückgehende Verkaufszahlen verkündet. Auch 2003 machte da keine Ausnahme.

Doch die IFPI hatte sich dieses Mal etwas besonderes ausgedacht, um die schlechten Nachrichten in den Hintergrund zu drängen. So nutzte man die Pressekonferenz dazu, öffentlich die Jagdsaison auf Tauschbörsen-Nutzer zu eröffnen. In einer ersten Welle hat die deutsche IFPI seit Ende März 68 Strafanzeigen gegen Unbekannt erstattet. Die Beschuldigten haben wie Millionen andere Nutzer in den letzten Monaten an P2P-Angeboten wie Kazaa oder Gnutella teilgenommen und dabei auch selbst Dateien zum Download von der eigenen Festplatte angeboten. Und zwar „in erheblichem Umfang”, wie man bei der IFPI zu berichten weiß.

Sonst weiß der Musikindustrie-Verband herzlich wenig über die beschuldigten Nutzer – ein Umstand, den man möglichst bald geändert wissen möchte. Dabei nimmt sich die Industrie ein Beispiel an den USA: Als die dortige Musikwirtschaft Mitte letzten Jahres ihre Klagen gegen P2P-Nutzer begann, konnte sie Provider dazu verpflichten, ihnen die Namen der verdächtigen Musikpiraten zu übermitteln – ohne jede richterliche Einzelfallprüfung, allein mit einem amtlich hinterlegten und für formell richtig befundenen Standardschreiben.

Diese Namen nutzte sie dann, um die Beschuldigten persönlich zu kontaktieren und vor eine Alternative zu stellen, die keine war: Entweder konnten sie sich auf eine langwierige, teure Klage einstellen, an deren Ende eine mögliche Schadensersatzzahlung von bis zu 125.000 Dollar pro angebotener MP3-Datei stehen könnte. Oder sie konnten sich im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung dazu verpflichten, in Zukunft brav zu sein und das Verfahren gegen Zahlung von 3.000 bis 10.000 Dollar einstellen. Die meisten Beschuldigten entschieden sich für Variante Nummer zwei.

Solche Rechte hätte die Industrie gerne auch hier zu Lande. Eigentlich wollte man deshalb auch mit den Klagen warten, bis der Auskunftsanspruch vom Gesetzgeber durchgesetzt wurde. Doch dann entdeckte die IFPI, das es sich manchmal auszahlen kann, einfach ein bisschen Porzellan zu zerschlagen. So bedient man sich für die jetzigen Klagen beim Strafrecht und lässt Staatsanwaltschaften gegen tauschende Teenager ermitteln. Diese könnten in Einzelfällen auch Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Computern beantragen, um Beweise gegen die MP3-Sünder zu sichern. Ein hartes Vorgehen – zumal eine strafrechtliche Verurteilung eher unwahrscheinlich ist.

Doch die IFPI nutzt dieses Vorgehen, um an die Namen der P2P-Sünder zu kommen und diese dann auf Unterlassung abzumahnen – etwas, das die Beschuldigten an sich schon teuer zu stehen kommen könnte. Und wenn die Presse von den ersten 12-jährigen berichten wird, deren elterliche Wohnung wegen des Nutzens von Kazaa von der Polizei aufgebrochen und durchsucht wurde, dann wird die IFPI ihre Hände in Unschuld waschen. Ist nicht unsere Schuld, haben wir nicht gewollt, wird man dann sagen. Hätte man in Deutschland eine Auskunftspflicht der Internet-Anbieter, dann hätte man den Nutzern diesen Ärger ersparen können.

Natürlich hätte man ihnen noch mehr ersparen können, wenn erst gar keine Anzeigen gestellt worden wären. Auch dafür gibt es gute Argumente. So hat die Klagekampagne in den USA bisher trotz rund 2.000 Verfahren nicht annähernd die erwünschten Ergebnisse gezeigt. Zwar brachen in den ersten zwei, drei Monaten tatsächlich die Nutzerzahlen der bekanntesten Tauschbörsen ein. Doch viele Nutzer schauten sich einfach nur nach Alternativen um, anstatt der P2P-Welt vollkommen Lebewohl zu sagen. Heute greifen bereits wieder deutlich mehr Nutzer auf Tauschbörsen-Netzwerke zu als vor dem Beginn der US-Klagewelle.
Anstelle der exemplarischen Verfolgung einzelner Musikfans sollte die Branche darüber nachdenken, ob sie nicht alle Beteiligten mit einer Pauschalabgabe belasten kann. Dann würden nicht 68 Nutzer zur Zahlung von 3.000 Euro verpflichtet – Geld, das sowieso für Anwaltskosten draufgeht – sondern alle 30 Millionen deutschen Internetnutzer beispielsweise zur Zahlung von 5 Euro pro Monat. Im Gegenzug könnten Tauschbörsen legalisiert werden, und die Staatsanwaltschaften könnten sich endlich wieder um richtige Verbrecher kümmern.
Zugegeben, ein wagemutiger Vorschlag. Doch auf diesem Wege ließe sich nicht nur auf die Klagen verzichten, sondern auch das Wehklagen. An Stelle von andauernden Umsatzeinbrüchen ließen sich die effektiven Einnahmen der Musikwirtschaft mit solch einer Abgabe locker verdreifachen. Das wäre doch mal tolles Zahlenmaterial für eine der nächsten Jahresbilanzen, nicht wahr?

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