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Die Tapete Records Crew im Konferenzraum. Von links nach rechts: Sebastian Tim (Booker), Dirk Darmstaedter (Gründer), Gunther Buskies (Gründer), Wiebke Colmorgen (Presse, Promo), Nina Thomsen (Presse, Promo), Lynn Buschhüter (Praktikantin), Christoph Wegn
Die Tapete Records Crew im Konferenzraum. Von links nach rechts: Sebastian Tim (Booker), Dirk Darmstaedter (Gründer), Gunther Buskies (Gründer), Wiebke Colmorgen (Presse, Promo), Nina Thomsen (Presse, Promo), Lynn Buschhüter (Praktikantin), Christoph Wegn
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Endlich die Chancen der Krise nutzen

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Das Hamburger Label „Tapete Records“ hält den Ball flach aber die Künstler hoch
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Während die Phonoindustrie weiterhin der Digitalisierung hinterher hechelt und in halbgaren Downloadplattformen die brüchige Zukunft sieht, gibt es Musikgläubige, die trotz aller industriellen Talfahrten nie den Glauben an gute Musik verloren haben, weniger auf Business Solutions oder P2P-Affairs setzen, sondern schlicht auf den Menschen, der im Idealfall und je nach Definition handfeste, selbstgemachte Musik vorträgt. Dirk Darmstaedter (Ex-Frontmann der Hamburger Band „Jeremy Days“) und Gunther Buskies (ehemals Universal/Polydor) gehören zu diesen Jüngern. Zusammen gründeten sie „Tapete Records“, eine kleine, unabhängige Plattenfirma in Hamburg mit aktuell sieben Mitarbeitern, die im Juni 2002 die erste Veröffentlichung mit der Band „Besser“ und dem Album „Bi“ auf den Markt brachte und mittlerweile knapp 25 zusätzliche Alben verschiedenster, aber ins Repertoire passender Künstler wie Mon)tag, Tess Wiley, Garish, Niels Frevert, Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann oder Erdmöbel bewerkstelligt hat.

In der relativ kurzen Zeit von zwei Jahren hat sich „Tapete Records“ einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Mutig gibt man jungen, talentierten Künstlern Veröffentlichungschancen, zielstrebig vermittelt man den Künstlern das harte Brot im neuen Phonomarkt: wer Erfolg will, muss wieder arbeiten, nicht warten.

Kennen gelernt hatten sich die Gründer Dirk Darmstaedter und Gunther Buskies noch beim Majorlabel „Universal“. Beide arbeiteten an der Zusammenstellung zweier „Jeremy Days“-Kompilationen und stellten eine kongruente Grundhaltung bezüglich der jammernden Branche und der damit verbundene Unflexibilität fest. „Ich glaube“, sinniert Dirk Darmstaedter, „dass jeder, der länger in einem größeren Plattenkonzern gearbeitet hat – egal ob als Musiker oder Angestellter –, irgendwann da wieder raus will. Für mich wurde schnell klar, dass ich einen Weg abseits der Majorlabels einschlagen möchte. Auch der Zusammenbruch der Strukturen bei den Majors spielte für meine Entscheidung eine Rolle. Ich sah zu viele befreundete Kollegen und Musiker, die rumhingen, nicht mehr voran kamen und nur auf den Antwort eines Sony-Menschen warteten, um endlich weiter machen zu dürfen. Doch dieser Stillstand geht meines Erachtens gar nicht, es müssen ja Platten gemacht werden“. Und weil die Phonindustrie eben Ausnahmekünstler wie Niels Frevert (ehemals Sänger der Band „Nationalgalerie“) ignorierte, entschlossen sich Dirk Darmstaedter und Gunther Buskies dieses Vakuum zu füllen. Der eine, Darmstaedter, kümmert sich um die künstlerischen Belange, Buskies verwaltet die geschäftliche Seite.

Obwohl Dirk Darmstaedter „Tapete Records“ als „Liebesangelegenheit mit viel Arbeit“ bezeichnet, bleibt der finanzielle Gesichtspunkt nicht außen vor: „Ich bin Musikfan und liebe nichts mehr als Platten an den Start zu bringen. Es gibt tolle Künstler und wenn man denen helfen kann ihre Alben zu veröffentlichen, bin ich schon glücklich. Dennoch ist Tapete kein Hobby, sondern wir gehen davon aus, dass Tapete irgendwann auch finanziell auf gesunden Beinen steht. Ich denke, man muss die Krise der Branche als Chance nutzen, denn wer weiß, wann die nächste Chance kommt?“

Ein Hinweis, den man oft gehört hat, schließlich prognostizierte man bereits vor drei Jahren den Indie-Labels beste Entfaltungschancen. Leider ohne spürbares Ergebnis. Gibt sich Dirk Darmstaedter nicht einer Durchhalteparole hin? „Ja, stimmt eigentlich, die große Wende kam nicht wirklich. Vielmehr glaube ich, dass wir noch mitten im Strukturwandel sind. Genauso wie es die Großen trifft, erwischt es die Kleinen. Ich kenne genügend kleine hochmotivierte Labels, denen es dreckig geht. Und es wird so bleiben und wahrscheinlich schlimmer werden. Der einzige Vorteil, den wir kleine Firmen haben, ist dass wir flexibler reagieren können“. Dabei spielt die Auswahl der Künstler eine wichtige Rolle. Zu viele Musiker leben noch in der alten Welt, glauben fälschlicherweise an den einen erfolgversprechenden Anruf der Plattenfirma. Eine Haltung, die Dirk Darmstaedter im Wandel sieht. „Allen wird langsam klar, dass der Anruf von der Sony wohl doch nicht kommt. Besonders für Musiker, die noch einen Fuß in den alten Zeiten haben, in denen die Budgets und die Sprüche noch andere waren, ist das schwer zu begreifen“. So gesehen ist das Motto der Tapete-Firmenpolitik ein einfaches: den Ball sehr flach halten. „Ich habe genügend Sprüche in meinem Leben gehört“, erinnert sich Dirk Darmstaedter, „folglich werden wir unseren Bands nie erzählen, dass wir sie zu Stars machen“.

Das wissen die Tapete-Künstler und wer Alben der Paul Dimmer Band, Mon)tag, Me & Cassity, Tess Wiley oder Niels Frevert gehört hat, würde nie vermuten, dass diese Künstler falschen Versprechungen oder gar Illusionen zum Opfer fallen könnten. Zu bestimmt, eigenwillig und kantig sind die musikalischen Darbietungen, die aus allen Genres kommen: Folk, Deutschpop, Gitarrenrock, Elektropop, Singer/Songwriter. In dieser Künstlerauswahl erkennt man eindeutig den Musiker Dirk Darmstaedter, der abschließend feststellt: „Letztendlich und als Fan gesehen – wenn man die heutige Musiklandschaft in Deutschland mit der vor 15 Jahren vergleicht –, empfinde ich die Szene als weitaus gesünder. Es gibt mehr interessante Acts und Platten zu hören. Dass diese Platten nicht in einem großen Umfang verkauft werden, ist natürlich schade“.

Daran muss man arbeiten. Nicht nur bei Tapete Records, sondern auch in Phonindustrie, Medien, Politik und Bildung. Denn „das Bewusstsein für den Wert der Musik und Kreativität beim Konsumenten wieder zu schärfen“ sieht Dirk Darmstaedter als die Aufgabe der Zukunft, um die positive Entwicklung der viel versprechenden Nachwuchskünstler erhalten zu können. „Und“, ergänzt er, „das Radio muss sich ändern. Ich sitze hier gerade in Augsburg in einem Café und höre FM4. Den ganzen Tag gute Musik. So soll das sein. Sobald das deutschlandweit funktioniert – irgendwo rumsitzen und gute Musik hören – und nicht immer und auf jedem Sender die gleiche Chart-Musik, dann sind wir der Lösung ein Stückchen näher“.

www.tapeterecords.de

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