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Freihandelszone: Ausverkauf im Supermarkt der Kultur.  Foto: Martin Hufner
Freihandelszone: Ausverkauf im Supermarkt der Kultur. Foto: Martin Hufner
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Es geht um mehr als nur Freihandel

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Warum CETA, TTIP und TISA auch den Musikbereich bedrohen · Von Olaf Zimmermann
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Wenn es nicht so bedrohlich wäre, könnte von einer Ironie der Geschichte gesprochen werden. Gut 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, nach den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen in den osteuropäischen Staaten und dem Zerfall der Sowjetunion entsteht eine neue Konfrontation zwischen den westlichen Industriestaaten und Russland. Äußerer Anlass der Verschärfung der Tonlage sind die Auseinandersetzungen um die Ukraine. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob die Ukraine wie so viele andere osteuropäische Staaten den Weg nach Westen geht, oder ob sie in der Einflusssphäre Russlands bleiben wird.

Was aber hat das alles mit Freihandel oder konkreter mit CETA (Freihandelsabkommen EU-Kanada), TTIP (Freihandelsabkommen EU-USA) oder auch TISA (Freihandelsabkommen von inzwischen an die 30 Staaten zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen zu tun? Sehr viel, meine ich.

WTO: Im Jahr 1995 nahm die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf ihre Arbeit auf. Grundsäulen der WTO sind die drei Abkommen GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen), GATS (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) und TRIPS (Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums). Das GATT-Abkommen ist das älteste der Abkommen. Seine Zielrichtung ist der Handel mit Gütern. Im Kern ist das GATT noch ein Zollabkommen mit der Zielsetzung, die Zölle zu senken und so den Welthandel zu befördern. Die Verhandlungen zu GATT wurden im Jahr 1994 abgeschlossen und mündeten in die Gründung der WTO. GATS mit dem Kernanliegen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen trat im Jahr 1995 in Kraft. Seit mehr als 15 Jahren wird über das GATS – mit mäßigem Erfolg – weiterverhandelt.

Das entscheidende Merkmal dieser Abkommen ist, dass einmal eingegangene Zusagen nicht wieder zurückgeholt werden können. Für den Kulturbereich heißt dies konkret, dass etwa das Pressewesen oder auch Zirkusse nicht mehr in Freihandelsabkommen von WTO-Mitgliedern ausgenommen werden können. Diese Bereiche sind bereits im Rahmen von GATS liberalisiert worden und gelten daher in allen folgenden Abkommen, die sich auf die WTO-Vereinbarungen stützen, gleich ob CETA, TTIP, TISA oder wie sie auch immer heißen mögen. Von der Liberalisierung ausgenommen sind bislang die hoheitlichen Bereiche, das heißt Schule, Hochschulen und so weiter. Was den nicht-hoheitlichen Bereich angeht, also private Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen so stehen sie im Fokus der Liberalisierung. Im Rahmen von TTIP haben die USA bereits offensive Interessen, also verbesserten Marktzugang für diese Bereiche, angemeldet. Das Hauptaugenmerk US-amerikanischer Bildungsunternehmen ist dabei die Sprachvermittlung, doch auch privatwirtschaftliche Musikschulen können in den Fokus geraten.

CETA: Das CETA-Abkommen ist zwischen der EU-Kommission und der kanadischen Seite ausverhandelt. Es wird derzeit in die EU-Sprachen übersetzt und muss dann vom Rat ratifiziert werden. Unklar ist derzeit noch, ob es sich um ein reines Handelsabkommen handelt, das würde die EU-Kommission gerne sehen, da dann die Abstimmung in den Mitgliedstaaten, also in Deutschland im Bundestag und Bundesrat, nicht mehr erforderlich ist. Die Kanadier haben im CETA für sich den Kultur- und Mediensektor ausgenommen. Das heißt europäische Kultur- und Medienunternehmen werden keinen erleichterten Marktzutritt in Kanada bekommen. Die EU-Kommission hat für die EU-Mitgliedstaaten den Kultur- und Mediensektor nicht in gleichem Maße ausgenommen. Unklar ist derzeit, ob die Mitgliedstaaten noch einzelne Detailausnahmen und Schutzklauseln in das CETA-Abkommen hinein formulieren können.

TTIP: Das TTIP-Abkommen zwischen den USA und der EU befindet sich inzwischen auf der Halbzeit. Es wird von fünfzehn Verhandlungsrunden ausgegangen, sieben davon wurden bereits absolviert. Zwar gibt es im Verhandlungsmandat eine Ausnahme für den audiovisuellen Bereich im Dienstleistungskapitel, andere Kultursektoren sind aber im Verhandlungspaket. Weiter sind im TTIP-Mandat ausdrücklich Verhandlungen zum geistigen Eigentum vorgesehen. Das heißt Komponisten, Textdichter aber auch ausübende Künstler, die vom europäischen Urheberrecht besonders geschützt werden, sollten sehr aufmerksam verfolgen, was bei TTIP verhandelt wird.

TISA: Das TISA-Abkommen, das zwischen sehr guten Freunden von Dienstleistungen, wie sie sich selbst nennen, unter Führung der USA verhandelt wird, konzentriert sich auf den Dienstleistungssektor, also den Kernbereich des Musiksektors. Nach dem Wunsch Chinas, diesem „Freundeskreis“ beitreten zu wollen, wird zurzeit bei den Verhandlungen etwas auf die Bremse getreten.

Geostrategie: Was hat dies alles nun mit der Ukraine und den scharfen Tönen zwischen Ost und West zu tun? Russland ist im Jahr 2012 der WTO beigetreten, gehört also zu jenen 160 Mitgliedern, die sich für eine Liberalisierung des Handels einsetzen. Innerhalb der WTO gibt es eine Reihe von bi- und multilateralen Abkommen, wie die geplanten Abkommen CETA und TTIP. So hat unter anderen auch der russische Präsident Putin im Deutschen Bundestag die Idee einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok vorgetragen. Diese Freihandelszone würde die Europäische Union und die jetzige Eurasische Wirtschaftsunion umfassen. Sie wäre ein großer Handelsraum und auch von geostrategischem Gewicht. Offenbar wurde dieser Vorstoß aber nicht weiter verfolgt, sondern der transatlantischen Handelspartnerschaft mit den USA mehr Bedeutung beigemessen. Damit wird neben dem wirtschaftlichen Potenzial, das dieses Abkommen unstreitig für einige Wirtschaftszweige, speziell die deutsche Maschinenbau- und Automobilindustrie, hat, auch die Westorientierung der EU noch einmal untermauert. Und genau darum spielt der Ukraine-Konflikt gegenwärtig eine so zentrale politische und wirtschaftliche Rolle. Es geht um das Signal, durch TTIP die transatlantische Verbindung zwischen der EU und den USA zu festigen.

Kollateralschaden: Und die Kultur, was bleibt von ihr bei diesen Abkommen? Zunächst einmal muss allen klar sein, dass kulturelle, also auch musikalische Dienstleistungen und Güter auch ein Wirtschaftsgut sind und daher von solchen Verhandlungen betroffen sind. Ein nachhaltiger Schutz kann nur durch ausdrückliche und klare Ausnahmeregelungen im Vertragstext, nicht in der Präambel, geschaffen werden. Der Musikbereich schwebt wie der gesamte Kultur- und Medienbereich in der Gefahr, zwischen den wirtschaftlichen und politisch-strategischen Interessen zerrieben zu werden. Wir werden die Gefahr nur bannen können, wenn der gesamte Kulturbereich deutlich und unüberhörbar seine Stimme erhebt. Jetzt!

Der Autor ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

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