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Das Unberechenbare regt die Fantasie an

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Der Künstler Jeffrey Burns und sein Multimedia-Projekt „Piano of Light“
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Die Motive für seine fotografischen Arbeiten findet er auf Konzertreisen und Streifzügen in Berlin. Manche haben die Tendenz, wiederzukehren. Grabsteine zum Beispiel. Die mittelalterlich-jüdischen wie sie zahlreich in die Spandauer Zitadelle eingemauert waren oder die vom jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Jeffrey Burns schaut darauf mit den Augen eines Fotografen, der die Zeichen dokumentiert und zugleich die Distanz zwischen sich und dem Geschehen hinter diesen Zeichen aufheben will. Das Resultat dieser Anverwandlung ist eine sachlich-atmosphärische Schwarz-Weiß-Fotografie. Intensive Dunkelkammerarbeit hat die Konturen aufgebrochen, die Motive aus ihren konventionellen Schwerpunkten und Kraftlinien herausgelöst.

Mit den Bildern zu beginnen, die ein Musiker macht, ist im Fall des Pianisten Jeffrey Burns ein vielversprechender Einstieg. Da ist zunächst die Fotografie, die ihm zum Medium seiner Ästhetik geworden ist. Mehrere Ausstellungen bezeugen sein insistierendes Interesse. In seinem Arbeitszimmer, das ein Midi-erweiterter Steinway unübersehbar dominiert, sind einige seiner Fotoarbeiten eher unscheinbar platziert. Doch ausgerechnet diese Bilder hinter Glas werden im Gespräch zum Schlüssel für die Bilder im Kopf, für die Idee einer Ästhetik, die an die Produktivität des nicht festgelegten Zustands ebenso glaubt wie an die Renaissance einer synästhetischen Kunst aus Klang- und Lichtereignissen. Jeffrey Burns nennt dieses Projekt „Piano of Light“. (www.snafu.de/~jeff). Als bewanderter Mathematiker schreibt er das erste Computerprogramm hierfür anfangs noch selbst. Mittlerweile ist das Mitarbeiterteam international besetzt. Maler und Computerspezialisten wie Greg Jalbert von der Universität Berkeley beraten bei der Bildanimation, und Komponisten wie Peter Castine, Lutz Glandien, Johannes Kalitzke, Roland Pfrengle und Stefan Tiedje schreiben neue Werke für die alte Idee der Erweiterung oder Verschmelzung der Künste wie sie zu Beginn dieses Jahrhunderts in Skrjabin lebendig war. Die Motive für seine fotografischen Arbeiten findet er auf Konzertreisen und Streifzügen in Berlin. Manche haben die Tendenz, wiederzukehren. Grabsteine zum Beispiel. Die mittelalterlich-jüdischen wie sie zahlreich in die Spandauer Zitadelle eingemauert waren oder die vom jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Jeffrey Burns schaut darauf mit den Augen eines Fotografen, der die Zeichen dokumentiert und zugleich die Distanz zwischen sich und dem Geschehen hinter diesen Zeichen aufheben will. Das Resultat dieser Anverwandlung ist eine sachlich-atmosphärische Schwarz-Weiß-Fotografie. Intensive Dunkelkammerarbeit hat die Konturen aufgebrochen, die Motive aus ihren konventionellen Schwerpunkten und Kraftlinien herausgelöst. class="bild">Burns an seinem Computerarbeitsplatz / Foto: David Bers

Sichtbar werden Schwebezustände, die an jenes „Zwielicht“ erinnern, dem Schumann in seiner berühmten Eichendorff-Vertonung so hellsichtig Ausdruck verliehen hat. Auch Jeffrey Burns interessieren die instabilen Prozesse vor dem Umschlag in die definierte Gestalt. Er sucht und erforscht sie, weil sie für ihn die schöpferische Unberechenbarkeit bergen: „Wenn etwas ungenau ist, erweckt es unsere Fantasie und befriedigt uns.“ Jeffrey Burns sagt es im gleichen Tonfall, mit dem er seinem Gast eine Tasse Tee anbietet. Ruhig, unangestrengt, reflektiert. Hoffnungslos, so der Künstler, ist eine Sache nur dort, wo alles schon determiniert ist.

Seinen ersten Klavierunterricht erhält Jeffrey Burns 1957 mit sieben Jahren. Er besucht das Konservatorium in Los Angeles, hat als Neunjähriger seine ersten Radio- und Konzertauftritte, studiert Musik und Mathematik an der Universität von Kalifornien und erhält Unterricht bei den Pianisten Jakob Gimpel und Emanuel Bay. 1968 erringt er eine Goldmedaille im Internationalen Klavierwettbewerb „Viotti“ in Vercelli. Dieser Triumph, ebenso wie die Produktion von sechs CDs mit zeitgenössischer Klaviermusik Jahre später in Berlin, endet mit einem nicht nur unter Artisten bekannten Gefühlszustand: Melancholie der Erfüllung.

Kurzzeitig sympathisiert Jeffrey Burns mit einer Dirigentenlaufbahn. Fritz Zweig, in den 20er-Jahren einer der drei ständigen Dirigenten der Berliner Kroll-Oper, ist der hochgeschätzte Lehrer. Zweig ist es auch, der Burns zu einer Korrepetitorentätigkeit rät. Ein Stipendium des DAAD bringt den amerikanisch-jüdischen Musiker 1972 in jenes Land, aus dem sein deutsch-jüdischer Lehrer Mitte der 30er-Jahre emigrieren musste. Doch in einen Theaterbetrieb vermag er sich ebenso wenig einzugliedern wie ihm eine Dozententätigkeit an der Universität Münster auf Dauer mit seinen Forschungsinteressen vereinbar scheint. So wird er freischaffender Pianist und widmet sich fortan der zeitgenössischen Musik.

1983 taucht er ein in den Umkreis der Berliner Akademie der Künste und spielt die Werke der Akademie-Mitglieder Gerald Humel, György Ligeti, Aribert Reimann, Josef Tal und Isang Yun. Zugleich beginnt eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft. Sei es, dass er sich innerhalb der Jüdischen Kulturtage für den in Israel äußerst umstrittenen Komponisten Arie Shapira einsetzt oder im Rahmen des Synagogengottesdienstes die Torakantilation nach alter Notation praktiziert. Tradition und Moderne erscheinen unvermischt und ungetrennt. Regelmäßig arbeitet Jeffrey Burns mit seiner Klaviermeisterklasse in der Musikakademie Rheinsberg und gibt Konzerte in aller Welt. Und dennoch: seine kritische Forschernatur hat Jeffrey Burns unter den zeitgenössischen Komponisten nicht nur Freunde gemacht. Nicht alles, was ihm angeboten wird, ist er bereit, zu spielen. Vielleicht eingedenk dessen, was Schumann und Eichendorff dem wahrnehmungsbereiten Menschen ans Herz gelegt haben: „Hüte dich, sei wach und munter!“

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