Hauptrubrik
Banner Full-Size

Dr. Thielemann

Untertitel
Kommentar
Publikationsdatum
Body

Den einen reißen sie gerade die Doktorhüte vom Kopf, Menschen aus der Politik, die von höchster politischer Stelle aus nachweisen konnten, dass sogenannte Raubkopien nicht nur in der Mitte der Gesellschaft sondern auch weit darüber angekommen sind; anderen werden sie nachgeworfen wie schimmlig Brot.

Gerade hat die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar dem Dirigenten Christian Thielemann den Doktor ­ehrenhalber verliehen. In Anerkennung hervorragender wissenschaftlicher Leistungen sowie besonderer Verdienste kann die Hochschule für Musik Franz Liszt durch den zuständigen Fachbereich für das Fachgebiet Musikwissenschaft den Doktor ehrenhalber als seltene Auszeichnung ver­leihen. Thielemann und wissenschaftliche Leistungen?

Das wird‘s wohl nicht sein. Bleibt sein Verdienst! Was verdient so ein Dirigent eigentlich? Und reicht das aus, einen Doktor ehrenhalber zu bekommen? In Weimar war dies offenbar der Fall. Jetzt hat also der Fachbereich Musikwissenschaft gekürt. Und das ist auch ein bisschen komisch. Denn in letzter Zeit fiel Weimars Musikwissenschaft eher durch progressive Entwicklungen auf. Sie haben mit Martin Pfleiderer einen Professor für die Geschichte des Jazz und der Populären Musik, mit ­Tiago de Oliveira Pinto einen Professor für Transcultural Music Studies oder mit Albrecht von Massow eine Professor für Musik des 20. Jahrhunderts und Systematische Musikwissenschaft. Da kann nicht jedes musikwissenschaftliche ­Seminar in Deutschland mithalten.

Man könnte einwenden: Genau, mit Thielemann als Ehrendoktor hat man endlich eine nächste streitbare Person finden können, die dem musikwissenschaftlichen Laden in Weimar Profil verleiht.

Das tut sie jetzt in jedem Fall. Denn Thie­lemann kümmert sich offensichtlich um verfemte Musik von ­seinem Blickwinkel aus. Er kramt in den ­Archiven von Richard Strauss und Hans Pfitzner herum und findet dabei immer wieder mal Musik, die sonst so recht niemand spielen will; außer ihm, und den ihm unterstellten Musikern. Nicht alle allerdings. Bei einem Strauss-Programm mit den Berliner Philharmonikern unlängst in Berlin musste man umbesetzen. Manuel Brug schrieb dazu in der „Welt“: Viele prominente Philharmoniker spielten in diesem Programm nicht, auch die beiden jüdischen Streichersolisten Guy Braunstein und ­Amihai Grosz waren abwesend.

Was hat die Weimarer Hochschule für Musik da nur geritten, welchem Ruf sind sie da gefolgt? Begründet wird die Verleihung der Ehrendoktorwürde eher schein- als heilig mit seinen Verdiensten um die Musik des 19. Jahrhunderts, so als ob Thielemann da ein Alleinstellungsmerkmal habe. Weder hat er ein solches, noch ist sein 19. Jahrhundert besonders umfangreich oder sind seine Lisztinterpretationen so ­außerordentlich. Eher spielt die Sozial­psychologie zwischen dem Maestro und seiner Gefolgschaft hinein.

Diese läuft dem Thielemann nämlich blindlings hinterher und ist begeistert ohne Anflug von Kritik. So etwas erinnerte Adorno vor langer Zeit in seiner Studie über Dirigent und Orchester an den alten Witz von der Besucherin des Gewandhauskonzerts, die ihre sachverständige Nachbarin bittet, sie doch darauf aufmerksam zu machen, wenn Nikisch zu faszinieren beginne. So verschieden sind die soziale Einschätzung des Musikalischen und dessen eigene Struktur voneinander.

Leistungen, welche die Faszinationsfreude dem Dirigenten zuschreibt, vollbringt er zuweilen gar nicht. Natürlich kann Thielemann nicht für seine Liebhaber, aber eine Hochschule sollte sich von einem Liebhaber doch etwas abzusetzen wissen. Und so stünde es dem Dirigenten vielleicht nicht schlecht an, diese peinliche Aktion aus Weimar erst gar nicht zu würdigen. Eine chinesische Hochschule wäre in der Würdigung der Verdienste Thielemanns sicherlich präziser. Kontakte über den Deutschen Musikrat sind sicher herzustellen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!