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In der Ägyptischen Sammlung: das WDR-Rundfunkorchester unter Frank Strobel. Foto: Thorsten Blumberg
In der Ägyptischen Sammlung: das WDR-Rundfunkorchester unter Frank Strobel. Foto: Thorsten Blumberg
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Der König aus Dingsda

Untertitel
„Das Weib des Pharao“ mit Eduard Künnekes Musik im Neuen Museum Berlin
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Moderne Projektionstechnik machte es möglich: Die Veranstalter hatten das Vestibül des von David Chipperfield kongenial restaurierten Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel in ein Kino verwandelt. Die 55 Musiker des WDR-Rundfunkorchesters fanden auf „halber Treppe“ vor einer großen, an der Stirnseite gespannten Leinwand Platz. Das Publikum, aus Brandschutzgründen auf 140 Zuschauer begrenzt, gruppierte sich in den Seitengängen oder kauerte wie bei einem Hauskonzert auf Treppenstufen. Wer draußen bleiben musste, konnte das Ereignis, live übertragen, im unweit gelegenen Kino Babylon bei freiem Eintritt verfolgen. – Ein Ereignis in der Tat. Nicht nur, was die Einheit zwischen Aufführungsort und Filminhalt betrifft, sondern auch die wiedergefundene Symbiose zwischen diesem Stummfilm aus dem Jahre 1921 und seiner Musik.

Nach dem Welterfolg seines historischen Melodrams „Madame Dubarry“(1919) wollte sich dessen Regisseur Ernst Lubitsch mit „Das Weib des Pharao“ nach Hollywood empfehlen, wo die Monumentalfilme eines D.W. Griffiths’ die Zuschauer begeisterten. Beabsichtigt war aber auch, eine Leistungsschau deutschen Filmschaffens zu bieten. Dies tut diese Produktion und nicht zu knapp. Mit Emil Jannings, Harry Liedtke, Paul Wegener, Lyda Salmonova und der schönen Dagny Servaes werden einige der damals bekanntesten Stars versammelt. Gewichtiger aber sind die imposanten Bauten und die Statisten-Heere, denen in diesem Film Lubitschs Interesse zu gelten scheint.

Eher schlicht dagegen die Geschichte: Despotischer Pharaonenkönig (Jannings) verliebt sich in schöne Sklavin (Servaes), die er zu seiner Frau macht und für sie in den Krieg zieht, obwohl sie einen anderen (Liedtke) liebt. Der König verliert und landet gedemütigt im Staub. Bereits hier verkörpert Jannings den Typ eines vermeintlich unangreifbaren Mannes, den die Liebe zum „Weib“ blind macht und zu Fall bringt; ein Rollenmuster, das er in späteren Filmen bis hin zum Blauen Engel variierte. Der Geliebte der Königin, für den sie sich aufhob, wird zum neuen Pharao. So bekam das amerikanische Publikum den Film 1922 zu sehen. Die europäischen Zuschauer (und jetzt die Berliner) erlebten eine verlängerte Fassung, in denen der tot geglaubte Despot wieder auftaucht und die Protagonisten vor die Entscheidung zwischen Macht und Liebe stellt, worauf es zu einer finalen Steinigungsszene kommt.

Das Problem vieler Monumentalfilme ist, dass sie sich nur mühsam unter der Last ihrer monumentalen Maschinerie vorwärts zu  bewegen scheinen. Das betrifft nicht zuletzt die Darsteller, wenn sie ihre Blicke schmachtend gen Himmel richten und die Hände vor dem Herzen ringen. Exakt so kannte man bisher „Das Weib des Pharao“, zumal, wenn das Werk stumm und mit 18 Bildern pro Sekunde lief – entsprechend den Vorgaben des Münchener Filmmuseums, die den Torso in den 1980er Jahren unter seinem damaligen Direktor Enno Patalas rekonstruierte.

Nach der digitalen Restaurierung des Films durch den Rechteinhaber Alpha & Omega hat nun der für seine zahlreichen Stummfilm-Musikbearbeitungen und  -aufführungen weltweit bekannte Dirigent Frank Strobel die Originalpartitur Eduard Künnekes neu eingerichtet und, beschleunigt auf 20 Bilder pro Sekunde, unter seiner Leitung mit dem vom Rhein angereisten WDR-Rundfunkorchester in Berlin uraufgeführt. Eine Kooperation bedeutsamer kultureller und medialer Einrichtungen unter anderem der Berliner Akademie der Künste, den Staatlichen Museen zu Berlin, dem WDR und ZDF/Arte, deren unermüdliche Stummfilmredaktion den  Abend initiierte. Die Europäische Filmphilharmonie war ausführender Produzent.

Eigens komponierte, zumal symphonische Filmmusiken bildeten in den 1920er Jahren in deutschen Kinos bekanntlich die Ausnahme und waren Großproduktionen wie „Die Nibelungen“, „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Metropolis „vorbehalten. Es dokumentiert die Bedeutung von „Das Weib des Pharao“, dass die Produzenten für den Film eine angemessene Vertonung in Auftrag gaben.

Eine Vertonung, die dem etwas behäbigen Fluss der Bilder auf bestechende Art all das verleiht, was gute Filmmusik zu leisten vermag:  Dramatik, Spannung, Tempo. 

Eduard Künneke, dessen Schaffen zu Unrecht  auf seine Operettenmusik („Der Vetter aus Dingsda“) reduziert wird, beweist mit „Das „Weib des Pharao“ die ganze Bandbreite seines Könnens. Verblüffend vielfältig und ideenreich der kreative Vorrat, aus dem er sein musikalisches Material schöpft, das zwischen Spätromantik und Impressionismus changiert. Zwar komponierte Künneke diese Filmmusik just im gleichen Jahr, als sein „Der Vetter aus Dingsda“ entstand. Vergessen wird aber leicht, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei abendfüllende Opern und drei Schauspielmusiken (u.a. für Max Reinhardts Inszenierung von Goethes „Faust II“) geschrieben hatte und ihm neben der leichten Muse das Fach der sogenannten E-Musik stets wichtig blieb. 

Das in vielen Variationen wiederkehrende Hauptthema von „Das Weib des Pharao“ ist denn auch von klassischer Eindringlichkeit. Zum ethnographischen Hintergrund des Films passende, von Triangel und Becken begleitete orientalische Motive wechseln (etwa bei nächtlichen Liebesszenen) mit lyrischen Waldhornpassagen, in denen die Streicher con sordino für atmosphärische Grundierung sorgen. Künneke verwendet überwiegend große, opernhafte Klangstrukturen, die dem Genre des Films entsprechen und dessen Wirkung entsprechend verstärken.  Zuweilen flankieren die Melodien das Geschehen, zuweilen stellen sie aber auch in Frage, ironisieren und verknüpfen Personen und Schauplätze miteinander. Bei pompösen Massenszenen fehlen Anklänge an Wagner oder Bruckner nicht. Andere Passagen legen den Einfluss von Debussy oder Ravel nahe. Durch seinen eigenen Stilwillen und die komplexe Instrumentierung tritt Künneke jedoch dem Eindruck des Epigonenhaften souverän entgegen.

So entsteht ein Klangpanorama, das den Film mit seinen historisch-ethnologischen und melodramatischen Elementen zu einem Ganzen verbindet und erst voll zur Geltung bringt. Angespornt durch Frank Strobels dynamischen Zugriff brillierte das WDR-Rundfunkorchester während der zweistündigen Vorführdauer des Films mit einer künstlerischen Höchstleistung.  Den ausnahmslos geforderten Musikern war die Freude über die musikalische Eroberung neuen Terrains anzumerken. Dies betrifft sowohl das Vestibül des Neuen Museums, dessen Akustik sich als erstaunlich homogen und frei von störendem Nachhall erwies, als auch Eduard Künnekes ausgefallene Komposition.

Das Publikum dankte mit langem, lebhaften Beifall. Und mancher Besucher wollte beim Verlassen der klanggeschwängerten Hallen der Ägyptischen Sammlung sogar ein Lächeln auf dem Antlitz Nofretetes entdeckt haben. Wie auch immer: „Das Weib des Pharao“ sollte künftig einen festen Platz im Repertoire von Filmkonzerten haben.  Und wer nach diesem Abend auf den Filmkomponisten Eduard Künneke so richtig neugierig geworden ist: Am 18. Oktober wird im Berliner Babylon seine Musik zu dem Stummfilm „Das Blumenwunder“ aus dem Jahre 1926 aufgeführt. Es spielt die Norddeutsche Sinfonietta unter Leitung von Christian Gayed. Wir dürfen gespannt sein.

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