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Das richtige Label im falschen Leben: 25 Jahre Edition Zeitgenössische Musik – Fortsetzung folgt

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80 CDs in 25 Jahren. Aus einer Idee des Deutschen Musikrats ist eine „Basisdiskothek zeitge­nössi­schen Komponierens“ geworden. Ein Projektbeirat bestimmt jährlich vier junge Komponisten, um ihnen als Koproduktion mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein bei Schott-WERGO verlegtes CD-Porträt ihres Schaffens zu ermöglichen. Hat also die viel gescholtene Reproduktion des Kunstwerks am Ende doch ihr Gutes?

Die Aura des Kunstwerks, meinte Walter Benjamin, verkümmert. Doch ausgerechnet jene Reproduktionstechniken, die dem Kunstwerk eigentlich seinen Garaus bereiten sollten, haben unter Aufbietung dialektischer List für seine triumphale Auferstehung gesorgt. Jedenfalls scheint es so. Ganz am Anfang in Gestalt von Matrize und Rolle, bald in der der Rille, jetzt in Bits und Bites. Keine Frage: Ohne die ausgetüftelten Reproduktionsverfahren aufgeführter Musik ist die Musikgeschichte des vergangenen wie des gegenwärtigen Jahrhunderts undenkbar, ein Torso. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass die Entscheidung darüber, was reproduziert wird, den Usancen des Marktes folgt. In Umlauf gebrachte Mitschnitte von Billy Holiday und Placido Domingo sind Vorleistung auf einen zu erwartenden Gewinn. Bleibt er aus, verschwindet die schönste Platte vom Markt oder wird gar nicht erst aufgelegt. Es sei denn, andere, nicht-merkantile Interessen, treten auf den Plan. Wissenschaft­liche wie in der Ethnomusikologie zum Beispiel. Oder künstlerische. Als Bartók etwa mit bescheidener Edison-Technik auf dem Balkan seine Aufnahmen machte, handelte er ganz im eigenen Interesse, auf eigene Rechung. 

Einen Markt gab es dafür nicht. Und als sich mit dem Deutschen Musikrat vor einem Vierteljahrhundert seinerseits ein anderer Akteur daran machte, unter dem schönen Namen Edition Zeitge­nössische Musik eine Neue-Musik-Anthologie aufzulegen und sie von Schott-WERGO verlegen zu lassen, hätte wohl jeder Betriebswirt, hätte man ihn damals tatsächlich befragt, entgeistert abgewunken. Wie kann man nur!? – Man konnte und kann bis heute und hat so an der Geschichte der neuesten Musik mitgeschrieben, an ihrem Rad schwungvoll weitergedreht. 80 Porträt-CDs zeitgenössischer Komponisten in 25 Jahren: aufgetürmt damit ein klingender Cicerone von markanter Größe. Bestimmt einzig und allein für die eigentümlich-seraphische, allen Quoten-Fetischisten spottende Welt neuester Tonkunst. Ob es ein Turm aus Elfenbein ist, mag offen bleiben. Nur, wer hörend eintritt, wird bemerken: nach Umfang, nach Handschrift, Stil und Charakter beispiellos, beispielhaft. Doch, noch einmal Benjamin: Wird die auf Reproduktion fußende Tradition, hätte er gefragt, die man damit hat begründen können, nicht erkauft durch die Preisgabe einer anderen, ungleich wichtigeren Überlieferung? Wer das Kunstwerk durch Reproduktion „ablöst aus dem Bereich der Tradition“, der betreibt seinen „Verfall“, hätte er eingewandt, um diesen Prozess in der Logik der Dramatisierung zu beschreiben. Angefangen mit „Ablösen“, was noch vergleichsweise schmerzfrei klingt. Bedrohlicher schon das „Entwerten“. Und am Ende steht das apokalyptisch-düstere Schlussbild der „Zertrümmerung der Aura“, der „Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle“. 

Kunst der Hülle

Andererseits ist das dialektische Potenzial des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit damit mitnichten zu Ende: Gerade die Erfolgs­geschichte der Edition Zeitgenössische Musik zeigt ja, dass die „Hülle“ hier ihrerseits auratische Qualität angenommen hat. Nur eben, dass sie in diesem Fall mehr ist und meint als bloße Verpackung, die um eine „Beilage“ herumgewickelt ist. Eher schon ist Hülle hier Stellvertreter für den Schoß, für eine Qualität, die Neues hervorbringt. So gesehen gehört zu den weisesten Ratschlüssen des Deutschen Musikrats, sich 1986 einen Partner ins Boot geholt zu haben, der seinerseits darauf bedacht war (und ist), die Kunst nicht von der Hülle, sondern diese von jener her zu denken – und das schon damals gut und gern 25 Jahre gemacht hat. Der Name für dieses ästhetische Programm gegen bloß umhüllend-einlullende Warenästhetik: WERGO. Begründet wurde das auf Neue Musik spezialisierte Schallplattenlabel 1962 von dem Musikwissen­schaftler Helmut Kirchmeyer und dem Kunsthistoriker WERner GOldschmidt, ehe es 1970 der Mainzer Schott-Verlag übernommen hat. Bis in die Typographie der Oberfläche, dem Less-is-more-Gesicht der Plattencover, war bei dieser Ur-Edition alles aus dem Kunstanspruch der zu publizierenden musikalischen Kunstwerke gedacht. Exklusiv, anspruchsvoll, nicht billig, nicht x-beliebig sollte sie sein – die Hülle. Tatsächlich haben Goldschmidt und Kirchmeyer mit ihrer wissenschaftlich kommentierten Schallplattenreihe zur zeitgenössischen Tonkunst etwas versucht (und 25 Jahre später hat daran der Deutsche Musikrat angeknüpft), was als Widerrufung des von Adorno in Umlauf gesetzten Menetekels gedacht war: Es gibt es doch – das richtige Label im falschen Leben. 

Ein Bündnis von Wissenschaft und Kunst als gesellschaftlicher Aufbruch. Erst WERGO allein, dann WERGO mit Schott, dann Deutscher Musikrat/Edition Zeitgenössische Musik mit Schott-WERGO zusammen. Eine Tradition vermittelter Moderne. Und der Gegenbeweis, dass die Kunst keineswegs notwendigerweise vor dem Markt, vor dessen Konventionalismus, Plattitüden, Verdummungs­kampagnen kapitulieren muss. Insofern aber ist die auf dem Wagen des WERGO-Labels rollende Edition Zeitgenössische Musik ein Projekt, das gegen den Markt vorgeht, um die Schätze, als deren Anwalt sich ihr Herausgeber Deutscher Musikrat versteht, eben darauf präsentieren zu können. Was nicht umstandlos auf Heroismus hinausläuft, insofern ein Unterfangen wie die Edition Zeitgenössische Musik (EZM) eben auch als Vorleistung zu deuten ist, die in Form von Aufträgen, Bestellungen geldwerte Rückwirkungen zeitigt oder zeitigen soll. Investition in Zukunft also. Andererseits ist der Ehrgeiz, alle jemals aufgelegten Produktionen auch im Sortiment zu halten, ohne Verantwortung und Ethos für das Produkt und so für die produzierenden Künstler nicht zu erklären. 

Fortsetzung folgt

Bliebe die Frage, warum sie funktioniert – diese Edition, die sich seit 25 Jahren trotz aller Krisen, Rezessionen und Unkenrufen hat behaupten können? Dass es gelungen ist, „das Schaffen junger deutscher oder in Deutschland lebender Komponistinnen und Komponisten“ über 25 Jahre hinweg dergestalt zu fördern, indem diese sich „auf Tonträger einem breiteren Publikum im In- und Ausland präsentieren“ können – dies hat nun vor allem damit zu tun (und EZM-Geschäftsführer Olaf Wegener wird nicht müde, darauf zu verweisen), dass sämtliche Produktionen dieser „Basisdiskothek jüngster Musik“ nur deshalb ins Regal kommen, weil sie „in der Regel als Koproduktionen mit Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ auf die Beine gestellt werden. Kurz: Hinter der EZM steht der Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die Aufnahmen und Aufnahme­kapazität zur Verfügung stellen, wenngleich auch nicht mehr (man sollte es ihnen nicht durchgehen lassen) in dem Maß wie früher. Und nicht zu vergessen: Die anhaltende Attraktivität der Edition beim Jungkomponist, bei der Jungkomponistin (hat max. 40 Lenze, sagt der EZM-Projektbeirat), hat natürlich mit der Aussicht zu tun, auf dem Musikmarkt präsent sein zu können – ohne Abstriche an der künstlerischen Substanz machen zu müssen. Nicht wenige EZM-Komponisten berichten denn auch tatsächlich von erfreulichen Rückwirkungen in Gestalt von Einladungen, Aufführungen, Neuaufträgen. Es lohnt sich also, was Fachleute, was Liebhaber als EZM-Schatzbildner treiben. Sie sind es – EZM-Komponisten, Musikwissenschaftler, Musikjournalisten –, die im Projektbeirat die Auswahl treffen, die unter Mitwirkung der Künstler die Aufnahmen machen, die die Texte schreiben, die Werklisten erstellen. Etwas, was der Markt nie und nimmer richten, was er vielmehr zugrunde richten würde. Zum 25-Jahr-Jubiläum von dieser Stelle also herzliche Gratulation, verbunden mit dem Wunsch, dass eintreten möge, was als Schlusssatz noch unter jedem Neuzugang zu lesen steht: „to be continued“, „wird fortgesetzt“. Wie auch sonst?

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