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Szenisch ohne Verstörungspotential: „Triumph des Todes“ in Weimar. Fotos: Candy Welz/Kunstfest Weimar
Szenisch ohne Verstörungspotential: „Triumph des Todes“ in Weimar. Fotos: Candy Welz/Kunstfest Weimar
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Das Grauen im Schafspelz

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Rzewskis Holocaust-Oratorium „Der Triumph des Todes“ in Weimar
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Der amerikanische Komponist Frederic Rzewski hat sich als Pianist und Komponist bemerkenswerter Klaviermusik in die Geschichte der zeitgenössischen Musik eingeschrieben. Ein Stück wie „The People United Will Never Be Defeated!“ erweiterte 1975 aber nicht allein die Möglichkeiten des Klavierspiels, sondern machte als Variationenzyklus über ein chilenisches Protestlied auch einen wesentlichen Aspekt in Rzewskis Schaffen evident: das politische Engagement.

Angesichts der engagierten Gegenwartsbezüge seiner Musik verblüfft es, dass Rzewski nur zwei Werke für die Bühne geschrieben hat: eines davon ist „Der Triumph des Todes“ nach „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, der die Frankfurter Auschwitz-Prozesse von 1964 zum Inhalt eines neuen dokumentarischen Theaters machte. Nach der kalifornischen Uraufführung 1988 geriet Rzewskis eigenwillige Adaption in Vergessenheit – unverständlicherweise. Das Kunstfest Weimar machte sich nun – 50 Jahre nach der Weiss-Premiere, fast 30 Jahre nach der Rzewski-UA! – um eine deutsche Erstaufführung verdient, deren Aktualität angesichts des momentanen Ausmaßes von Fremdenhass und Rechtsradikalismus leider als so hoch wie lang nicht mehr eingestuft werden muss!

Rzewski hat in enger Anlehnung an die Textvorlage aus den Prozess-Dokumenten ein „Oratorium in elf Gesängen“ konzipiert, das kein gefühliges Bekenntnis- und Betroffenheitswerk sein will, sondern das Unfassbare noch unfassbarer macht, indem es aufreizend versachlicht, scheinbar beiläufig erzählt wird und die Musik in provokantem Kontrast zu den oft schwer erträglichen Schilderungen steht. Das beginnt wie unter Milchglas als mikrotonal eingefärbtes Raunen in gedämpften Farben, bis sich aus der nebulösen Regungslosigkeit eine Polystilistik herausschält, die ihr Tempo zusammen mit dem Grad parodistischer Schärfe beschleunigt. Was Opfer und Täter an ausgesuchten Scheußlichkeiten des Quälens und Mordens zu berichten wissen, wird nicht mit kantigen Dissonanzen herausgeschrien, sondern in liebliche Stilisierungen amerikanischen und deutschen Liedgutes verpackt. Eine musikalische Strategie, welche die spießige und reaktionäre Atmosphäre der Nachkriegszeit widerzuspiegeln scheint. Rzewski selbst hat das ganz wunderbar so formuliert: „Die Musik ist ‚unangebracht‘.“

Das Amalia Quartett der Staatskapelle Weimar machte unter Leitung des kurzfristig für Dirk Sobe eingesprungenen Martin Hoff einen richtig guten Job und rückte Rzewskis vielsprachige „Unangebrachtheit“ zwischen mikrotonaler Flächigkeit und abgründiger Stilparodie ins rechte Licht. Vor allem die Einwürfe und Kommentare, die per Text, Lautartikulation und Geräusch dem szenischen Geschehen beizusteuern waren, kamen mit beherztem Einsatz über die Rampe. Plötzliche Gewaltausbrüche wie das Zerschlagen eines Stuhles rissen die vordergründige Harmlosigkeit der Musik-Verpackung unvermittelt in Stücke.

Doch leider: Rzewskis ambivalenter Höllentrip in den Horror von Phenol, Zyklon B, sadistischen Lagerkommandanten und lodernden Feueröfen – in seinen „postmodernen“ Strategien kompositorischer „Vergangenheitsbewältigung“ ein echtes Kind der 1980er-Jahre – geriet doch über weite Strecken zu einem mauen Tagesausflug in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Das lag gar nicht mal zuvorderst daran, dass sich die Regie eines expressiven Körpertheaters vornehm enthielt und in der Personenführung auf naheliegende, oratorienhafte Statik setzte. Es war vielleicht die Crux dieser Produktion, dass Alexander Fahima (Regie) und Dorothea Ratzel (Choreographie) die scheinbare Musik-Freundlichkeit partout szenisch verdoppeln wollten, sicher nicht zuletzt, um damit die Verharmlosung der Täter im kleinbürgerlichen Mief der 1950er/-60er-Jahre zu entlarven. Im weitestgehend naturbelassenen Weimarer Schießhaus (Bühne: Julia Schnittger, mit ein bisschen „verschult“ wirkenden Geschichts-Projektionen), dessen morbide Mischung aus DDR-Charme und leicht angestaubtem Klassizismus eigentlich ein tolles Ambiente bereitstellte, blieb alles Szenische leblos und blass. Das Grauen zeigte seine Fratze immer dann, wenn (projizierter) Text und gespielte Musik miteinander kollidierten und machte an diesem Abend einen großen Umweg um die Bühne, weil die intendierte „Nicht-Wirkung“ leider kaum einmal Wirkung zeitigte – ihr Verstörungspotential war unbedeutend. Vielleicht hätte es echter Schauspieler bedurft, um diesen sehr schmalen Grat von Distanz und Erschütterung, Ironie und bitterem Ernst wirklich gangbar zu machen. Caterina Maier, Ursula Strömstedt, Andreas Koch, Saya Lee und Bjørn Waag taten ihr Bestes, um die haarsträubenden Auswüchse rassistischer Menschenverachtung mit heiterer Selbstverständlichkeit zu vermitteln, schafften es aber selten einmal Rzewskis Parlando und den darin verborgenen existentiellen Ausnahmezustand in künstlerische Ambivalenz und abgründige Ironie zu verwandeln. Es war bezeichnend für diesen Abend, dass der Epilog, der wieder ganz in Händen der Instrumentalisten lag, zu den atmosphärisch besten Momenten der Inszenierung zählte. 

Das letzte Wort gehörte aus gegebenem Anlass dem Ensemble in Person von Sänger Andreas Koch: Mit flammenden Worten rief er dazu auf, den kürzlich durchgesickerten – nicht nur die kulturelle Geschichte, Gegenwart und Zukunft Weimars mit Füßen tretenden! – Planspielen Thüringer Politiker zum Abbau der Opern- und Orchesterstrukturen mit vereinten Kräften entgegenzutreten. Ein Appell gegen die allgegenwärtige Vernichtung künstlerischer Ressourcen, den wir in den nächsten Monaten noch öfter hören werden!

Frederic Rzewski beschrieb die offenkundig Brecht’schen Strategien seines Oratoriums wie folgt: „Während wir das Stück anschauen, während wir die Musik hören, werden wir uns bewusst, dass wir in einem komfortablen Paradies wohnen, und Zuschauer einer anderen Zeit, eines anderen Ortes sind. Der beschriebene Konflikt, der immer ernster wird im Verlaufe des Stückes, hat die Aufgabe, die mythische Distanz zu eliminieren, die uns, sichere und zufriedene Beobachter, vom historischen Ereignis trennt.“ Mal sehen, wie lange wir noch Bewohner dieses „anderen Ortes“ sein werden, wenn durch konsequenten Kultur-Kahlschlag (insbesondere in der Provinz) sich Intoleranz und Barbarei den sozialen Raum zurückerobern.

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