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Die Eltern als kreative Mitspieler am Klavier

Untertitel
Anregungen für das gemeinsame Improvisieren in Familie, Anfänger- und Gruppenunterricht
Publikationsdatum
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Die Bedeutung des häuslichen Übens und Musizierens für einen erfolgreichen musikalischen Lernprozess am Instrument ist hinlänglich bekannt. Gerade für jüngere Kinder oder Anfänger am Instrument sind eine anregende Umgebung und Unterstützung aus der Familie essenziell. Viele Eltern wünschen sich hierfür konkrete Anregungen und haben nicht selten sogar Interesse daran, sich selbst wieder oder auch erstmals mit dem Erlernen eines Instrumentes zu beschäftigen.

Unter anderem diese Überlegungen waren Ausgangspunkt für die Erprobung einer Elternfortbildung der besonderen Art, deren Ziel es zunächst war, Eltern von Klavieranfängern erste Einblicke in die Grundlagen des Klavierspiels und in Möglichkeiten des gemeinsamen, vierhändigen Musizierens und Improvisierens mit ihren Kindern zu geben. Dabei stellt sich die Frage, ob die eigens konzipierten Spielmodelle und angewandten Vermittlungsstrategien nicht auch geeignet sind, um im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten, im Klaviergruppenunterricht oder generell im Unterricht mit Erwachsenen zum Einsatz zu kommen. Besonders für die letztgenannte Unterrichtsform wird gemeinhin immer noch ein Mangel an geeigneten Materialien beklagt, die das lustvolle gemeinsame Musizieren und Improvisieren ermöglichen. Im Folgenden soll daher das mittlerweile mehrfach erprobte Elternseminar mit seinen Rahmenbedingungen, Inhalten und methodischen Vorgehensweisen vorgestellt und anschließend im Sinne der oben genannten Überlegungen diskutiert werden.

Modell und Material

Den Eltern der Klavieranfänger wurden vier aufeinander aufbauende Seminareinheiten à 75 Minuten in einer Gruppe von maximal acht Teilnehmenden unter der Leitung von zwei Klavierpädagoginnen angeboten. Zur Verfügung stand ein großer Unterrichtsraum mit zwei Flügeln, an denen jeweils zwei- bis sechshändig gespielt wurde. Notenkenntnis oder Vorerfahrungen am Klavier waren nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Kurs, gleichwohl hatten einige Teilnehmerinnen – es handelte sich ausschließlich um Mütter von Schüler-innen und Schülern, die Klavier und/oder ein Melodieinstrument erlernen – teils lange zurück liegende und nicht immer positive Erfahrungen mit dem Erlernen eines Instrumentes.

Schnell bestätigte sich, dass das Klavier als Instrument für ein nahezu voraussetzungsloses Musizieren und Improvisieren bestens geeignet ist. Alle Töne sind leicht zu erzeugen, man kann im Grunde sofort „drauflos spielen“. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, das Tonmaterial anschaulich zu begrenzen, indem man sich beispielsweise an den schwarzen oder weißen Tasten beziehungsweise ihrer Anordnung in Zweier- und Dreiergruppen orientiert. Der gute Überblick über das Instrument, verbunden mit der Möglichkeit des mehrstimmigen Musizierens bildet die Voraussetzung für ansprechende klangliche Ergebnisse von Anfang an. Dies schien im Hinblick auf die erwachsenen Teilnehmerinnen, die tendenziell mit eher hohen Ansprüchen und klanglichen Vorbildern im Hinterkopf an das praktische Musizieren herangehen, besonders wichtig, um sie zum lustvollen Musizieren und Üben anzuregen und Frustrationen zu vermeiden. Darüber hinaus lassen sich auch die musiktheoretischen Zusammenhänge am Klavier bestens verdeutlichen. Dennoch lag der Schwerpunkt auf dem Musizieren ohne Noten. Mittels grafischer Notationsformen und Textunterlegung der einzelnen melodisch-rhythmischen Patterns sollte die Verankerung im Gedächtnis gewährleistet und gleichzeitig ein freies Musizieren und Improvisieren sowie die Entfaltung der eigenen Kreativität ermöglicht werden.

Im Lauf der vier Seminareinheiten wurde den Teilnehmerinnen ein Repertoire an neun Begleitpatterns und die zugehörigen Spielregeln für das Improvisieren passender Melodien (z.B. alle schwarzen Tasten, alle Töne zwischen f’ und c’’) vermittelt. Die Melodien wurden im Seminar von den Teilnehmerinnen am Klavier erprobt und konnten zuhause von den Kindern erfunden werden. Als Material dienten neben den Notenbeispielen „Winter“ und „Tango“ auch Tastenbilder und passende Kunstpostkarten, die als zusätzliche Erinnerungs- und Assoziationshilfen vor allem für die Teilnehmerinnen ohne Notenkenntnisse fungierten. Die Begleitmuster waren so konzipiert, dass der technische Schwierigkeitsgrad leicht variierbar war und dem Niveau der Spielerinnen angepasst werden konnte. Überschaubarkeit und Einfachheit der Struktur wurden ebenso berücksichtigt, wie Wert auf ein ansprechendes Klangergebnis und die Berücksichtigung unterschiedlicher Gattungen und Stile (Walzer, Tango, Wiegenlied …) gelegt wurde.

Methodische Prinzipien

Grundsätzlich sollte eine erlebnisorientierte Herangehensweise angestrebt werden, die eine Balance zwischen ausführenden beziehungsweise reproduzierenden und schöpferischen oder etwa produktiven Tätigkeiten ermöglicht und verschiedene Ausdrucksebenen wie Sprache, Körperbewegung, Grafiken und Bilder einbezieht. Durch das Arbeiten in der Gruppe unter Anleitung von zwei Pädagoginnen können individuelle musikalische Erfahrungen im sozialen Kontext gemacht werden. Austausch mit anderen ist ebenso möglich wie Konzentration auf das eigene Tun. Diese Vorgehensweise entspricht sowohl dem Bedürfnis der Zielgruppe nach persönlicher Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung als auch nach gemeinsamer musikalischer Kommunikation und Interaktion. Auch die klanglichen Ergebnisse sind in der großen Gruppe vielfach ansprechender und beeindruckender, auch wenn die einzelnen Spieler jeweils lediglich einfache Bausteine beitragen können. Weiterhin wichtig ist das Schaffen einer entspannten und angenehmen Unterrichtsatmosphäre ohne Leistungsdruck und Konkurrenzempfinden, damit die erwachsenen Teilnehmerinnen sich trotz der teilweise hohen Ansprüche an sich selbst im Spiel und in der Gruppe frei entfalten können. Als methodische Eckpfeiler des beschriebenen Unterrichtsmodells können folgende Herangehensweisen gelten:

Körperorientierung: Die Spielbewegungen der Begleitmuster werden ohne Instrument in der Großgruppe mittels spielerischer Körper- und Koordinationsübungen vorbereitet. Durch die Verwendung von Klanggesten und Textunterlegung kann die musikalisch-rhythmische Struktur des Patterns bereits körperlich und in der Vorstellung verankert werden, so dass die spätere Umsetzung am Instrument leichter fällt. Lockerungsübungen, Bewegungsphasen und Bodypercussion sorgen darüber hinaus für eine gute Vorbereitung des häufig verspannten Spielapparates der erwachsenen Seminarteilnehmer und helfen auch, die ein oder andere „Denkblockade“ aufzulösen.

Spielerische Erarbeitung: Sowohl beim Erlernen der Begleitmuster als auch beim Improvisieren der zugehörigen Melodien werden die Teilnehmer durch fantasievolle Assoziationshilfen und die Konzentration auf das Spielen ohne Noten ermutigt, eigene Ideen zu verwirklichen und zunehmend eine Verbindung zwischen Klangergebnis und Spielbewegung herzustellen.

Variantenreiche Wiederholung: Zur besseren Verankerung des Gelernten müssen bereits im Unterricht zahlreiche Wiederholungsmöglichkeiten geschaffen, aber gleichzeitig ein ermüdendes Repetieren und/oder gar Leerlauf einzelner Teilnehmer vermieden werden. Durch Variationen der Spielregeln und die Kombination von Aktionen mit und ohne Instrument wird sichergestellt, dass stets alle am Übe- und Musizierprozess teilhaben und die Unterrichtszeit effektiv genutzt wird.

Gruppenaktion vor Einzelaktion: Alle neuen Inhalte werden nach dem Prinzip „erst alle, dann einzeln“ eingeführt. So kann der innere Leistungsdruck der Teilnehmer abgebaut und die Angst vor Beurteilung gemindert werden. In der Folge können dann die einzelnen Elemente der musikalischen Gestaltung im Schwierigkeitsgrad angepasst werden, so dass stets alle beteiligt werden, auch wenn sie unterschiedlich fortgeschritten sind.

Reflexion des Erlebten im Gespräch: In moderierten Gesprächsrunden am Ende der jeweiligen Unterrichtseinheiten können sich die Teilnehmer über Fragen des Übens, eventuelle Motivationskrisen oder fachliche Unklarheiten austauschen. Thematisiert werden sowohl die erlebten Inhalte und Spielformen als auch Fragen des häuslichen Übens und Musizierens mit den jeweiligen Spielpartnern beziehungsweise Kindern.

Evaluationsergebnisse

Nach Kursende wurde das Projekt mittels eines Fragebogens für die Teilnehmerinnen ausgewertet. Abgefragt wurden unter anderem Unterschiede zu gegebenenfalls früheren Erfahrungen mit dem Instrumentalunterricht sowie Bewertungen zu den erarbeiteten Musikstücken, den Materialien, zur Unterrichtsform und zum methodischen Vorgehen im Kurs. Im Mittelpunkt stand natürlich die Frage, ob der Besuch der Elternfortbildung das gemeinsame Musizieren in der Familie gefördert beziehungsweise ermöglicht hat. Die Ergebnisse der Fragebogenauswertung zeigen unter anderem Folgendes:

  • Die Musikstücke und Klangergebnisse wurden generell als musikalisch ansprechend bewertet.
  • Als besonders hilfreich bei der Erarbeitung wurden die bildhaften Anregungen und das Lernen durch Nachahmen genannt. Die Körper- und Rhythmusübungen wurden von einigen Teilnehmerinnen zunächst als „Umweg“ gesehen, auf Nachfrage jedoch in ihrer Sinnhaftigkeit vehement verteidigt.
  • Teilnehmerinnen mit negativen Vorerfahrungen konnten diese im Hinblick auf das Instrumentalspiel relativieren und schätzten sich selbst und ihre Fähigkeiten nun besser ein.
  • Die Gruppensituation wurde durchwegs als positiv erlebt und weckte bei allen Teilnehmerinnen die Freude am gemeinsamen Musizieren. Hervorgehoben wurde auch, dass dadurch manchmal Entspannungspausen für Einzelne entstanden und dass sich auch über das Projekt hinaus Kontakte und Freundschaften ergeben haben.
  • Bereits während des vierwöchigen Kurses hatte die Hälfte der Teilnehmerinnen die gelernten Modelle mit ihren Kindern erfolgreich zuhause erprobt. Zwei weitere planen, dies noch zu tun und auch selbst weiterhin Klavierunterricht zu nehmen.

Fazit

Das beschriebene Unterrichtsmodell hat sowohl im Sinne des ursprünglich anvisierten Ziels der Elternfortbildung und Förderung des häuslichen Musizierens funktioniert, als auch aufgezeigt, dass der Gruppenunterricht in Klavier grundsätzlich eine sinnvolle Möglichkeit der musikalischen Erwachsenenbildung darstellt. Sicher müssten bei längerfristig angelegtem Unterricht die Rahmenbedingungen, insbesondere die Teilnehmerzahl angepasst werden, Material und Methoden haben sich jedoch als geeignet erwiesen. Bei allen Teilnehmerinnen konnten deutliche Fortschritte in spieltechnischer und musikalischer Sicht festgestellt werden. Wesentlich scheint in diesem Zusammenhang die Ausgewogenheit von reproduktiven und produktiven Anteilen im Unterricht, die Einbettung des instrumentalen Lernens in Erfahrungen mit anderen Ausdrucksebenen wie Körper, Sprache und Bildern sowie die Vermittlung von Gruppenmusiziermodellen zu sein. Diese Prinzipien lassen persönliche Weiterentwicklung zu und erhalten den Spaß am gemeinsamen Musizieren und Improvisieren.

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